Impfstoff gegen Corona: Erster Kandidat schon nach 63 Tagen im Test

Weltweit arbeiten immer mehr Forschungsgruppen an Impfstoffen gegen SARS-Cov-2. Eine neue Methode könnte die Herstellung dramatisch beschleunigen.

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Impfstoff gegen Corona: Erster Kandidat schon nach 63 Tagen im Test

(Bild: creativeneko / Shutterstock.com)

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Weltweit haben bereits 70 Arbeitsgruppen Impfstoffe gegen das neuartige Corona-Virus in Arbeit (SARS-Cov-2). Drei Impfstoffkandidaten unterzieht man schon klinischen Tests, der erste läuft seit Mitte März. Das führt die Weltgesundheitsorganisation, WHO, in einer kürzlich veröffentlichten Übersicht auf. Das klingt ermutigend, besonders wenn man bedenkt, dass die Sequenz des Corona-Virus-Erbguts erst am 11. Januar 2020 veröffentlicht worden ist.

Die Kenntnis der Erbgutsequenz ist eine Grundvoraussetzung, um moderne und schnelle Methoden der Impfstoffentwicklung anwenden zu können. Anhand der Sequenz weiß man aus welchen Bestandteilen das Virus aufgebaut ist und kann die einzelnen Erbgutelemente (Gene) und Eiweiße (Genprodukte) mit üblichen Methoden einzeln herstellen und analysieren. Für die Forschung an den Einzelteilen sind keine hohen Schutzmaßnahmen erforderlich, weil diese ja nicht ansteckend sind, sondern nur das komplette Virus. Und anhand der Sequenz kann man Kandidaten für die Herstellung von Impfstoffen isoliert untersuchen oder auch Schwachpunkte des Virus suchen, um Medikamente dagegen zu entwickeln.

Dennoch fragt man sich, weshalb sich so viele Arbeitsgruppen der Impfstoffentwicklung widmen. Es scheint ökonomischer und schneller, wenn alle an einem einzigen Impfstoff arbeiten würden. Doch in der Regel weiß man erst am Ende aller Testphasen, ob sich ein Impfstoffkandidat tatsächlich eignet. Zudem gibt es etliche Methoden, Impfstoffe herzustellen und abgesehen von verschiedenen Vorzügen und Nachteilen, kann man so Impfstoffe mit unterschiedlichen Eigenschaften entwickeln. Laut der WHO werden weltweit bisher mindestens acht verschiedene Methoden angewendet, um Impfstoffe herzustellen (Inactivated, Live Attenuated Virus, Replicating Viral Vector, Non-Replicating Viral Vector, DNA, RNA, Protein Subunit, VLP).

Beispielsweise sind Impfstoffe mit unterschiedlich starker Immunantwort wünschenswert. Im Falle von SARS-Cov-2 hofft man, dass man auch Impfstoffe entwickeln kann, die sich für Menschen mit geschwächtem Immunsystem oder Schwangere und Kinder eignen. Auch hängt von der verwendeten Methode möglicherweise die Dauer der Immunität ab, zu der eine Vakzine verhilft. Zum Beispiel richtet man die oben genannte RNA-Methode spezifisch gegen ein einziges Strukturmerkmal des Corona-Virus aus. Ein guter Kandidat ist das Spike-Protein, mit dem das Virus an eine Wirtszelle andockt. Sollte sich aber das Viruserbgut im Laufe der Zeit so ändern, dass es ein verändertes Spike-Protein produziert, ist es vorstellbar, dass ein RNA-basierter Impfstoff nicht mehr funktioniert. Auch daher kann es also nützlich sein, mehrere unterschiedliche Impfstoffe zu haben.

In ersten Stellungnahmen gingen die meisten Fachleute davon aus, dass Impfstoffe erst ab Mitte 2021 zur Verfügung stehen. Allerdings wäre schon das im Vergleich zur bisherigen Vakzinenentwicklung sehr schnell. Bisher brauchte man mit herkömmlichen Methoden im Mittel rund 10 Jahre dafür. Zuletzt hat sich die Herstellung aber beschleunigt. Der erste Impfstoff gegen das fast immer tödliche Ebola-Virus war nach rund 5 Jahren einsatzbereit.

Die aktuelle Suche nach einem Impfstoff wird durch die neue RNA-Technik extrem beschleunigt. Man betritt damit allerdings auch Neuland. Erste Studien für Impfstoffe gegen andere Viren sind nur kurz vor dem Ausbruch von SARS-Cov-2 angelaufen. Um das Tempo weiter zu beschleunigen, kürzen manche Labore die Tierversuche ab oder starten sie parallel zu Untersuchungen am Menschen.

Das US-Unternehmen Moderna hat als Erstes einen Impfstoffkandidaten ins Rennen geschickt, den es mittels der RNA-Technik erzeugt hat. Seit Mitte März prüft man ihn unter klinischen Bedingungen. Es ging aber im allgemeinen Nachrichtentrubel etwas unter, wie schnell die Entwicklung gemessen an bisher üblichen Zeiträumen ist: Ab der Wahl des Impfstoffkandidaten bis zur Verabreichung an den ersten menschlichen Teilnehmer habe die Produktion von testtauglichen Kleinmengen nur 63 Tage gedauert.

Das ist nicht allein der Verdienst von Moderna, sondern liegt hauptsächlich an der gewählten Methode, die andere Forschungsgruppen mitentwickelt haben. Moderna ist hier immerhin primus inter pares, der Erste unter Gleichen. Gegenwärtig wird der Wirkstoff der US-Firma an weiteren 45 Testteilnehmern zwischen 18 und 55 Jahren untersucht. Sie erhalten zwei Spritzen im Abstand von 28 Tagen. In dieser Phase-1-Studie prüft man, ob der Impfstoff verträglich und sicher ist.

Bei bisherigen Methoden wird ein Impfstoff über indirekte Wege erzeugt, etwa indem man typische Oberflächenmerkmale eines Erregers (z. B. das Spike-Protein des Corona-Virus) auf ein fremdes Viruspartikel pflanzt, das unschädlich ist. Die Techniken dafür sind zwar ausgefeilt, aber aufwendig und teuer.

Der Clou der RNA-Methode besteht darin, dass man vom Corona-Erbgut ein Stückchen synthetisiert und als Matrize einsetzt (Messenger-RNA, kurz mRNA), um zum Beispiel das Spike-Protein direkt von den Zellen erzeugen zu lassen. Das Spike-Protein ist nicht infektiös, kann also keinen Schaden anrichten und eine geeignete Matrize lässt sich heute schnell und mit geringem Aufwand synthetisieren.

Verpackt man die Matrize in Lipid-Nanopartikel und spritzt sie in lebendes Gewebe, nehmen die Zellen die Lipid-Nanopartikel selbstständig auf, transportieren sie ins Innere (Cytosol), entpacken die Matrize und stellen anhand dieser das Spike-Protein selbstständig und in hoher Kopienzahl her. Anschließend bauen sie die Matrize auf üblichem Weg selbst ab. Die produzierten Spike-Proteine werden wiederum über übliche Transportwege zur Membran und aus der Zelle hinausbefördert. Wenn dann alles so klappt wie auf dem Papier, folgt die Immunantwort des Organismus und das Abwehrsystem wird gegen Corona scharfgeschaltet.

Die Methode kann aus diversen Gründen scheitern oder zu schwache Immunantworten liefern. Beispielsweise hängt es vom Reinheitsgrad der mRNA ab, ob diese von Zell-eigenen Abwehrmechanismen geduldet oder vor dem Ablesen zerkleinert wird. Und von der genauen Sequenz und Komposition der mRNA hängt ab, ob die Zelle wie erwünscht viele Kopien des Spike-Proteins erzeugt, die dann eine starke Immunantwort induzieren.

Unter anderem deshalb muss sich die Vakzine von Moderna in künftigen klinischen Tests bewähren. Wenn das gelingt, könnte sie in etwa 12 bis 18 Monaten auf den Weltmarkt gebracht werden, meldet Moderna. In Ausnahmefällen könne sie vielleicht schon ab Herbst 2020 an besonders gefährdete Personen aus dem Gesundheitssektor verabreicht werden, sofern das die klinische Datenbasis rechtfertigt und US-Gesundheitsbehörden den Einsatz genehmigen.

Vor einer allgemeinen Zulassung muss sich Modernas Impfstoff so wie andere Kandidaten in einer zweiten Phase mit weit mehr Testpersonen bewähren. Danach kann es eine Weile dauern, bis eine erwiesenermaßen funktionierende Vakzine in großen Mengen verfügbar wird, denn manche Forschungsunternehmen haben noch keine Erfahrung mit der Massenproduktion. Dazu gehört auch Moderna; das Unternehmen baut die Infrastruktur laut eigenen Aussagen gerade erst auf.

Sollte sich die RNA-Methode in der Praxis bewähren, dürfte sie künftig die Impfstoffherstellung gegen andere Erreger drastisch beschleunigen und damit revolutionieren. Eine "Fertigungsstraße" kann dann mit minimalem Änderungsaufwand verschiedene RNA-basierte Impfstoffe gegen unterschiedliche Erreger produzieren. (dz)