EuGH-Generalanwalt: Nationale Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung rechtswidrig

Vorschriften in Belgien, Frankreich und Großbritannien zum anlasslosen Protokollieren von Nutzerspuren verletzten das EU-Recht, erklärt ein Topjurist vom EuGH.

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EuGH-Generalanwalt: Nationale Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung sind rechtswidrig

(Bild: asharkyu/Shutterstock.com)

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Eine anlasslose und gegen alle gerichtete Vorratsdatenspeicherung ist und bleibt in der EU verboten. Daran hat der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof (EuGH), Campos Sánchez-Bordona, die Gesetzgeber in Belgien, Frankreich und Großbritannien erinnert. Laut seinen am Mittwoch vorgelegten Schlussanträgen in mehreren viel beachteten Fällen verstoßen die dortigen nationalen Bestimmungen zum anlasslosen Protokollieren von Verbindungs- und Standortdaten inklusive IP-Adressen gegen die in der EU verbrieften Grundrechte.

Geklagt hatten in Großbritannien und Frankreich jeweils vor nationalen Gerichten unter anderem die Bürgerrechtsorganisationen Privacy International und La Quadrature du Net sowie das French Data Network. In Belgien waren die dortige Kammer der französisch- und deutschsprachigen Rechtsanwaltschaften, die Académie Fiscale, die Liga voor Mensenrechten und die Ligue des Droits de l’Homme sowie eine Reihe von Einzelpersonen vor den belgischen Verfassungsgerichtshof gezogen. Im Vereinigten Königreich dreht sich der Streit um weitgehende Spionagebefugnisse der Geheimdienste, in den beiden anderen Ländern um allgemeine Gesetze zur inneren Sicherheit.

Sánchez-Bordona betont in seiner Stellungnahme, dass eine "allgemeine und unterschiedslose Aufbewahrung aller Verbindungs- und Standortdaten aller Kunden und registrierter Nutzer unverhältnismäßig ist". Vor allem die einschlägigen Auflagen für Provider in Frankreich gehen laut dem Spanier viel zu weit und verletzen daher die in der Grundrechtecharta verbrieften Freiheiten "besonders schwer". Ähnlich kritisch beäugt er die umstrittenen belgischen und britischen Gesetze.

Die Schlussanträge des Generalanwalts sind für den Gerichtshof nicht bindend, oft folgen die Richter aber der vorgezeichneten Linie. Mit ihrer Entscheidung ist in einigen Monaten zu rechnen. Der Generalanwalt bewegt sich mit seinem Plädoyer auch ganz auf der bisherigen EuGH-Linie. Die Luxemburger Richter hatten 2014 und 2016 klar geurteilt, dass eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung unvereinbar mit den Grundrechten der Gemeinschaft ist.

Trotzdem suchen die EU-Regierungen über den Ministerrat nach Möglichkeiten, doch wieder im Interesse der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr im großen Stil auf Verkehrsdaten zugreifen zu können. Dabei geht es sogar um Informationen zur Länge der genutzten Antennen, zur Verbindungsqualität und um Angaben zur Zahl der Klingeltöne von Nutzern. Die EU-Kommission hatten die Mitgliedsstaaten schon im Juni aufgefordert, in einer Studie möglicherweise verbliebene Optionen zu einer "grundrechtskonformen Vorratsdatenspeicherung" auszuloten. Seitdem war aus Brüssel dazu nicht mehr viel zu hören.

Privacy International begrüßte das Gutachten des Topjuristen als "Sieg für die Privatheit". Alle Bürger profitierten von starken Deklarationen der Grundrechte. Die Initiative European Digital Rights (EDRi) mahnte die Kommission, die neue starke Botschaft gegen rechtswidrige Auflagen zur Vorratsdatenspeicherung ernst zu nehmen. Verbrechen und Terrorismus dürften nicht auf Kosten von Grundfreiheiten bekämpft werden. Der Vorstandsvorsitzende des eco-Verbands der Internetwirtschaft, Oliver Süme, zeigte sich überzeugt, dass der EuGH "dem Votum des Generalanwalts folgen und der Vorratsdatenspeicherung erneut eine Absage erteilen" werde. Die deutschen Regeln zur Vorratsdatenspeicherung sind momentan im Lichte der EuGH-Rechtsprechung ausgesetzt und zugleich "Gegenstand von Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht und vor dem Bundesverfassungsgericht. (mho)