Provider gegen Kunden: Wiederbelebung des Routerzwangs droht
Seit 2016 legt das Telekommunikationsgesetz fest, dass Kunden ihren Router selbst wählen dürfen. Nun gehen mehrere Verbände und die Telekom massiv dagegen vor.
Mit ANGA, BUGLAS, VATM und dem VKU stellen sich gleich mehrere Provider-Verbände zusammen mit der Deutschen Telekom gegen das Telekommunikationsgesetz (TKG), das für Internet-Nutzer die freie Wahl des Internet-Routers festschreibt. Das TKG legt seit 2016 unter anderem fest, dass das Netz eines Providers an der Anschlussdose endet und der Kunde an dieser Anschlussdose ein Gerät (Router) seiner Wahl anschließen kann.
Doch inzwischen behaupten die vier Verbände und die Telekom in einem gemeinsamen Positionspapier, dass ein wesentlicher Teil des Telekommunikationsgesetzes "nicht europarechtskonform" sei, sondern gegen europäische Vorgaben des EECC (Regulation (EU) 2018/1972) verstoße. Damit meinen sie den § 45d Abs. 1 S. 2 TKG, in dem eine "gesetzliche Festlegung des Netzabschlusspunktes" erfolge. Letztlich fordern sie für sich das Recht, ihren Kunden vorschreiben zu dürfen, welchen Router sie an seinem Anschluss verwenden. Sie möchten den "vollständig liberalisierten Endgerätemarkt" abschaffen, wie ihn die Bundesregierung 2016 bekräftigt hat, und den Routerzwang wiederbeleben.
Freie Routerwahl hemmt angeblich Weiterentwicklung
Ob das gelingt, ist offen. Als Angriffspunkt haben die Gegner des TKG vor allem den § 45d herausgepickt, wonach der Zugang zum Netz "ein passiver Netzabschlusspunkt" ist, oder wie es im TKG wörtlich steht: "Das öffentliche Telekommunikationsnetz endet am passiven Netzabschlusspunkt". Die Verbände und die Telekom kritisieren diesen Gesetzesabschnitt vor dem Hintergrund des Glasfaserausbaus: "Durch die topologieübergreifende Festlegung auf einen passiven Netzabschlusspunkt in den Räumen des Endkunden ('Dose in der Wand') wird die Weiterentwicklung von Gigabit-Netzen und insbesondere der Ausbau von Glasfasernetzen gehemmt." Mit anderen Worten: Die Routerfreiheit ist schön und gut, aber bitte nicht für Glasfaseranschlüsse.
Zur Begründung steht im Papier, dass "die Point-to-Multipoint-Topologie (PtMP)" der Gigabitnetze nicht ohne einen "aktiven Netzabschluss" betrieben werden könne und dass "optische Signale via Glasfaser am Ende stets der aktiven Signalumsetzung" bedürfen, "damit sie beim Kunden wieder in die jeweiligen Einzeldienste 'entflochten' werden". Es fällt schwer, dieser Auffassung zu folgen, denn die "aktive Signalumsetzung" ist nicht Glasfaser-spezifisch. Vielmehr ist sie allen kabelgebundenen Internet-Anschlüssen gemeinsam: An jeder passiven Anschlussdose steckt ein aktives Gerät, nämlich ein Router mit integriertem Modem. Das ist bei DSL-, bei Kabel- und bei Glasfaseranschlüssen grundsätzlich der Fall.
Probleme mit kundeneigenen Geräten
Im Weiteren beklagen die Unterzeichner des Positionspapiers, dass "insbesondere dort, wo mehrere TK-Anbieter ihre Dienste über ein geteiltes Zugangsnetz anbieten", Probleme mit kundeneigenen Netzabschlussgeräten auftreten (ONT, Kabelmodems). Sie unterstellen, dass die Interoperabilität der Geräte mangelhaft sei, sodass Störungen auftreten und "veraltete Firmware-Stände und Sicherheitslücken" zum "Verlust an Dienstequalität für die Kunden führen und eine geregelte Vorleistung unmöglich" werde. Konkrete Beispiele enthält das Papier jedoch nicht, sodass unklar ist, was genau die Probleme sind, und warum die Autoren glauben, dass sie nicht zu beseitigen sind. Im DSL-, Kabel- und auch im Mobilfunkbereich klappt die Umsetzung der jeweiligen Spezifikationen jedenfalls weltweit und Berichte über massenhaft mangelhafte Glasfaser-Router oder -Modems fehlen bisher.
Klar ist indes, dass manchen Providern die freie Routerwahl ein Dorn im Auge ist, weil sie Einnahmen mindert. In der Vergangenheit haben manche Provider, die vor dem aktuellen TKG über die Routerwahl selbst bestimmt hatten, billige oder technisch überholte Geräte zu erhöhten Preisen abgegeben, Gebühren auf die Freischaltung der WLAN-Funktion erhoben (z. B. 5 Euro monatlich) oder mit funktionsbeschnittenen Routern verhindert, dass Kunden fremde Telefonie-Anbieter (VoIP) mit günstigeren Konditionen nutzen. Mit einem frei aus dem Handel bezogenen Router lässt sich das nicht machen, darüber verfügt der Kunde allein. Manche Provider wünschen sich auch weniger unterschiedliche Router an ihren Anschlüssen, weil das ihre Support-Kosten senkt.
Was im Stammbuch steht
Für die seit August 2016 geltende, im Telekommunikationsgesetz festgeschriebene freie Routerwahl hatten viele Routerhersteller in Deutschland und Vertreter von Internet-Nutzern gemeinsam beharrlich und erfolgreich gegen die Provider-Verbände und ihre Lobby gestritten. Nun fordern die Verbände ANGA, BUGLAS, VATM und VKU sowie die Deutsche Telekom die Bundesnetzagentur den Gesetzgeber auf, den "§ 45d Abs. 1 S. 2 TKG zu streichen". Noch ist offen, ob und wie die Bundesnetzagentur Regierung und zuständige Ministerien auf diese Forderung reagieren.
Doch die Bundesregierung hat den Providern bereits 2015 in der Begründung des Gesetzentwurfs klar ins Stammbuch geschrieben, warum sie den Routerzwang abschaffen wollte. Dort heißt es auf Seite 7 unmissverständlich, dass der Routerzwang unvereinbar ist "mit dem vollständig liberalisierten Endgerätemarkt", da er den Endkunden "die Wahlfreiheit in Bezug auf die verwendeten Telekommunikationsendeinrichtungen entzieht". Es wird spannend zu sehen sein, ob die Bundesregierung und die ihr unterstellte Bundesnetzagentur "mangelhafte Interoperabilität", "veraltete Firmware-Stände" und "Sicherheitslücken" höher gewichten als einen liberalisierten Endgerätemarkt.
Den vollständigen Wortlaut des TKG finden Sie hier.
[Update]: 09.11.2019, 12:55, Bezug zu Bundesnetzagentur korrigiert (dz)