Happy Birthday, Bing: Microsofts "Entscheidungsmaschine" wird 10

Vor zehn Jahren ging Bing online und forderte Google heraus. Doch würden die Nutzer tatsächlich bingen oder weiterhin lieber googeln?

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Happy Birthday, Bing: Microsofts "Entscheidungsmaschine" wird 10

Bada Bing! Die Suchmaschine feiert ihren 10. Geburtstag.

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Lange Zeit war Bing vor allem der seltsame Nachname von Chandler, einem Charakter aus "Friends", der sarkastische Kommentare liebt. Dann kam eine neue Suchmaschine, die auch so hieß – also Bing, nicht Chandler. Intern nannten die Entwickler Bing erst noch Kumo; das ist Japanisch für Spinne und Wolke (Cloud!). Die kleinen Webcrawler der Suchmaschinen krabbeln nämlich wie Getier durchs Netz auf der Suche nach Webseiten. Am Ende hieß Kumo dann aber Bing, weil sich das gut anhört. Bing: Das klingt auch nach einem "Moment der Entdeckung", erläuterte der Bing-Blog zum bevorstehenden Bing-Start.

Zehn Jahre ist das nun schon her: Am 1. Juni 2009 ging Bing online, ein paar Tage zu früh, aber Microsoft war wohl ungeduldig, wollte es endlich mit Google aufnehmen. Die Vollversion mit allen Funktionen gab es zunächst aber nur in den USA, erst später auch in den anderen Ländern. (Allein an der UK-Fassung beispielsweise waren anfangs 60 Entwickler beteiligt.)

Bing ist der Nachfolger von Windows Live Search, das allerdings nie den allergrößten Erfolg hatte. Das sollte bei Bing anders laufen, also startete Microsoft eine große Werbekampagne in den USA mit Online- und Print-Anzeigen sowie Fernsehspots. Sie sollten den Leuten die neue Suchmaschine schmackhaft machen und die Aufholjagd auf Google starten.

Der neue Name der Suchmaschine war kurz, gut zu merken und funktionierte weltweit. Microsoft "hat nie bestätigt, dass der Name für Bing Is Not Google steht, aber das ist so ein Scherz, den Entwickler mögen", schrieb Jack Schofield im Guardian zum Start von Bing. Der Computer-Redakteur war allerdings einigermaßen skeptisch, was die Marktchancen von Bing anging: "Ich bezweifle, dass Bing Yahoo geschweige denn Google überholen kann". Immerhin täten Innovation dem Suchmaschinen-Markt gut, Konkurrenz belebt das Geschäft. (Wobei man merkt, wie lange 10 Jahre sein können: Wer redet heute noch von Yahoo?)

Bing bot den Nutzern viele interessante Funktionen und avancierte zum Vehikel für Künstliche Intelligenz (KI) und maschinelles Lernen. Offene Programmierschnittstellen (APIs) beglückten all jene, die sich mit der Suchmaschinenoptimierung (SEO) befassten. Auch für Forschungszwecke sei das API von Bing sehr wertvoll, meint "Search Scientist" Russ Jones.

Bing wollte eine "Entscheidungsmaschine" sein, die zum Beispiel bei der Urlaubsrecherche hilft oder beim Kauf von Fernsehern, Computern und was nicht alles. Einzelne Fragen beantwortete Bing direkt: Wer eine Flugnummer ins Suchfeld tippte, bekam sofort aktuelle Fluginformationen zu sehen. "Die Suchfunktionen für Bilder und Videos gehören zu den Stärken von Bing", schrieb c't-Redakteur Jo Bager am 2. Juni 2009 in seinem Ersteindruck. Alles in allem überzeuge Bing mit guten Ergebnissen und sinnvollen Funktionen.

Bing 2009: Schon damals gab es hübsche Hintergrundbilder.

(Bild: Microsoft)

Microsofts Anspruch war und ist es, mit Bing relevantere und verfeinerte Inhalte als die Konkurrenz zu liefern. Die Konkurrenz war und ist natürlich: Google. Wer diesen Goliath herausfordert, hat es schwer, viele sind gescheitert, etwa der ehrgeizige Herausforderer Cuil. Der wollte Google 2008 übertrumpfen, ging aber zwei Jahre später schon wieder offline – und geriet in völlige Vergessenheit. Niemand wollte "cuilen", alle googelten. Würden die Leute aber auch "bingen"?

Bing jedenfalls wollte nie in die Nische, sondern ebenfalls Google Paroli bieten. Microsoft investierte viel Geld ins Marketing und in die Entwicklung – durchaus mit Erfolg, die Bemühungen trugen Früchte. Bereits 2010 gehörte Bing zu den drei meistbesuchten Suchmaschinen. Es folgten Kooperationen zum Beispiel mit Yahoo, das im Sommer 2010 Ergebnisse von Bing übernahm und seinen eigenen Index abschaltete. (Noch heute befüllt Bing die Suchergebnisseiten von Yahoo.) Bing arbeitete außerdem zusammen mit Ecosia, Facebook und Baidu und schloss einen Deal mit Firefox. Der Browser erschien in einer Version, in der Bing Google als voreingestellte Suchmaschine ersetzte. (In der normalen Version ist Google die Standardsuchmaschine.)

Bing schlug sich ganz tapfer – doch konnte die Suchmaschine Google verdrängen, oder zumindest gefährlich werden? Nicht wirklich. Es lief zwar besser als bei den Vorgängern von Bing, mit denen Microsoft bei den Nutzern nie punkten konnte. Doch gegen Googles deutliche Dominanz konnte Bing weltweit nicht viel ausrichten. Immerhin gewann die Suchmaschine in den USA zügig an Popularität und erreichte einen zweistelligen Marktanteil von 14,1 Prozent (ComScore). Wirklich relevant war Bing aber nie, viele sahen in dem Angebot lediglich eine billige Google-Kopie. Heute liegt der Marktanteil in den USA bei rund 10 bis 11 Prozent, während Yahoo bei 5 bis 6 Prozent herumdümpelt. Unangefochtene Nummer Eins ist Google mit 82 bis 83 Prozent. Gut für die Vielfalt ist das nicht.

Stillstand gibt es bei Bing nicht, 2012 gab es beispielsweise ein großes Redesign. Ende 2017 kündigte Microsoft an, dass Bing künftig schlauer suchen werde: Dank Künstlicher Intelligenz (KI) sollte die Suchmaschine zügiger antworten und umfassender informieren. Die Interaktion mit Bing sollte zudem natürlicher ablaufen. Bing weiß zum Beispiel, dass ein Stück Pizza 137 Kilokalorien hat und dass Genussmenschen 11 Minuten joggen müssen, um diese wieder loszuwerden. Die Nutzer in Deutschland musste aber wieder einmal warten: Die neuen, schlauen Funktionen waren zunächst nur in der englischen Version verfügbar.

In die Kritik geriet Bing jüngst, als eine Studie offenbarte, dass die Suchmaschine nicht nur Bilder zu sexuellem Kindesmissbrauch anzeigte – sondern bei bestimmten Eingaben sogar als Alternative vorschlug. Die schlaue Technik hatte versagt, insbesondere die automatisierte Filtertechnik PhotoDNA, die schon seit Jahren von vielen großen Plattformen eingesetzt wird. Microsoft ergriff sofort Maßnahmen, um ähnliche Rechtsverletzungen künftig zu verhindern – eine große Herausforderung, die bleibt.

Kritik gab es auch, weil Bing in China die Suchergebnisse zensiert, also die Vorgaben der chinesische Regierung beachtet. "Ist ein gutes Geschäft für ein westliches Unternehmen wichtiger als die Menschenrechte?", fragte die Süddeutsche Zeitung. China sperrt grundsätzlich alle Dienste von Google, das sich nicht an Zensurvorgaben halten will, sowie diverse soziale Netzwerke wie Twitter, YouTube, Facebook oder WhatsApp.

"So wie ich sage, dass wir den Wettbewerb bei PCs begrüßen, bin ich mir sicher, dass auch der Marktführer im Bereich der Suche den Wettbewerb begrüßt", meinte der damalige Microsoft-Chef Steve Ballmer laut Gizmodo. Den Wettbewerb wolle man gern liefern, ergänzte er. Bing ist tatsächlich erfolgreicher als andere in einem Gebiet, in dem eine starke Konkurrenz herrscht. Außerdem ist die Suchmaschine nur eines von vielen Produkten von Microsoft, hat also weniger Ressourcen als Google.

Ob der Suchgigant Bing aber als ernsten Konkurrenten einstuft? Ein bisschen verzweifelt wirkt es ja schon, dass Bing seine Nutzer sogar belohnt, wenn sie mit Bing recherchieren. Das "Microsoft Rewards"-Programm vergibt Punkte "bei jeder Suche mit Bing" und veranstaltet Gewinnspiele als Dank. Wie dem auch sei: Bing wird noch eine Weile bleiben, sich weiterentwickeln und besser werden. Zur Nummer Eins ist es aber noch ein langer Weg. (dbe)