Virtuelle ICANN-Tagung beginnt mit .org-Debatte: Viel Technik, wenig Info

Die ICANN diskutiert wegen des Coronavirus nur virtuell. Viel sagen wollte der Vorstand aber nicht, als es um den Verkauf der .org-Domain ging.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 1 Kommentar lesen
Virtuelle ICANN-Tagung beginnt mit .org-Debatte: Viel Technik, wenig Info

(Bild: Shutter Ryder/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Monika Ermert

Beim ersten rein virtuell abgehaltenen Public Forum der 67. Tagung der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) gab es zwar Lob für die Technik, aber vor allem viel Kritik am Umgang mit dem Verkauf der .org-Registry. Insgesamt 535 Teilnehmer waren bei der Tagung dabei, die wegen der steigenden Zahl von Infektionen mit dem Coronavirus ins Netz verlegt worden war. Dafür musste sich die ICANN nun nicht verteidigen, wohl aber für die zögerliche Bereitschaft, zu erklären, welche Maßstäbe sie an den Verkauf der .org-Registry an den Kapitalinvestor Ethos Capital anlegen will.

Der am 19. November von der Internet Society angekündigte Verkauf vom Public Interest Registry (PIR) an die neu gegründete Ethos Capital hatte für einen Aufschrei im Netz und Kampagnen gegen den Deal, etwa durch die Electronic Frontier Foundation, gesorgt. Die Umwandlung der bislang als nicht gewinnorientiertes Unternehmen geführten Registry, die der ISOC seit 2002 als Cash-Cow fürs eigene Wachstum gedient hat, in ein auf Gewinnerzielung ausgerichtetes Asset eines Finanzinvestors werde steigende Preise und möglicherweise Einschränkungen der Meinungsfreiheit für NGOs bedeuten, die sich der Domain bedienten, so die Befürchtungen.

Die mittlerweile bekannt gewordenen Hintergründe des 1,135 Milliarden US-Dollar schweren Deals haben die Kritik alles andere als verstummen lassen. Auf Anregung von ICANN haben Ethos, PIR und ISOC mittlerweile der Veröffentlichung einzelner Details der komplexen Transaktion zugestimmt. So wurde bekannt, dass Ethos Capital nicht der eigentliche Käufer ist, sondern dass ein undurchsichtiges Geflecht von neu gegründeten Firmen einsteigt – die Purpose Domain Direct LLC. Die Namen von drei an die ICANN mitgeteilten Personen, die dort die Geschäfte führen, wurden dabei geschwärzt. Die Purpose Domains Investment LLC, die in den von ICANN veröffentlichten Dokumenten nicht genannt wird, listet als Geschäftsführer den Ethos-Chef Erik Brooks.

Noch bis 20. März so berichtete im virtuellen Plenum nun ICANN-Justiziar John Jeffry, hat der ICANN-Vorstand Zeit für seine eigene Zustimmung zum Eigentümerwechsel. Bislang zwei Verlängerungen hatten Ethos und PIR bislang zugestimmt, weil sowohl der Justizminister von Pennsylvania als auch sein Kollege aus Kalifornien sich eingeschaltet hatten. Ersterer muss der geplanten Umwandlung von PIR in ein kommerzielles Unternehmen zustimmen. Letzterer hat als Aufsicht für die ICANN selbst angekündigt, ein Wörtchen mitreden zu wollen. Die ICANN hatte an sich um eine weitere Verlängerung der Prüffrist bis Mitte April gebeten, so Jeffrey. Man arbeite aber entschieden auf eine Entscheidung hin.

Die vielen noch offenen Fragen des ICANN-Plenums beantwortete Jeffrey in der Sitzung aber genauso wenig wie die ICANN-Vorstandsmitglieder. Man wolle sich die Sorgen und Vorschläge der "Community" anhören, vertrösteten der Vorsitzende des ICANN-Vorstands Marten Bottermann und andere Direktoren die Zuhörer. Dabei forderten diese noch nicht einmal Aufklärung über das undurchsichtige potenzielle neue Eigentümergeflecht.

Vielmehr wollten die Fragesteller, darunter zahlreiche Vertreter der EFF wissen, welche Bindungswirkung die von Ethos zugesicherten, sogenannten Public Interest Commitments (PICs), haben. Solche Selbstverpflichtungen für Registrys wurden im Rahmen der zweiten Erweiterungsrunde für neuen TLDs vor allem auf Druck der Regierungen eingeführt. Ethos hatte kürzlich angekündigt, man sei bereit die PICs zum Bestandteil des neuen Vertrags mit der ICANN zu machen. Die Durchsetzbarkeit und spätere bilaterale Änderungen des Vertrags bleiben aus Sicht mancher Kritiker aber ein Problem.

Außerdem kritisierten viele Teilnehmer die Idee, dass alle Mitglieder des geplanten Beirats für die künftige For-Profit-Registry von PIR selbst berufen werden sollen. Der Beirat soll Sorgen über mögliche Entscheidungen bezüglich einer Einschränkung von Meinungsfreiheit – etwa der Wahl von bestimmten TLDs – mit einem Veto stoppen können und außerdem den von Ethos zugesagten Beitrag für gemeinnützige Internetprojekte von 10 Millionen verteilen können. Eine handverlesene Besetzung mache wenig Sinn, so die Analyse des Internet Governance Project (IGP). IGP empfiehlt überdies mehr Sicherheit in Bezug auf die Preise durch die Möglichkeit, org-Domains für 20 Jahre zu registrieren.

Dass die ICANN sich weder zu Frage der Bindungswirkung der PICs, noch zu Aspekten wie die Beteiligung eigener Mitarbeiter an dem Deal äußern wollte, stieß am Ende beim virtuellen Plenum auf viel Unverständnis. John Curran, Chef der nordamerikanischen IP-Adressverwaltung ARIN, kritisierte, die Weigerung der ICANN, auf Fragen zu den Kriterien zu antworten, die die ICANN-Direktoren bei ihrer Entscheidung für oder gegen einen Deal berücksichtigen wollen. "Dies ist keine Frage an .org oder PIR oder Ethos", so Curran, "es ist eine Frage an ICANN." In gewisser Weise kommt der ICANN-Spitze die Verlegung ins Netz mindestens in diesem Punkt zu Gute – virtuell ist das konsequente Nachbohren und Belagern des Vorstands um einiges schwerer. (mho)