Registrierung mit elektronischer Flüchtlingsakte: Das Chaos lichtet sich

Antragsstau, Identitätsbetrug, Überforderung und Personalmangel. Seit Herbst 2015 hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge viele Negativ-Schlagzeilen produziert. Dass sich das Chaos lichtet, hat auch mit einer neuen IT-Infrastruktur zu tun.

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Registrierung mit elektronischer Flüchtlingsakte: Das Chaos lichtet sich

Bundesinnenminister de Maizière (rechts) bei der Vorstellung des Ausweises 2015

(Bild: BMI)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Anne-Béatrice Clasmann
  • dpa
Inhaltsverzeichnis

"Wir haben die Nachregistrierung abgeschlossen", sagt Markus Richter. Er klingt erleichtert. Richter leitet die IT-Abteilung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Mit seinem Team hat er in den vergangenen zwölf Monaten ein System entwickelt, das den Kontrollverlust bei der Registrierung von Asylsuchenden beenden soll. An diesem trüben Wintertag kann er im Berliner Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten besichtigen, wie es in er Praxis läuft, seit Anfang 2016 die elektronische Flüchtlingsakte als sogenannter Ankunftsnachweis eingeführt wurde.

Jassir A. wohnt in der großen Flüchtlingsunterkunft auf dem Tempelhofer Feld. Der junge Mann trägt eine modische Mütze und einen kurzen Bart. Eine Zigarettenschachtel fällt aus seiner Hosentasche, während er an einem Tisch Platz nimmt. Michael Wolter von der Registrierungsstelle reicht dem Araber einen frisch gedruckten Flüchtlingsausweis über den Tisch. Darin steht sein Geburtsdatum und als Herkunftsland "Irak".

Am nächsten Tag soll Jassir A. wiederkommen, um ein Stockwerk höher seine Fluchtgründe darzulegen. "Er kommt aus Bagdad", sagt der Arabisch-Übersetzer, der neben Wolter sitzt. Wirklich? Mit starkem irakischen Akzent spricht Jassir A. jedenfalls nicht. Der Übersetzer zuckt mit den Schultern. Er sagt: "Das herauszufinden, ist nicht meine Aufgabe, das macht das BAMF."

Asylbewerber wie Jassir A. werden in dem schmucklosen Zweckbau in der Berliner Bundesallee erst im Erdgeschoss zum "Gesundheits-Check" geschickt. Dann geht es durch triste Gänge in einen Raum, in dem Fingerabdrücke genommen werden. Die Neuankömmlinge müssen sich vor eine weiße Wand stellen. Dort werden biometrische Fotos gemacht. Auf dem Tisch neben der Kamera steht ein Dokumentenscanner. "Hier gibt es Experten, die schon vom Anfassen eines syrischen Passes wissen, ob der echt ist oder nicht", schwärmt Behördensprecher Sascha Langenbach.

Und was passiert, wenn sich ein Dokument als Fälschung herausstellt? Dann wird der Asyl-Entscheider informiert und die Ausländerbehörde – seit Oktober 2016 auch die Polizei. Dass die Sicherheitsbehörden vom BAMF jetzt routinemäßig informiert werden, ist sicher auch der Terrorangst geschuldet. Im Juli wütete ein 17-jähriger afghanischer Flüchtling in Würzburg mit einer Axt. Ein Syrer ging wenige Tage später in Ansbach mit einem Sprengsatz zu einem Musikfestival. Das war noch bevor ein abgelehnter Asylbewerber aus Tunesien am 19. Dezember mit einem Lastwagen auf einen Berliner Weihnachtsmarkt raste und zwölf Menschen tötete.

Im vergangenen Jahr entpuppten sich etwa sechs Prozent der Dokumente, die deutschen Behörden vorgelegt wurden, als Fälschungen. Viel größer ist der Anteil derjenigen, die ohne Identitätsnachweis nach Deutschland kommen. Genaue Zahlen hat die Nürnberger Behörde bislang nicht veröffentlicht. Laut Schätzungen legen etwa 60 Prozent der Flüchtlinge kein Dokument vor. Jassir A. kam nur mit einem Papier, aus dem hervorgeht, dass er zuletzt in Belgien gelebt hatte. Wo er geboren wurde, können die Beamten bislang nicht mit Sicherheit sagen.

Wer eine falsche Identität angibt, kann auffliegen, etwa durch ein Sprachgutachten. Oder wenn seine Fingerabdrücke mit Daten aus einem anderen europäischen Land abgeglichen werden. Wenn sich ein Marokkaner als Syrer ausgibt oder ein Äthiopier behauptet, er stamme aus Eritrea, geht es meist nur darum, nicht abgeschoben zu werden. Doch vereinzelt nutzen auch Kriegsverbrecher, gefährliche Islamisten und andere radikale Kräfte die Möglichkeit, sich in Deutschland eine neue Identität zuzulegen.

"Wir können die Informationen halt nur abgleichen mit den Daten, die vorhanden sind", räumt Richter ein. Wie viele Menschen im Asylverfahren eine falsche Identität erfinden, könne das BAMF nicht sagen. Richter sagt, nicht immer stecke eine Täuschungsabsicht dahinter, wenn Angaben in den Dokumenten, die Deutschland den Schutzsuchenden ausstellt, falsch seien. Manchmal seien es auch Übersetzungsprobleme oder eine abweichende Umschrift des Namens.

Die Zeit für eine Registrierung sei durch die technischen Verbesserungen von zwei Stunden auf 20 Minuten gesunken, sagt Richter. Das hilft nicht nur, den Berg unbearbeiteter Asyl-Fälle schneller abzubauen. Die Behördenmitarbeiter müssen auch nicht mehr so viele Überstunden machen wie zuvor. Karla Merkel, die Leiterin der Berliner Registrierungsstelle, sagt: "Die Einführung des Ankunftsnachweises war für die Verwaltung ein Quantensprung." (mho)