Impressionen von der SPIEL 2018: Gesellschaftsspiele für Nerds und Geeks
Weg von Bildschirm und Controller, hin zu Würfeln und Karten. Die SPIEL-Messe zeigt Neuheiten bei IT-affinen Brett-, Karten- und Tabletop-Spielen.
Ende Oktober 2018 fand, wie jedes Jahr, die SPIEL in Essen statt – eine der weltweit größten Messen für Gesellschaftsspiele aller Art. Hunderte internationaler Spieleentwickler, Hersteller, Publisher und Künstler stellten Karten-, Brett- und Tabletopspiel-Neuheiten vor. Viele davon sind auch der Tech- und IT-Welt nahe – sei es, weil sie ihre Wurzeln in der Videospielwelt haben, App-Anbindung bieten oder die Digitalisierung innovativ für sich nutzen.
Wir haben einen zweitägigen Rundgang gemacht und neben ein paar neuen Games für den privaten Spieleschrank viele Impressionen mitgebracht.
SPIEL 2018 (37 Bilder)
Spiele für Retro-Fans
Retro-Gaming ist im Trend. Das merkt auch die Brettspielbranche, und es schlägt sich auf dem Spieltisch beispielsweise mit der 8Bit-Box von IELLO, Powerup von Tempus Fugit Games oder Boss Monster von Brotherwise Games nieder. Während letzteres ein kurzweiliges Kartenspiel mit Artwork in Pixeloptik ist, bei dem man ähnlich wie bei Dungeon Keeper Fantasyhelden in tödliche Fallen und die Arme der namengebenden Bossmonster treibt, ahmt Powerup klassische SciFi-Plattformer-Action in 2D nach.
Die 8Bit Box hebt hingegen Retro-Mehrspielerpartien auf die Meta-Ebene. Aufgemacht wie eine alte Spielekonsole enthält sie neben diversen generischen Spielkomponenten wie Würfeln und Spielsteinen acht „Gamepads“ für ebenso viele Spieler sowie drei „Cartridges“ – die eigentlichen Spiele: ein Pacman-Klon, ein Rennspiel und eine klassische Olympiade, alles analog adaptiert. Bei jedem Spiel kommen die Gamepads zum Einsatz, auf denen Spieler im Geheimen Spielbefehle eingeben und dann auf dem Tisch umsetzen. Zusätzliche Erweiterungen sollen später folgen.
Spiele für Indie-Fans
Auch die Videospiel-Indieszene findet so langsam ihren Weg auf den Spieltisch. Superhot und Super Motherload zum Beispiel, waren bis vor einigen Jahren noch eher unbekannte Geheimtipps für Gamingfans, die man nur als Beta- oder Browser-Version spielen konnte. Den ungewöhnlichen Zeitlupen-Shooter gibt’s nun auch als Superhot-Kartenspiel von Board&Dice, bei dem man mit Spielkarten in aus dem Videospiel bekannter Polygon-Optik Feinde und Hindernisse überwindet, während man selbst deren Angriffen mit gutem Timing ausweicht.
Beim Super Motherlode-Brettspiel von Roxley Games bohrt man wie bei der Browsergame-Vorlage nach Schätzen und Rohstoffen unter der Marsoberfläche.
Gamedesign selbst gemacht
Gleichermaßen interessant für Spielbegeisterte, Kreative, Programmierer sowie spielbegeisterte, kreative Programmierer sind „Brettspiel-APIs“ wie das Board Game Creative Kit von der passend benannten Games Factory oder das Designer’s Kit von WinGo-Games. Hier bekommt man alle nötigen Komponenten an die Hand, um eigene Brettpiele zu designen: Blanko-Karten, Spielsteine, Würfel mit beschreibbaren Seiten, leere Spielbretter, eine kleine Sanduhr.
Diese verschiedenen Quasi-Programmiersprachen stecken in der Box, man muss nur die eigenen Ideen hinzugeben. Auch zusätzliche Erweiterungen sind erhältlich, die noch mehr Designelemente mitbringen. Hersteller WinGo bietet sogar Services an, selbst entwickelte Spiele hinterher dann wieder professionell zu produzieren.
Algorithmen und Videospiel-Anleihen
Weiterhin lernen Gesellschaftsspiele viel von der Videospielbranche und nutzen die Möglichkeiten der Digitalisierung. Diverse Games tragen irgendwo einen QR-Code als Aufdruck, über dessen Scannen man zu einem Tutorial-Video auf YouTube geleitet wird.
Völlig neue Wege beschreitet Fantasy Flight Games mit dem Entdecker-Brettspiel Discover - Lands Unknown und dem Zweikampf-Kartenspiel KeyForge. In der Produktionskette beider Spiele kommen erstmals Zufalls- und Kompilierungs-Algorithmen im großen Stil zum Einsatz. Die haben zur Folge, dass jedes Discover-Exemplar und jedes KeyForge-Kartendeck in seiner Zusammenstellung einzigartig ist. Unique Game nennt sich dieses neue Quasi-Genre und sorgt dafür, dass Partien abwechslungsreich bleiben.
Wiederum andere Games – wie das Star Wars X-Wing Miniaturenspiel, ebenfalls von Fantasy Flight Games – übernehmen eine weitere große Stärke der Videogames auf den Spieltisch: Updates und Patches. Seitdem das Miniaturenspiel mit den hübschen Raumschiffmodellen auf Edition 2.0 aktualisiert worden ist, befinden sich einige Balancing-Mechanismen in einer zugehörigen App.
Bei X-Wing kostet jede Schiff und jedes Upgrade für dieses eine bestimmte Anzahl Punkte, um sie in einer Partie zu benutzen. Diese In-Game-Kosten sowie weitere Balance-beeinflussende Faktoren finden sich nun in der App – und können von den Entwicklern per Update verändert werden. Das kann besonders für die relativ große Wettkampf-Szene des Spiels relevant werden: Ein bestimmtes Schiff gewinnt alle Turniere am laufenden Band? Über die App werden vom Hersteller einfach die In-Game-Kosten angehoben, um wieder für mehr Spielbalance zu sorgen.
Vom Videospiel zum Tisch – vom Spieltisch zum Bildschirm
Andererseits finden sich immer mehr Brettspiele als digitale Umsetzung auf PCs und Konsolen wieder. So lassen sich etwa Spielabend-Klassiker wie Carcassonne nun auch auf der Nintendo Switch, das Herr der Ringe Kartenspiel via Steam auf dem Computer oder Zug um Zug mithilfe mehrerer Tablets und eines Smart-TVs auf einem großen Flatscreen spielen. Sie alle stammen aus der noch recht neuen Digitalsparte des Brancheriesen Asmodee – wie auch eine digitale Ausgabe des modernen Strategie-Klassikers Scythe.
Und wie jedes Jahr gibt es auch 2018 immer mehr Brettspielumsetzungen bekannter Videospiel-Franchises. Viele Hersteller sichern sich hierfür die Rechte an Videospiel-IPs wie Assassin’s Creed (Assassin's Creed Brotherhood of Venice; Hersteller: Triton Noir) oder Jagged Alliance (Jagged Alliance The Board Game; Hersteller: Underground Games), während Paradox Interactive einige seiner populären Strategiespiele einfach selbst für den Spieltisch produziert, beziehungsweise damit den Umweg über Kickstarter nimmt: Hearts of Iron, Europa Universalis und Crusader Kings.
Erweiterungen, DLCs, Add-ons
Ebenfalls ein Charakterzug, den sich Gesellschaftsspiele schon lange mit ihren digitalen Verwandten teilen: Add-ons, DLCs, Erweiterungen. App-angebundene Spiele wie die zweite Edition von Villen des Wahnsinns (Hersteller: Fantasy Flight Games/Asmodee) bieten neue Spielszenarien und Storys in rein digitaler Form zum Download an. Diese nutzen vorhandene oder optional zu kaufende, physische Spielkomponenten, um das Spielerlebnis zu erweitern. Aber auch rein physische Add-ons gibt’s für viele, selbstverständlich auch Videospiel-affine Games – einige Beispiele von vielen: die eben genannten Retro-Schmankerl Bossmonster und Powerup sowie die Brett- und Kartenspiel-Adaptionen des beliebt-brüchtigten Fantasy-Geduldsfadentesters Dark Souls. Für alle von ihnen gibt’s Erweiterungen, die fiesere Feinde, bessere Items, zusätzliche Spielmechaniken, härtere Schwierigkeitsgrade, neue Herausforderungen mitbringen.
All diese Games, Links zu den zugehörigen Websites und viele weitere Impressionen von der SPIEL 2018 gibt’s in unserer Bildergalerie zu sehen. (jube)