Rudolf Arnheim: Sterben ist am Ende, das Leben zu vergessen

Der 1940 in die USA emigrierte Medientheoretiker und Kunstpsychologe Rudolf Arnheim ist im Alter von 102 Jahren in Ann Arbor gestorben.

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Von
  • Detlef Borchers

Im Alter von 102 Jahren ist der amerikanische Medientheoretiker und Kunstpsychologe Rudolf Arnheim am vergangenen Samstag in seiner Heimatstadt Ann Arbor (US-Bundesstaat Michigan) gestorben. Der gebürtige Berliner Jude arbeitete als Filmkritiker für die Weltbühne von Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky. Nach seiner Emigration 1940 lehrte er Kunstpsychologie an verschiedenen amerikanischen Universitäten, darunter die New School of Social Research und Harvard.

Rudolf Arnheim wurde am 15. Juli 1904 in Berlin geboren. Er wuchs am Berliner Alexanderplatz auf, wo im Jahre 1905 das erste deutsche Kino eröffnet wurde. Als begeisterter Kinogänger erkannte Arnheim als einer der ersten, dass der Film eine eigene Kunstgattung ist. Unter dem Titel "Die Seele der Silberschicht" verfasste er eine erste Filmtheorie, die 1925 in der Weltbühne erschien. Dort wurde Arnheim Redakteur für "alles Unpolitische" und schrieb oder betreute Hunderte von Filmkritiken. Seine Idee vom Film als Kunst mit eigener Sprache und eigenen Techniken war getragen durch die Gestalttheorie, die er durch seinen Doktorvater Max Wertheimer vermittelt bekam. Mit seinem 1932 erschienenen "Film als Kunst" versuchte Arnheim, den künstlerisch bedeutsamen Film vom billigen Unterhaltungsdreh abzugrenzen. Eine Untersuchung zur Kunst des Funkischen, des Radios, konnte nicht mehr in Deutschland erscheinen. Mit einem Aufsatz über "Charles Chaplin als Erzieher" verabschiedete sich Arnheim und emigrierte über Rom und London in die USA.

Dort erschien "Art and Visual Perception" (Kunst und Sehen. Eine Psychologie des schöpferischen Auges) im Jahre 1954, Arnheims Hauptwerk, in dem er die visuelle Kunst allein auf Basis der Sinneseindrücke mit den Mitteln der Gestalttheorie und der Wahrnehmungsforschung begründet. Mit seinem 1968 erschienen Visual Thinking erweiterte Arnheim seine Theorie auf weitere Bereiche wie dem der Architektur. Arnheim, der in dem langjährigen Briefwechsel mit seinem deutschen Herausgeber bekannte, dass er Fernsehen und Internet-Computer verabscheute, blieb jedoch bis ins hohe Alter ein neugieriger Forscher. Eine seiner letzten Arbeiten befasste sich mit den Möglichkeiten des Computers im Lichte der Gestalttheorie.

Als 90-Jähriger über seine Pläne befragt, antwortete Arnheim, der zuletzt unter Alzheimer litt: "Memory does return in time, but the suspicion remains that in the end dying will consist in simply forgetting to live." (Detlef Borchers) / (vbr)