Richard Gutjahr kritisiert BR: Mit Online-Hass "allein gelassen"

Gegen den Onlinehass, der in Folge seiner Berichterstattung losbrandete, gab es kaum Hilfe vom Bayrischen Rundfunk, kritisiert Netz-Journalist Richard Gutjahr.

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Offener Brief an Bayrischen Rundfunk: Richard Gutjahr sieht sich mit Online-Hass "allein gelassen"

(Bild: Shutterstock)

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In einem offenen Brief wirft der Online-Journalist Richard Gutjahr dem Bayrischen Rundfunk (BR) vor, ihn und seine Familie "mit dem Hass und der Hetze in Folge meiner Berichterstattung für die ARD alleingelassen" zu haben. Auch hätten BR-Intendant Ulrich Wilhelm und seine engsten Mitarbeiter in der Sache versucht, "das Kontrollgremium des Bayerischen Rundfunks zu täuschen und hinter verschlossenen Türen immer wieder die Wahrheit zu verbiegen“, meint Gutjahr, dessen Tätigkeit als fester freier Journalist für den BR zum Jahreswechsel endete. Gutjahr ist bereits seit rund drei Jahren Ziel von Onlineanfeindungen, weil er kurz hintereinander bei zwei Anschlägen vor Ort war.

Seit drei Jahren Zielscheibe für Verschwörungstheoretiker: Online-Journalist Richard Gutjahr

(Bild: Richard Gutjahr (CC BY-SA 4.0) )

Insbesondere Verschwörungstheoretiker und Onlinehetzer aus dem rechten Spektrum haben ihn deshalb ins Visier genommen. Am 14. Juli 2016 wurde er Zeuge des Terroranschlags in Nizza, bei dem 86 Menschen ihr Leben verloren. Er filmte und berichtete als Journalist des Bayerischen Rundfunks (BR) für die ARD darüber. Nur acht Tage später wurde Gutjahr wieder Zeuge eines dramatischen Verbrechens: dem Amoklauf am Olympia-Einkaufszentrum in seiner Heimatstadt München mit neun Toten. Er berichtete erneut.

An Zufälle wollen Verschwörungstheoretiker nicht glauben und nehmen ihn und seine Familie seitdem mit Verleumdungen und Drohungen aufs Korn. Sie sprechen von "inszenierten Terroranschlägen" und "Indizienketten", werfen dem Journalisten unter anderem vor, Mitarbeiter eines Geheimdienstes zu sein und von den beiden Attentaten gewusst zu haben.

Der "Dauerbeschuss“ mit Hassbotschaften, Morddrohungen und ähnlichem habe inzwischen nachgelassen, schreibt Gutjahr, aber nie gänzlich aufgehört. So hätten ihm die Organisatoren eines Journalisten-Kongresses vor wenigen Wochen Personenschutz an die Seite stellen müssen, weil es Facebook-Aufrufe gegeben habe, ihn "abzupassen“.

Unter anderem habe er versucht, juristisch gegen die Anfeindungen vorzugehen. Nach einem Jahr habe ihm allerdings seine Rechtsschutzversicherung gekündigt, der BR habe zunächst gar nicht geholfen. Erst nachdem sich Gutjahr an Ombudsmann sowie den Rundfunkratsvorsitzenden des Senders wandte, wurde eine Einmalzahlung als Beihilfe angewiesen, die unter einem Monatsgehalt gelegen habe. In nicht-öffentlichen Sitzungen des Kontrollgremiums des Senders soll Intendant Wilhelm dennoch gesagt haben, man habe die Prozesskosten beglichen, was Gutjahr als Irreführung bezeichnet.

Eine der Hassbotschaften gegen Richard Gutjahr.

(Bild: Richard Gutjahr)

Ebenfalls wirft Gutjahr dem Sender vor, von ihm aufgenommenes Videorohmaterial des Nizza-Anschlags unbearbeitet über soziale Medien verbreitet zu haben – obwohl auch Panikrufe seiner Ehefrau und das Weinen seines Sohns darauf zu hören gewesen wären. Die Videos wurden von den Senderaccounts erst nach Stunden wieder offline genommen, entschuldigt habe sich Intendant Wilhelm laut Gutjahr dafür aber nie, auch wenn er das Sitzungsprotokollen zufolge behauptet habe.

"Wenn wir nicht endlich lernen, eine gemeinsame Stimme in Bezug auf Hass und Hetze gegen Journalisten und Politiker zu finden und weiterhin versuchen, eigene Versäumnisse unter den Teppich zu kehren, dürfen wir uns nicht wundern, dass unsere Gegner uns immer zwei Schritte voraus sind“, sagt Gutjahr.

Der BR bezeichnete die Online-Hetze gegen Gutjahr in einer Stellungnahme als "beschämend“ und "erschütternd“. Gutjahrs Brief enthalte aber keine neuen Sachverhalte und sei im "Kern nicht zutreffend“. "Der BR weist insbesondere den Vorwurf der Lüge und Täuschung durch den Intendanten strikt zurück", zitiert der Spiegel den Sender. Man habe sich vielmehr in den vergangenen drei Jahren intensiv mit dem Fall befasst und Gutjahr auch finanzielle Unterstützung für Prozesskosten zukommen lassen. Im März 2019 sei in gegenseitigem Einvernehmen ein Aufhebungsvertrag mit ihm geschlossen worden, formelles Ende seiner Tätigkeit war der 31.12.

Richard Gutjahr blieb auf Nachfrage des Spiegels bei seiner Darstellung. Er hoffe aber, auch ohne den BR Teil der ARD-Familie zu bleiben, heißt es in seinem Blogbeitrag. (axk)