Informatik-Professor: Senioren bleiben von der Digitalisierung abgehängt

In Deutschland gibt es 10 Millionen Menschen im Alter ab 70 Jahren, die noch nie online waren. Das müsse sich ändern, sagt der Bremer Informatik-Professor Herbert Kubicek.

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Informatik-Professor: Senioren bleiben von der Digitalisierung abgehängt

Teilnehmer eines Seniorenprojekts in Erfurt.

(Bild: digitale-chancen.de)

Lesezeit: 3 Min.

"20 Millionen ältere Menschen in Deutschland bleiben bei der Digitalisierung auf der Strecke." So fasst Informatik-Professor Herbert Kubicek vom Institut für Informationsmanagement Bremen (ifib) eine aktuelle Studie der Stiftung Digitale Chancen zusammen. 10 Millionen der Menschen im Alter über 70 Jahre hätten das Internet noch nie genutzt, weitere 10 Millionen hätten noch nie im Internet eingekauft.

Zudem habe sich der Abstand zwischen den Nutzungsquoten der Jungen und Alten – die sogenannte Alterslücke – seit 2001 in dieser Altersgruppe nicht verringert. "Bisherige Maßnahmen haben also offensichtlich keine nachhaltige Wirkung erzielt", meint Kubicek.

In Interviews haben er und Barbara Lippa von der Stiftung Digitale Chancen festgestellt, dass das Haupthindernis der älteren Menschen dabei, sich im Internet zu bewegen, ein "doppeltes Vertrauensproblem" sei. "Wo junge Leute unbekümmert nach dem Prinzip 'Versuch und Irrtum' neue Techniken ausprobieren, haben ältere Menschen Zweifel, ob sie auftretende Probleme bewältigen können. Sie verzichten dann lieber auf die Nutzung."

In einem Projekt konnten rund 400 ältere Menschen über Seniorentreffs und Begegnungsstätten für acht Wochen ein Tablet ausleihen und ein Begleitangebot nutzen. "Viele Senioren hatten erwartet, dass ihnen die Tablet-Nutzung Wege erspare und sie auch länger selbständig bleiben könnten", sagt Lippa. Weniger als 25 Prozent hätten dann tatsächlich online eingekauft oder andere Transaktionen vorgenommen, vor allem aus Berührungsängsten und Sicherheitsbedenken. "Die Ängste der Älteren betreffen die technische Bedienung – Registrierung, sichere Passwörter, die man nicht aufschreiben soll und mehr. Aber auch die Frage, was bei falscher oder fehlerhafter Lieferung von Waren zu tun ist."

Kubicek fordert von der Politik massive Investitionen, um auch die Senioren bei der Digitalisierung "mitzunehmen". Der Informatik-Professor war von 1996 bis 1998 Mitglied einer Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zur Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft. Seinerzeit brachte er das Problem der Digitalen Spaltung und die Förderung von öffentlichen Internetzugängen in einem Minderheitsvotum in den Abschlussbericht ein.

Konkret könne die Bundesregierung 30.000 Seniorentreffs und 3000 Seniorenheime mit jeweils zehn Tablets ausstatten. Diese sollen sie für drei Monate zusammen mit einem Begleitangebot an ihre Besucher beziehungsweise Bewohner ausleihen. So könne in drei Jahren die zehnfache Anzahl älterer Menschen ohne eigene Investitionen erste Erfahrungen sammeln und Selbstvertrauen gewinnen. "Inklusive Training der Trainer schätzen wir die Kosten für eine solche bundesweite Aktion auf 50 Millionen Euro", rechnet Kubicek vor. (anw)