Missing Link: Fluchtpunkt Afrika - Kontinent technologischer Visionen und Innovationen

Hightech aus Afrika? Das widerspricht dem Bild vom Kontinent mit Armut, politischer Gewalt und Flüchtlingen. Geprägt ist er aber auch von Erfindungsgeist und Innovationen - und einer kulturellen Bewegung, die sich im Afrofuturismus widerspiegelt.

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Missing Link: Fluchtpunkt Afrika - Kontinent technologischer Visionen und Innovationen

(Bild: Wanuri Kahiu, „Pumzi“, 2009, Foto © Mark Wessels)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske
Inhaltsverzeichnis

Die neue Berufskarriere von Richard van As begann an einem Samstagnachmittag im Jahr 2011, als der südafrikanische Tischler sich vier Finger der rechten Hand abschnitt. Jetzt brauchte er eine Prothese, war aber geschockt von den hohen Preisen. So entschloss er sich, selbst eine zu bauen. Was zunächst nur als Ersatz für seine eigenen verlorenen Gliedmaßen gedacht war, wurde dann rasch zu Robohand – einer Firma, die mithilfe von 3D-Druck günstige Prothesen anbietet. Die Open-Source-Designs können auf eigenen Druckern auch überall und von jedermann zum Selbstkostenpreis ausgedruckt werden.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Robohand ist eines der Exponate aus der afrikanischen Maker- und Startup-Szene, die im Zentrum der Ausstellung Afro-Tech and the Future of Re-Invention im Dortmunder U stehen. Rund um ein Zelt aus goldener Metallfolie, das gleichermaßen an ein Wüstencamp wie an einen Weltraumsatelliten erinnern kann, werden hier auf einem Dutzend Monitoren Technologieprojekte vorgestellt, die in und für Afrika entwickelt wurden.

Zu den Projekten zählt etwa CardioPad aus Kamerun, ein durch spezielle Sensoren erweiterter Tablet-PC, der Untersuchungen zu Herzerkrankungen erleichtert. Auch ohne Spezialkenntnisse können Daten erhoben und an Fachärzte gesendet werden, die dann eine Diagnose erstellen und Therapien vorschlagen können. "Für mehr als 20 Millionen Einwohner haben wir in Kamerun nur etwa 50 Herzspezialisten, die sich zudem in den großen Städten konzentrieren", erklärt der Erfinder Arthur Zang in einer kurzen Videopräsentation. "CardioPad soll deren Fachwissen auch in abgelegenere Regionen bringen."

In Ruanda entstand die Idee mobiler Solarkioske (Shiriki Hub), die Aufladedienste für Mobiltelefone und Zugang zum Internet anbieten. Die unsichere Versorgung mit Elektrizität ist auch Hintergrund von BRCK), einem Team von Software-Entwicklern und Ingenieuren aus Kenia, das unter anderem einen Server anbietet, der eine zeitlang ohne Strom auskommen kann. An schwangere Frauen richtet sich die App GiftedMom), die mit gezielten Gesundheitsinformationen helfen will, die Müttersterblichkeit zu senken.

Afro-Tech and the Future of Re-Invention (10 Bilder)

Wenn die Flüchtlingsströme sich umkehren: Szenenbild aus dem Film „Drexciya“ (2012) von Simon Rittmeier
(Bild: Simon Rittmeier, „DREXCIYA“, 2012, Still, Courtesy of the artist © VG Bild-Kunst, Bonn 2017)

Hightech aus Afrika? Das widerspricht dem verbreiteten Bild von dem Kontinent, der eher mit Armut, politischer Gewalt und Flüchtlingen in Verbindung gebracht wird als mit Erfindungsgeist und technologischen Innovationen. Die von Inke Arns und Fabian Saavedra-Lara nach einer Recherchereise im Jahr 2014 konzipierte Ausstellung lässt die Besucher mit solchen Irritationen nicht allein: Um das goldene Zelt herum finden sich zahlreiche künstlerische Objekte und Installationen, die helfen, die Technologieprojekte in einen kulturellen Kontext zu rücken.

Größtenteils handelt es sich dabei um Videoinstallationen. Der 45-minütige experimentelle Dokumentarfilm "The Last Angel of History" von John Akomfrah etwa macht deutlich, dass es gerade afrikanische oder afro-amerikanische Künstler wie die Musiker Sun Ra oder George Clinton waren, die sich schon in den 1960er-Jahren intensiv mit Raumfahrt und Science-Fiction beschäftigten, was später mit dem Schlagwort Afrofuturismus umschrieben und weitergeführt wurde. "Der Weltraum ist für Schwarze nichts Neues", sagt Clinton im Interview. "Wir kommen von dort und wir kehren wieder dorthin zurück." Schriftsteller wie Greg Tate und Samuel Delaney erklären, dass Entführungen durch Aliens und genetische Manipulationen letztlich keine Fantastereien sind, sondern reale Erfahrungen widerspiegeln, die Schwarze im Lauf der Geschichte machen mussten.

Auf diese blutigen Erfahrungen verweist auch der Film "Deep Down Tidal" von Tabita Rezaire, wenn er feststellt, dass die am Meeresboden verlegten Glasfaser- und Kupferkabel den einstigen Routen der Sklavenhändler folgen. Deren Segelschiffe legten mit dem atlantischen Dreieckshandel (Waffen, Sklaven, Rum) damals die Grundlage für den Reichtum und die jahrhundertelange Vorherrschaft Europas. Das Internet stehe in dieser Tradition und sei "eine große Lüge", meint Rezaire. Es schaffe keine Freiheit, sondern einen neuen "elektronischen Kolonialismus". Wasser hinterlasse immer Spuren, sagt er am Ende des Films und fordert: "Lasst uns eine Spur der Heilung hinterlassen."

Soda_Jerk, „Astro Black: We are the Robots“, 2012

(Bild: Soda_Jerk / Ausstellung „Afro-Tech and the Future of Re-Invention", HMKV im Dortmunder U, 21.10.2017 - 22.04.2018)

Nicht alle Künstler dürften Rezaire in seiner radikalen Kritik am Internet folgen. Gleichwohl legen sie einen anderen Umgang mit Technik nahe. So hat der italienische Künstler Jaromil ein Betriebssystem auf der Basis der Rastafari-Philosophie entworfen und erklärt dazu: "Diese Software ist kein Business. Diese Software ist frei wie die Rede. Diese Software ist Patrice Lumumba, Marcus Garvey, Martin Luther King, Steve Biko, Walter Rodney und Malcolm X gewidmet; und sie ist solidarisch mit Mumia Abu Jamal und all denen, die sich der Sklaverei, dem Rassismus und der Unterdrückung widersetzen, all denen, die gegen den Imperialismus kämpfen und die eine Alternative zum Kapitalismus in unserer Welt suchen."

In dem Film "The Sun Ra Repatriation Project" von Kapwani Kiwanga, in dem es über weite Strecken um interstellare Kommunikation mit außerirdischer Intelligenz geht, wird an einer Stelle Musik als die "höchste Stufe der Wissenschaft" bezeichnet. Auch in vielen anderen Filmen steht Musik im Mittelpunkt. Mehrere Installationen beziehen sich auf das legendäre Techno-Duo Drexciya aus Detroit, das in den 1990er-Jahren diesen Musikstil entscheidend mit prägte. Dieser musikalische Blick auf die Welt dürfte zum Wertvollsten gehören, was afrikanisch geprägte Künstler zur Debatte über Technologie beigetragen haben und weiterhin beitragen. Hip Hop helfe, die potenzielle Energie in der Technologie freizusetzen, heißt es in "The Last Angel of History". Dabei verwandelten wir uns mehr und mehr in Cyborgs. Warum? "Um hier herauszukommen."

Wangechi Mutu, The End of Eating Everything, 2013

(Bild: Wangechi Mutu, Courtesy of the artist, Gladstone Gallery, New York and Brussels, and Victoria Miro Gallery, London. Commissioned by the Nasher Museum of Art at Duke University, Durham, NC)

Und wo soll es hingehen? Drexciya steht in Simon Rittmeiers gleichnamigem Film auch für einen Sehnsuchtsort, ein "schwarzes Atlantis", zu dem in einer nicht näher spezifizierten Zukunft die Europäer zu fliehen versuchen. Ein Schlepper kann sich nach dem Untergang seines Schiffes mit Mühe an die afrikanische Küste retten, wo ihm drei futuristisch gekleidete Schwarze, ausgestattet mit modernster Technologie, eher widerstrebend helfen. Nach einem langen Marsch durch die Wüste erreicht er schließlich die legendäre Stadt, doch es bleibt offen, ob sie die Verheißungen erfüllen kann.

Auch für den Besuch der Ausstellung ist Ausdauer erforderlich: Allein die Längen der verschiedenen Filme summieren sich auf mehrere Stunden. Wem das zu viel auf einmal ist, der kann an der Kasse eine Plakette bekommen, um an einem anderen Tag wiederzukommen, ohne noch einmal Eintritt zahlen zu müssen. Die Ausstellung läuft noch bis 22. April 2018. (jk)