Kreativwirtschaft sieht sich rechtlos im Internet

Mangelnden "politischen Handlungswillen" beklagte GVU-Geschäftsführer Matthias Leonardy am Welttag des geistigen Eigentums. Tatort-Autor Pim Richter warnte vor dem Ende professioneller Kulturarbeit.

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Die Kreativwirtschaft zeigt sich enttäuscht, dass Gesetzgeber bei Durchsetzung und Ausbau des Urheberrechtsschutzes tatenlos bleiben. "Wir gucken derzeit ins Leere, was den politischen Handlungswillen betrifft", beklagte Matthias Leonardy, Geschäftsführer der Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen (GVU) anlässlich des heutigen Welttag des geistigen Eigentums in Berlin. Im Bundesjustizministerium gehe es beim Thema Copyright derzeit nur darum, die Kosten für Abgemahnte zu senken. Dies sei eine "Pervertierung der Situation", monierte der Branchenvertreter, da den Rechteinhabern selbst zivilrechtliche Möglichkeiten im Kampf gegen illegale Downloads aus der Hand geschlagen würden.

Insgesamt sprach Leonardy von einem Trauerspiel der schwarz-gelben Netzpolitik, die nur Barrikaden errichte: "Ich frage mich, ob wir den Rechtsstaat nicht auf dem Rückzug sehen." Der einzige Lichtblick sei, dass Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) einen Vorstoß für "Quick Freeze plus" gemacht habe, wonach Provider IP-Adressen zur Bestandsdatenauskunft sieben Tage vorhalten müssten.

Offen sei auch, wohin sich das Strafrecht entwickle, erklärte der GVU-Chef. Nötig seien hier ortsungebundene Gerichte. Derzeit bestünden 117 Landgerichtsbezirke, die alle an örtliche Gegebenheiten geknüpft seien. Im Kino.to-Verfahren habe sich dabei die Staatsanwaltschaft Dresden für die Branche als Ausnahme- und Glücksfall erwiesen. Es sei aber nicht gesagt, "ob wir solche Fälle anderswo vergleichbar bekämpfen könnten".

Der Wirtschaftsdialog ist für Leonardy nach dem klaren Nein der Zugangsanbieter zum Aussenden von Warnhinweisen "am Ende". Einen Grund dafür, dass die Rechteinhaber derzeit überall auf Wände stießen, sieht er in der Angst der etablierten Parteien, "den Piraten-nahen Wählerrand zu verlieren". Die Freibeuter selbst verbreiteten das Scheinargument, dass die "nicht-kommerzielle" Nutzung und Weitergabe geschützter Werke keinen Schaden anrichte. Für Leonardy ist dagegen klar: "Wenn ich für etwas kein Geld ausgebe, ist das auch ein kommerzieller Vorteil."

Leonards begrüßte, dass sich in den jüngsten Debatten auch Künstler selbst zu Wort gemeldet hätten. Nicht alle trauen sich das: Viele Künstler seien noch "in einer Art Schockstarre", sagte Tatort-Autor Pim Richter. Sie fühlten sich eher dem linken Spektrum zugeordnet und sähen sich nun plötzlich gezwungen, "Eigentum" verteidigen zu müssen. Richter erwartet, dass sich der Verkauf von DVDs und Video on Demand (VoD) in fünf bis zehn Jahren von einem Nebenverdienst zur Haupteinnahmequelle für Drehbuchautoren entwickeln wird. Wenn das "Verteilmedium Internet" bis dahin immer noch die Botschaft aussende, dass eine einmal existierende Kopie von allen frei benutzt werden dürfe, käme dies dem "Ende professioneller Kulturarbeit" gleich.

Ende 2011 listete die GVU laut ihrem gerade veröffentlichten Jahresbericht (PDF-Datei) insgesamt 282 Filehoster- beziehungsweise Streaming-Portale, Boards und vergleichbare Angebote. Darunter standen insgesamt 76 Portale unter verstärkter Beobachtung der Einrichtung, da diese "in erheblichem Umfang illegal Zugang zu aktuellen urheberrechtlich geschützten Inhalten der GVU-Mitglieder gewährten, auf den deutschsprachigen Raum ausgerichtet waren und stark besucht wurden". Dies seien 15 Portale mehr als 2010 gewesen. Den überwiegende Teil dieser Plattformen sei durch die Vermietung von Werbeflächen profitabel.

Die beobachteten Portale offerierten dem Report zufolge 38 Prozent mehr Links zu Raubkopien als im Vorjahr. Die Betreiber von Streaming-Seiten hätten dabei im Berichtszeitraum "besonders intensive Aktivitäten beim Ausbau des Angebots zu pornografischen Inhalten" entfaltet. Verweise auf Filme seien zurückgegangen, Torrents zu Computerspielen dagegen um 82 Prozent angestiegen. Insgesamt habe man im vergangenen Jahr 285 Strafverfahren durch Strafanträge wegen Urheberrechtsverletzungen initiiert. 287 Strafverfahren seien erfolgreich abgeschlossen worden und hätten zu Sanktionen gegen die Täter geführt. (vbr)