Neues Kanalsystem soll Indiens Wasserproblem lösen

Indien wird zunehmend von Hochwasser sowie von Trockenheit heimgesucht. Deswegen soll in den nächsten 20 bis 30 Jahren ein neues Kanalsystem gebaut werden.

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Neues Kanalsystem soll Indiens Wasserproblem lösen

30 riesige Kanäle, 3000 Dämme: Indiens Premierminister will ein neues Flusssystem schaffen, um Überflutungen und Dürren zu verhindern.

(Bild: Action Press)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Michael Radunski
Inhaltsverzeichnis

Indien kennt beides: Überschwemmungen und Dürre. Alljährlich überflutet der Monsunregen weite Teile und zerstört die Saat vieler Bauern. Immer wieder kommen auch Menschen in den Fluten ums Leben. Andere Regionen hingegen leiden regelmäßig unter Wassermangel und Dürre. Das Ministerium für Wasserressourcen schätzt, dass knapp ein Drittel des Landes mit Trockenheit und ein Achtel gegen Überschwemmungen kämpft. Premierminister Narendra Modi glaubt nun, eine Lösung gefunden zu haben: Er will Indiens wasserreiche Flüsse im Norden und Westen mit den dürregeplagten Regionen im Osten und Süden verbinden, wie Technology Review in seiner März-Ausgabe berichtet (jetzt im gut sortierten Zeitschriftenhandel und im Heise Shop erhältlich).

30 riesige Kanäle, 3000 Dämme, insgesamt 15000 Kilometer Wasserweg umfasst der Plan. Es wäre das längste Flusssystem der Welt. Das Mammutprojekt lässt sich grob in zwei Bereiche unterteilen: die nordindische Himalaya-Komponente mit 14 Flussverbindungen und das zentral-südindische Halbinsel-Segment mit insgesamt 16 Verbindungen.

Die Idee ist keineswegs neu. Schon zu Kolonialzeiten träumte der britische Ingenieur Sir Arthur Cotton davon. Seither befassten sich viele Regierungen mit ähnlichen Konzepten. Premier Modi hat das Projekt aber jetzt zur nationalen Priorität erklärt: Ein Grund ist, dass wegen des weltweiten Klimawandels Indiens jährliche Durchschnittstemperatur in den vergangenen Jahrzehnten gestiegen ist, sodass die Dürreperioden häufiger und heftiger wurden. Allein 2016 waren geschätzte 330 Millionen Inder von akuter Wasserknappheit betroffen.

Durch Modis Flussprojekt sollen künftig nicht nur 35 Millionen Hektar Land zusätzlich mit Wasser versorgt werden. Die Regierung hofft zudem, durch Wasserkraftwerke etwa 34000 Megawatt Strom zu gewinnen. Das hat seinen Preis: Bis zu 207 Milliarden Euro soll das auf 20 bis 30 Jahre Bauzeit veranschlagte Unterfangen kosten. Indiens Ministerin für Wasserressourcen Uma Bharti will deshalb den privaten Sektor einbinden, die Bewässerung kommerzialisieren und Partnerschaften mit privaten Unternehmen eingehen.

Subimal Ghosh vom Indian Institute of Technology in Mumbai bezweifelt allerdings den Sinn des Vorhabens: Er hat die Wetterdaten der betroffenen Regionen für die Zeitspanne zwischen 1901 und 2004 verglichen. Nun warnt er: "Die Annahme, dass es in den besagten Gebieten einen Wasserüberschuss gibt, ist falsch." Der Niederschlag in den vermeintlich wasserreichen Bassins habe sich bereits um mehr als zehn Prozent verringert. Leite man nun künstlich weiteres Wasser ab, könnte in diesen Gebieten sehr schnell Wasserknappheit entstehen.

Ghosh fordert, mit bestehenden Klimamodellen fĂĽr diese Regionen die WasserverfĂĽgbarkeit der kommenden 30 bis 40 Jahre zu errechnen. "Andernfalls wird das Projekt ein kolossaler Fehlschlag."Sushmita Sengupta vom Centre for Science and Environment in Delhi verweist zudem auf tiefgreifende Folgen fĂĽr Umwelt und Menschen. "Entlang der FlĂĽsse mĂĽssen Millionen Menschen umgesiedelt werden. Hier hat die Regierung in der Vergangenheit katastrophal gehandelt", warnt Sengupta.

Außerdem enden viele Flüsse keineswegs an den Landesgrenzen. Nachbarstaaten wie China, Nepal und Bangladesch müssten daher in das Projekt miteinbezogen werden. Schon vor Jahren sagte Ramesh Chandra Sen, Bangladeschs damaliger Minister für Wasserressourcen: "Wir können dem Projekt niemals zustimmen. Unsere Landwirtschaft, unsere Wirtschaft und unsere Leben sind abhängig von den Flüssen Ganges und Brahmaputra. Wir können ihr Wasser nicht umleiten." Schon jetzt warnt der indische Politikwissenschaftler Brahma Chellaney, dass in wenigen Jahren in der Region der Kampf um Wasser zu einem Krieg führen könnte.

(Mehr Berichte zu Themen aus aller Welt lesen Sie in der neuen Ausgabe von Technology Review, jetzt im Zeitschriftenhandel und im Heise Shop erhältlich.) (inwu)