Twitter-Chef Dorsey: "Es ist wichtig, dass wir direkt von den Spitzenpolitikern hören"
Donald Trump ist derzeit der wohl berühmteste und berüchtigste Twitter-Nutzer. Doch Geld verdient die Plattform mit den Tweets der Politiker nicht. Twitter-Chef Jack Dorsey glaubt dennoch an sein Werbemodell – und an die Beschränkung auf 140 Zeichen.
Jack Dorsey gilt als Erfinder des Twitter-Konzepts und verschickte 2006 den ersten Tweet, heute nutzen mehr als 330 Millionen Menschen weltweit den Kurznachrichtendienst. Im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur spricht der 40-Jährige über seine Visionen für die Zukunft und alte Fehler. Außerdem erklärt er, wie er dem Hass im Netz begegnen will und warum ihn die umstrittenen Tweets von US-Präsident Donald Trump nicht stören.
Viele Menschen in den USA schauen morgens als erstes nach, was Präsident Donald Trump in der Nacht schon wieder getwittert hat. Was halten sie als Twitter-Chef davon?
Jack Dorsey: Es ist nicht so anders als bei vielen anderen Staatenlenkern in anderen Ländern. Ich denke, es ist wichtig, dass wir direkt von den Spitzenpolitikern hören. Trump hat seine Twitter-Nutzung nicht verändert, seit er 2012 beigetreten ist.
Zugleich waren viele Tweets von Trump beleidigend und kamen dem nahe, Twitters Regeln zu verletzen. Ist Trump als Präsident immun dagegen, von Twitter gesperrt zu werden, egal was er twittert?
Dorsey: Nein. Wir wenden bei jedem Account die selben Regeln an. Wir hinterfragen zugleich in Zusammenarbeit mit Journalisten unsere Nutzungsbedingungen, wenn es um Tweets mit Nachrichtenwert geht.
Aber lenkt das nicht zu viel negative Aufmerksamkeit auf Twitter?
Dorsey: Es ist der Präsident der Vereinigten Staaten! Wir begrüßen jeden Spitzenpolitiker, der unseren Dienst nutzt, weil es der Welt erlaubt, sie zur Rechenschaft zu ziehen.
"Es ist die Aufgabe von Twitter, fĂĽr Meinungsfreiheit einzustehen"
In Deutschland gibt es ein neues Gesetz, wonach strafbare Inhalte nach einem Hinweis rasch gelöscht werden müssen. Wie stellen Sie sich darauf ein?
Dorsey: Ich denke, das ist ein kompliziertes Thema. Wir wollen dafür sorgen, dass wir nicht Meinungen verstummen lassen, die gehört werden sollten. Und das kann passieren, wenn Algorithmen und dann Menschen mit dem herausfiltern betraut werden. Ich denke, es wird schwierig werden, das umzusetzen. Aber wir müssen den Vorschriften folgen.
Wie bereitet Twitter sich darauf vor, stellen Sie mehr PrĂĽfer ein?
Dorsey: Es wird eine Kombination sein – wir werden sehen, wofür wir Software entwickeln können und wofür wir Menschen einstellen müssen.
Sehen Sie die Gefahr von mehr Zensur in anderen Ländern unter Hinweis auf solche Maßnahmen im Westen?
Dorsey: Was in einem Markt gemacht wird, beeinflusst andere. Und es gibt das Risiko, auf einen gefährlichen Weg zu geraten. Es ist die Aufgabe von Unternehmen wie Twitter, dagegen Widerstand zu leisten, und von Journalisten, für Meinungsfreiheit einzustehen. Der Vorteil von Twitter ist, dass Journalisten eine sehr starke Nutzergruppe ausmachen. Das könnte helfen, ein Schlaglicht darauf zu werfen, wenn Maßnahmen von Regierungen zu weit greifen.
"Die Leute kommen nicht zu Twitter, um mit Freunden zu kommunizieren"
Was sind Ihre Prioritäten für Twitter für die nächsten Jahre?
Dorsey: Wir fokussieren uns darauf, der Ort zu sein, an dem man am schnellsten erfährt, was auf der Welt passiert. Im Moment verlangen wir den Leuten Arbeit ab, wenn sie nach für sie passenden Accounts suchen. Wir können hier deutlich besser werden. Auch darin, zu erkennen, wofür sich die Menschen interessieren. Zweitens können wir es viel einfacher machen, einzufangen, was gerade passiert. Und drittens glauben wir, dass wir Menschen anzeigen können, was für sie persönlich wichtig ist. Wir haben dafür Informationen, die andere nicht haben. Die Leute kommen nicht zu Twitter, um mit Freunden oder Familie zu kommunizieren. Sie kommen, weil sie nach etwas suchen und sie treffen Leute entsprechend diesen Interessen. Wichtig ist, diese Verbindungen schneller herzustellen.
Was können die Sozialen Medien tun, um Hassrede zu bekämpfen? Tauschen Sie sich mit Ihren Konkurrenten aus?
Dorsey: Wir sprechen viel mit Google und Facebook und neueren Diensten. Wir haben unterschiedliche Strategien und wir teilen unsere Ideen und profitieren und lernen voneinander. Da ist also eine Kooperation, auch wenn wir Konkurrenten sind. Was können wir tun? Wir reden mit Opfern von Online-Hetze. Wir hören uns ihre Sorgen an und was wir ihrer Meinung nach tun sollen. Wir tauschen uns aus – mit Regierungen, politischen Entscheidungsträgern, Gruppen, die die Meinungsfreiheit verteidigen und anderen Organisationen. Das wichtigste ist, transparent zu sein mit dem was wir tun. Dass es sichtbar ist, wenn wir einen Account sperren oder Tweets entfernen. Wir waren da in der Vergangenheit nicht immer gut, aber wir werden jeden Tag besser.
"Wir haben versucht, zu viele Dinge umzusetzen"
Was war die Idee hinter Twitter als Sie es vor elf Jahren ins Leben gerufen haben? Welche Ziele haben Sie erreicht und wo sind sie gescheitert?
Dorsey: Ich glaube, wir haben versucht, zu viele Dinge umzusetzen. Wir waren nicht so fokussiert, wie wir sein sollten und wie wir es jetzt sind. Aber vor elf Jahren hätten wir nicht erwartet, dass die Menschen Twitter so nutzen, wie sie es tun. Wir haben nicht erwartet, was beim Arabischen Frühling passierte, im Iran, in Ferguson. Wir hätten nicht erwartet, dass der jetzige US-Präsident Twitter auf diese Weise nutzt – oder auch wie der vergangene Präsident es genutzt hat. Als wir die Firma gründeten, haben wir sie eigentlich für uns in Leben gerufen. Aber die Art, wie die Leute den Dienst für sich genutzt und definiert haben, war extrem kraftvoll und inspirierend und das wollen wir auch fortsetzen.
Bleibt die Begrenzung auf zuletzt 140 Zeichen? War der Eindruck richtig, dass Sie zwischendurch erwogen haben, sie abzuschaffen?
Dorsey: Wir schauen uns immer an, wie Leute twittern und wie wir das verbessern können. Ist es diese Einschränkung, die Twitter zu Twitter macht? Wir glauben, dass es wirklich wichtig ist, diese Kürze beizubehalten. Aber bei Direktnachrichten haben wir ja die Begrenzung auf 10.000 Zeichen hochgeschraubt und sofort sprang die Nutzung hoch.
"Wir haben genug Geld auf der Bank, um unser Geschäft weiter auszubauen."
Twitter hat bisher kein Quartal ohne rote Zahlen geschafft. Ist Werbung überhaupt das richtige Geschäftsmodell für die Firma?
Dorsey: Wir haben ein Werbegeschäft seit sechs Jahren und es ist sehr stark. Es ist aber unsere Entscheidung, ins Wachstum zu investieren. Wir haben genug Geld auf der Bank, um unser Geschäft weiter auszubauen. Wenn die Leute wirklich genervt von unseren Anzeigen wären, würden wir das sehen, sie würden nicht funktionieren und unsere Werbekunden würden nicht wiederkommen. Aber sie kommen wieder. Kann es noch größer werden? Absolut. Können wir damit Geld verdienen? Absolut.
Mit welchem Vermächtnis von Twitter wären Sie zufrieden?
Dorsey: Der Welt zu helfen, zu verstehen, dass wir alle vor den selben Herausforderungen stehen. Dass wir alle die Dinge überwinden müssen, die uns trennen und uns auf das fokussieren müssen, was wirklich wichtig ist. Wir sitzen alle in einem Boot. Es gibt viele Ansichten, aber wir müssen alle zusammenarbeiten, um die großen Probleme zu lösen: Umwelt, wirtschaftliche Ungleichheit, der Vormarsch künstlicher Intelligenz und ihre Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Das sind die Dinge, über die wir reden sollten. Aber wir lassen uns von Kleinigkeiten ablenken. Wenn Technologie zeigen kann, dass wir eine Welt, ein Planet, eine Menschheit sind, würden wir uns freuen, wenn das Teil von unserem Vermächtnis wäre.
Jack Dorsey ist Mitbegründer von Twitter. Im März 2006 verschickte er den ersten noch abrufbaren Tweet: "just setting up my twttr", wie der Kurznachrichtendienst damals noch hieß. 2007 wurde er zum ersten Firmenchef des Unternehmens, sah sich aber schon nach eineinhalb Jahren gezwungen, den Job wieder aufzugeben. Dorsey gründete 2009 den Online-Bezahldienst Square, den er weiterhin führt. 2015 kehrte er an die Spitze von Twitter zurück. (dbe)