Konferenz RO-MAN: Bei allen guten (Roboter-)Geistern

"Vielleicht braucht es künftig wieder Schamanen, die zwischen Menschen und KI moderieren?" Von Netzwerken, die ihre Gestalt ändern, und unerwartetem Verhalten.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 2 Kommentare lesen
Konferenz RO-MAN: Bei allen guten (Roboter-) Geistern

(Bild: PHOTOCREO Michal Bednarek/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske
Inhaltsverzeichnis

Als Hideyuki Takahashi seinen Vortrag begann, sahen die Teilnehmer des Online-Workshops nur den Kopf eines Hundes, dessen Schnauze sich synchron zu den Worten des Referenten bewegte. Warum Takahashi diese seltsame Erscheinungsform gewählt hatte, erklärte er nicht näher. Das war auch nicht nötig, schließlich verkörperte der sprechende Hund genau das, worum es in dem Workshop ging: seltsame Wesen.

Ein Troll? Ein Alien? Nein, ein Roboter aus der RoboCup@home League, 2009 in Graz.

(Bild: Hans-Arthur Marsiske)

Der International Workshop of HRI and Folklore Studies/Cultural Anthropology (HRFC 2020) betrachtete das Thema Mensch-Roboter-Interaktion (HRI) am letzten Tag der Konferenz RO-MAN noch einmal aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel. Die Fabelwesen, mit denen die Menschen einst zusammengelebt hätten, seien verschwunden, hieß es im Einladungstext. Dafür seien neue fremdartige Agenten aufgetaucht: Roboter und Künstliche Intelligenz (KI). Der Workshop wolle sich daher „mit der Verwandtschaft von Robotern und anderen fremden Agenten wie Geistern, Monstern, Feen und Außerirdischen beschäftigen“.

In seinen einleitenden Worten verwies Naoki Ohshima (Tokyo Denki University) darauf, dass in Japan im Zuge der Covid-19-Pandemie das mythische dreibeinige Meereswesen Amabie neue Popularität gewonnen hätte, das der Legende nach gute Ernten, aber auch Epidemien vorhersagen – und dagegen helfen könne: „Wenn sich eine Krankheit ausbreitet“, sagte es bei seiner ersten Begegnung mit einem Menschen, „zeichne ein Bild von mir und zeige es jenen, die erkranken, und sie werden geheilt werden.“

Kazuki Kobayashi (Shinshu University) definierte einen Geist als Persönlichkeit ohne festen Körper, die sich in verschiedenen Objekten materialisieren könne. Mit einem Video von einem Experiment in virtueller Realität, bei dem die Teilnehmer mit einem simulierten Radiergummi hantieren sollten, illustrierte er, wie moderne Technologie solche Geistererscheinungen erfahrbar machen kann: Das Radiergummi kündigte sein Verschwinden an, kurz bevor es aufgebraucht war, um gleich darauf („Hier bin ich!“) an einem anderen Ort und mit veränderter Farbe wieder zu erscheinen.

Fabelwesen werden mir Roboterhilfe zum Leben (wieder-) erweckt: Szene vom RoboCup 2005 in Osaka.

(Bild: Hans-Arthur Marsiske)

Was westlichen Beobachtern als befremdliches, vielleicht auch problematisches Spiel mit Magie und Aberglauben erscheinen mag, wird von Wissenschaftlern wie Toru Moriyama (Shinshu University) sehr ernst genommen. Er formulierte in einer Keynote seine These von der „Universalität des Geistes“: Seit den Forschungen von Charles Darwin sei zunehmend deutlich geworden, dass Geist nicht allein dem Menschen vorbehalten sei, sondern es ein geistiges Kontinuum in allen Lebewesen gebe. Dieser universelle Geist lasse sich als „Behavioral Inhibition Network“ (BIN) modellieren. Das wiederum bestehe aus Behavioral Generation Modules (BGM), die über ein heterarchisches Netzwerk miteinander verbunden sind und jeweils Sensordaten integrieren, um daraus spezifische Verhaltensweisen zu erzeugen.

Ein solches Netzwerk sei nicht greifbar, da es ständig seine Gestalt ändere und dadurch auch unerwartetes Verhalten hervorbringen könne. Moriyama verdeutlichte das am Beispiel eines Experiments mit einer Gemeinen Rollassel (Armadillidium vulgare), die durch ein Labyrinth irrte, dessen Gänge ständig so zueinander gedreht wurden, dass sie keinen Ausweg finden konnte, bis sie nach einer halben Stunde schließlich darauf kam, über die Seitenwand zu klettern. Alle Lebewesen und Materialien hätten die Kreativität, Verhalten zu erzeugen, vermutet Moriyama. Das Experiment, um diese These auch für Steine zu erhärten, sei aber noch in Vorbereitung.

Auch diesen Roboterkopf (gesehen bei der Konferenz HRI 2018) darf man wohl getrost als „geisterhafte Erscheinung“ bezeichnen.

(Bild: Hans-Arthur Marsiske)

Der als sprechender Hund auftretende Hideyuki Takahashi (Osaka University) argumentierte gewissermaßen in umgekehrter Richtung, als er von Experimenten berichtete, die nahelegen, Geistererscheinungen als kollektive Illusionen zu deuten. Die Versuchsteilnehmer waren dabei aufgefordert, virtuellen Agenten beim Trommeln zuzusehen und auch selbst mit ihnen einen Rhythmus zu schlagen. Danach sollten sie einen Bildschirm ansehen, auf dem nur unstrukturiertes Rauschen zu sehen war, und berichten, ob und was sie darin erkannten.

Es zeigte sich, dass sie häufiger Muster sahen, meistens Tiere, wenn das Trommeln zuvor synchron erfolgt war, als wenn es asynchron ablief. Takahashi beendete seinen Vortrag mit einem Animationsvideo, das eine Gruppe von Urmenschen in einer Höhle zeigte, die trommelten und um ein Feuer tanzten, bis die an Tierzeichnungen an den Höhlenwänden im flackernden Licht der Flammen lebendig zu werden schienen.

Tetsuya Matsui (Seikei University), der Organisator des Workshops, gab in seiner abschließenden Bemerkung zu bedenken, dass die nicht erklärbare KI heute die Stelle der Geister einnehme. Der häufig kritisierte „Black Box“-Charakter des Deep Learning entspreche in gewisser Weise der Undurchschaubarkeit und Fremdheit der mythischen Wesen. Volkan Eke von der US-amerikanischen New School verwies in dem Zusammenhang auf eine Studie des Anthropologen Denis Vidal, der bereits 2007 Parallelen zwischen HRI (Human-Robot Interaction) und HGI (Human-God Interaction) gesehen habe. Vielleicht, fragte Eke, brauche es zukünftig wieder Schamanen, die den Kontakt zwischen Menschen und KI moderieren? (bme)