EU-Parlament beerdigt Softwarepatentrichtlinie
Mit überwältigender Mehrheit haben die EU-Abgeordneten dem Standpunkt des EU-Rates eine klare Absage erteilt; die EU-Kommission will prüfen, ob sie einen neuen Vorschlag macht.
Mit überwältigender Mehrheit haben die EU-Abgeordneten nach der kontroversen Debatte am gestrigen Dienstag nunmehr am heutigen Mittwochmittag in ihrer Plenarsitzung in Straßburg den Vorschlag des EU-Rates für eine Richtlinie zur Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" abgelehnt. 648 von 680 abgegebenen Stimmen votierten für einen entsprechenden Antrag, der von mehreren Fraktionen unterstützt worden war. Nur 14 Parlamentarier stimmten gegen die vorzeitige Beerdigung der Richtlinie, 18 enthielten sich. Insgesamt gingen 680 der 732 Abgeordneten zur Wahl, was für die Bedeutung des früheren Randthemas der Wirtschaftspolitik spricht.
Berichterstatter Michel Rocard hatte im Vorfeld der Abstimmung von der "gemeinsamen Wut" der Parlamentarier "gegen die unmögliche Vorgehensweise der Kommission und des Rates" gewettert. Es sein ein "totaler Sarkasmus uns gegenüber", dass beide Institutionen die Empfehlungen der Abgeordneten aus 1. Lesung komplett missachtet hätten. Die Abweisung ist für ihn ein Signal, dass das Problem der Softwarepatentierung noch nicht "reif" ist. Er sieht darin auch eine Botschaft an das Europäische Patentamt, seine Regeln auf diesem Gebiet zu überdenken.
Die EU-Kommission will nun prüfen, ob sie einen weiteren Vorschlag für eine EU-Richtlinie macht. Eine Vertreterin der EU-Kommission erklärte nach der Abstimmung, dass es das gute Recht des Parlaments sei, einen Vorschlag zurückzuweisen. Wenn das Parlament aber die Kommission konkret auffordere, so die Sprecherin, "werden wir natürlich mit den verschiedenen Ausschüssen sprechen und dann das Verfahren prüfen." Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy hatte bisher mehrfach erklärt, keinen weiteren Anlauf zu machen. Damit wäre die Patent-Richtlinie endgültig gescheitert, da es dann kein Vermittlungsverfahren und keine weitere Beratungen im Parlament gibt. Von einigen Seiten war bereits zu hören, nun wäre ein ganz neuer, grundlegender Anlauf für ein europaweites, einheitliches Patentsystem notwendig.
Florian Müller, der für Firmen wie 1&1, MySQL oder Materna vergangene Woche noch einmal in den Lobbykampf eingriff, zeigt sich zufrieden mit dem Ergebnis: "Es wäre schwer gewesen, die vom Bundesgerichtshof vorgegebenen engen Grenzen der Patentierbarkeit von Software EU-weit durchzusetzen", weiß er. Mit der Zurückweisung, die einen "Albtraum" und die Verbreitung falscher Informationen über die angebliche Verhinderung von Softwarepatenten durch die Richtlinie beende, werde zumindest eine Verschlechterung des rechtlichen Rahmens verhindert. Skeptischer zeigt sich Axel Metzger vom Institut für Rechtsfragen der Freien und Open Source Software: Das Scheitern der Richtlinie sei zwar ein Sieg für die Demokratie in Europa. Es belege "die Macht des Europäischen Parlaments und der öffentlichen Meinung." In der Sache spricht Metzger aber von einem Pyrrhussieg: "Die Patentämter und Gerichte der Mitgliedstaaten sind nun weiterhin frei, ihren Kurs der vorsichtigen, aber steten Ausweitung der Patentierbarkeit fortzusetzen."
Einig sind sich die Softwarepatentgegner, dass die weite Patentierungspraxis des Europäischen Patentamtes (EPA) nun dringend auf den Prüfstand muss. "Das EPA muss sofort dazu aufgefordert werden, auf Basis des Europäischen Patentübereinkommens die Vergabe von Softwarepatenten zu stoppen", fordert Georg Greve, Präsident der Free Software Foundation Europe. Die Grundlinien des internationalen Vertrags sehen vor, dass auf Software "als solche" keine Monopolansprüche gewährt werden dürfen. Das EPA hat diese Regel sehr offen interpretiert und bereits geschätzte 30.000 Patente auf "computerimplementierte Erfindungen" erteilt. Darunter sind sehr allgemeine Verfahren wie das Ablegen von Artikeln in einen virtuellen Warenkorb oder das Zahlen mit Kreditkarte in einem Webshop, über deren "technischen Charakter" und Innovationskraft sich trefflich streiten lässt.
"Das Schalten und Walten des Europäischen Patentamtes ohne übergeordnete Kontrolle muss beendet werden", bläst Johannes Sommer, Mitgründer der Initiative Unternehmer gegen Softwarepatente ins gleiche Horn. Ein Dorn im Auge ist ihm auch die Ankündigung der EVP-Schattenberichterstatterin Piia-Noora Kauppi, kleine und mittlere Unternehmen (KMU) im Patentwettlauf der Großen besser stellen zu wollen. "Das wäre unsinnig", befindet Sommer und fragt sich, "wann die Leute endlich verstehen, dass KMU überhaupt keine Patente für Softwarelösungen wollen." Andernfalls müssten Entwickler Verwertungsrechte in Form von Lizenzen erwerben, die sie momentan durch das Urheberrecht bei Eigenentwicklungen automatisch besitzen.
Auch Hartmut Pilch, Vorstand des Fördervereins für Freie Informationelle Infrastruktur (FFII) will nun "auf der nationalen Ebene weiter den Druck auf das Europäische Patentamt verstärken." Die von der Behörde verursachten Probleme "arbeiten für uns", gibt sich der Softwarepatentgegner optimistisch. Die "wirtschaftliche Mehrheit" , die laut FFII keine breite Monopolansprüche auf Computerprogramm will, werde sich immer weiter "ihrer Kraft bewusst werden", während die "Patentbeamten bald nicht mehr Herren des Verfahrens" seien. In diesem Stadium werde die Zeit für eine erneute Einigung auf der europäischen Ebene reif sein.
Die Parlamentarier reagierten mit dem Ziehen der Notbremse auch auf eine "Lobbyfehde ohne Beispiel", die der heutigen Entscheidung voranging, wie der CSU-Abgeordnete Joachim Wuermeling sagt. Befürworter und Gegner der Ratsversion hatten sich in den vergangenen drei Monaten eine teilweise unter die Gürtellinie und mit gezinkten Karten spielende Kampagne geliefert. Beide Seiten hatten mit dem Verlust von Millionen von Arbeitsplätzen und dem Aus für die innovative Hightech-Wirtschaft Europas argumentiert -- die einen aus der Perspektive der patentfreudigen Großindustrie, die anderen aus der Sichtweise des auf das Urheberrecht als Schutz von Programmcode setzenden Mittelstands.
Die Lobbyschlacht dauerte bis zur gestrigen Debatte im Rahmen der 2. Lesung unvermindert an: Früh wurden die Abgeordneten beim Betreten des Parlamentsgebäudes bereits von heftig gestikulierenden Demonstranten aus dem FFII-Umfeld in gelben T-Shirts und der Aufschrift "Power to the Parliament -- No Softwarepatents" begrüßt. Die Campaign for Creativity, die mit ihrer intransparenten Unterstützerschar für breite Softwarepatente die Aufmerksamkeit von Lobby-Watchdogs auf sich zog, hatte dagegen eine kleine Jacht mit dem Plakat "Stimmen Sie für die Richtlinie: Patente = Europäische Innovation" unter dem Flussübergang postiert, der die Sitzungs- und Arbeitsgebäude des Parlaments verbindet. Rasch mieteten die FFII-Anhänger daraufhin eine Reihe Kajaks, auf denen sie Transparente mit dem Motto "Softwarepatente töten die Innovation" neben dem Motorboot zur Schau stellten. Nicht alle Abgeordneten goutierten die Aktion: der CDU-Abgeordnete Werner Langen bezeichnete sie als "Erpressungsversuch" und beschimpfte Softwarepatentgegner als "Handlanger" asiatischer und amerikanischer Wirtschaftsinteressen. Zu den stärksten Befürwortern der Ratslinie hatten aber Konzerne wie die Business Software Alliance (BSA) gehört, die US-Größen wie IBM, Intel oder Microsoft vertritt und seit längerem beim Schutz "geistigen Eigentums" an einem Import des US-amerikanischen Rechtssystems in der EU arbeitet.
Zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente in Europa und die EU-Richtlinie zur Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" siehe den Artikel auf c't aktuell (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den aktuellen Meldungen):
(Stefan Krempl) / (jk)