G20-Akkreditierungsentzug: Journalistenverbände beklagen Versagen und Willkür der Behörden

Verwechslungen und Jugendsünden haben nach ersten Entschuldigungsschreiben der Bundesregierung dazu geführt, dass Zugangsberechtigungen von Pressevertretern für den G20-Gipfel aufgehoben wurden.

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G20-Akkreditierungsentzug: Journalistenverbände beklagen Versagen und Willkür der Behörden

Demo während des G20-Gipfels in Hamburg

(Bild: fiction of realityCC BY 2.0)

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Inhaltsverzeichnis

Sechs Wochen nach dem G20-Gipfel sind erste Journalisten vom Bundespresseamt aufgeklärt worden, warum ihnen ihre zunächst gewährte Akkreditierung nach ersten Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten in Hamburg wieder entzogen wurde. Was insbesondere beim Bundeskriminalamt (BKA) an Informationen über sie gespeichert war und offenbar ist, hat sich laut ARD-Berichten vom Wochenende "als toxisches Datengebräu" erwiesen.

Grobe Verwechslungen und lässliche Jugendsünden – etwa die Teilnahme an einer Plakataktion der Umweltorganisation Robin Wood mit einem eingestellten Verfahren wegen Hausfriedensbruch – seien als Gründe für das ungewöhnliche Vorgehen genannt worden.

Den NDR-Journalisten Christian Wolf hat das BKA für einen Reichsbürger gehalten, heißt es beim Hauptstadtstudio der ARD. Zum Hamburger Polizeireporter Frank Bründel habe die Polizeibehörde zunächst die falsche Auskunft übernommen, dass er bei einer Demo am 1. Mai als Angehöriger einer "gewaltbereiten Bewegung" festgenommen worden sei. Erst im Nachgang habe das Landeskriminalamt in Hamburg mitgeteilt, dass die Aufnahme auf die schwarze Liste "auf einer unrichtigen Erkenntnislage" des Landesamts für Verfassungsschutz beruht habe.

Dem Berliner Fotografen Florian Boillot soll zum Verhängnis geworden sein, dass er bei einer Protestkundgebung gegen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin im März 2016 mit einer Polizistin aneinandergeraten sei und sich über deren Verhalten habe beschweren wollen. Trotz "Freispruch erster Klasse" sei der einschlägige Eintrag beim BKA erst 2026 für eine Überprüfung vorgemerkt.

Das Netzwerk Recherche hat das damit dokumentierte "Versagen des Bundespresseamts, des Bundeskriminalamtes und anderer Sicherheitsbehörden" scharf kritisiert. Es würden Abgründe im Umgang der offiziellen Stellen mit den Rechten von Journalisten sichtbar sowie "ein erstaunliches Maß an Verachtung rechtsstaatlicher Prinzipien", beklagt die Vorsitzende des Vereins, Julia Stein. Es sei nicht hinnehmbar, dass sich die Behörden auf Verfahren bezögen, die von Gerichten eindeutig zugunsten der Kollegen entschieden worden seien: "In der Konsequenz bedeutet das, dass Journalisten sich nicht mehr gegen unrechtmäßiges Verhalten von Polizisten und Behörden wehren können – weil sie sonst Gefahr laufen, ins Visier der Behörden zu geraten."

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) forderte den Innenausschuss des Bundestags auf, sich mit den Einträgen von Pressevertretern in der BKA-Datei "politisch motivierte Kriminalität" zu befassen. Es handle sich dabei um "reine Behördenwillkür ohne Realitätsbezug", monierte der DJV-Chef Frank Überall. Es müsse endlich Schluss damit sein, "Journalisten mit Straftätern in einen Topf zu werfen".

Die Gewerkschaft ver.di rügte, dass "das skandalöse Vorgehen der Behörden um die Akkreditierungspraxis" beim G20-Gipfel nicht abreiße. Es handle sich um "unhaltbare Vorgänge", die aufzeigten, "auf welch fragwürdiger Grundlage die Behörden gearbeitet haben". Die Arbeitnehmervertretung hat in acht von insgesamt 32 Fällen Rechtsschutz gewährt und unterstützt betroffene Mitglieder mit einer sogenannten Fortsetzungsfeststellungsklage vor dem Verwaltungsgericht Berlin. Damit soll die Rechtmäßigkeit des Vorgehens durch das Bundespresseamt geklärt werden, das letztlich für den Entzug der Akkreditierungen verantwortlich ist. Die Mehrzahl der Betroffenen wartet trotz anders lautender Versprechungen weiter auf Auskunft.

Auch der frühere Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar, Ex-Bundesverfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem und der Bochumer Strafrechtsprofessor Tobias Singelnstein ziehen das Vorgehen der Behörden stark in Zweifel. Sie befürchten einen Wildwuchs in den einschlägigen Verbunddateien von Bund und Ländern, eine ungebührlich lange Speicherpraxis sowie eine mangelhafte Kontrolle des sensiblen Datenbestands. Die damit verknüpften Verstöße etwa gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung seien eklatant. Die Vorgänge zeigten, welcher Automatismus durch den Eintrag in eine Datei entstehe und welche massiven Folgen damit verknüpft sein könnten. Nicht ausgeräumt sei zumindest in einem Fall zudem der Verdacht der Einflussnahme türkischer Sicherheitsbehörden. (jk)