IJCAI-Konferenz, 2. Tag: Künstliche Intelligenz muss sozial sein

Für einen Dialog mit Menschen muss künstliche Intelligenz soziale Fertigkeiten erlernen. In Stockholm berichten Forscher darüber, wie das gelingen kann.

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Auge, Künstliche Intelligenz, KI

(Bild: Orlando, gemeinfrei (Creative Commons CC0))

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske
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Am zweiten Tag der ICJAI-Konferenz zu künstlicher Intelligenz (KI) in Stockholm stand vor allem die soziale Kompetenz von KI-Systemen im Mittelpunkt. muntu ngubuntu ngabantu – das ist Zulu und bedeutet ungefähr: Eine Person ist nur durch andere Personen eine Person. Frank Dignum (Utrecht University) wollte mit diesem Satz unterstreichen, wie sehr die Forschungen zur KI sich immer noch an der westlichen Kultur orientieren. Vor allem aber ging es ihm um die soziale Dimension des Denkens, die bislang noch zu wenig berücksichtigt werde.

"Derzeit wird viel über maschinelles Lernen diskutiert", sagte Dignum zur Einführung in den erstmals veranstalteten Workshop on Socio-Cognitive Systems im Rahmen der IJCAI (International Joint Conference on Artificial Intelligence) in Stockholm. "Aber wenn sich das abgekühlt hat, was kommt dann als nächstes?" Der von ihm gemeinsam mit Bruce Edmonds (Manchester Metropolitan University) organisierte Workshop, mit dem zugleich eine neue Zeitschrift ins Leben gerufen wurde, sollte die Verschränkungen von sozialen und kognitiven Systemen als neues Forschungsfeld etablieren.

Es gehe darum, die soziale Realität in die KI einzubetten. Wenn KI sich mehr und mehr vom Werkzeug zum Partner entwickle, müssten Qualitätskriterien angepasst werden. Es gehe dann nicht mehr um optimale, sondern um akzeptable Entscheidungen, die nicht in einer Black Box gefällt werden, sondern nachvollziehbar sein müssen. Aus Aktion werde Interaktion und unmittelbare Effekte würden gegenüber langfristigen sozialen Effekten in den Hintergrund treten.

Derzeit konzentriere sich die KI-Forschung noch auf Basisfähigkeiten und füge soziale Fertigkeiten erst später hinzu, betonte Virginia Dignum (TU Delft). Das Soziale sei aber keine simple Zugabe, sondern gehöre zum Wesenskern der Intelligenz. Die Herausforderung bestehe darin, die Bausteine der sozialen Intelligenz zu identifizieren. Dafür stützt sie sich auf die Theorie sozialer Praktiken des Soziologen Andreas Reckwitz, konnte in ihrem Vortrag aber noch keine überzeugenden Ergebnisse präsentieren.

Es ist halt ein junges Forschungsgebiet, das zunächst noch sein Gebiet abstecken muss. So berichtete Prashan Madumal (University of Melbourne) von detaillierten Untersuchungen zum Ablauf von Erklärungen: Wenn KI zukünftig nachvollziehbar sein und sich selbst erklären können solle, sei es notwendig, den Prozess der Erklärung zwischen Menschen genau zu verstehen. Dazu hat Madumal mit seinem Forschungsteam 398 erklärende Dialoge analysiert und verschiedene Abläufe mit Bestätigungen, Rückfragen und Einwänden identifiziert. Das daraus abgeleitete Modell soll jetzt im Dialog von Mensch und KI getestet werden.

Andere Teilnehmer des Workshops konzentrierten sich auf potenzielle Anwendungen der Forschungen zu sozio-kognitiven Systemen. So hat Milind Tambe (University of Southern California) verschiedene Algorithmen getestet, um herauszufinden, wie sich unter Obdachlosen in Los Angeles möglichst umfassend das Wissen über Schutzmaßnahmen vor HIV-Infektionen verbreiten lässt. Dabei habe sich gezeigt, so Tambe, dass das Independent Cascade Model zur Ausbreitung von Informationen in Netzwerken sich in der physischen Realität nicht bewährte.

Entgegen den Erwartungen seien auch isolierte Personen informiert worden. Das Kommunikationsnetzwerk der Obdachlosen habe sich offenbar durch die Aktivität selbst auf unvorhersehbare Weise verändert. Ähnliche Beobachtungen hatte Bruce Edmonds gemacht, als er versuchte, mit Netzwerksimulationen die Entscheidung der Briten für den Austritt aus der EU nachzuvollziehen.

Rijk Mercuur (TU Delft) will mithilfe von KI dem Krankenhausmanagement helfen, Überlastungen in der Notaufnahme in den Griff zu bekommen. Und Antonio Perelló-Moragues (IIIA-CSIC, Barcelona) möchte KI in der Politikberatung nutzen, wie er an Beispielen zur Nutzung von Wasser in der Landwirtschaft verdeutlichte.

Alle Vorträge zusammen bestätigten die Einschätzung, die Frank Dignum in seiner Einführung gegeben hatte: "Es ist ein aufregendes neues Forschungsfeld, das große Wirkung entfalten kann. Vielleicht wird es aber auch ein großer Reinfall. In zehn Jahren wissen wir mehr." (tiw)