Werber auf Cookie-Diät: Vermarkter suchen neue Kooperationen
Die Tage der Third Party Cookies scheinen gezählt. Die Werbebranche begrüßt Googles Initiative, will aber mehr Mitsprache.
Wenn die Third-Party-Cookies abgeschafft werden, könnten vor allem die großen US-Plattformen profitieren. Um dem vorzubeugen, will die Branche neue Partnerschaften voranbringen. In einer Studie der Organisation Werbungtreibende im Markenverband (OWM) mit dem Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) wird die Zwickmühle der Branche deutlich: Man würde gerne mit weniger Daten klarkommen, die Werbekunden wollen aber nicht auf den Datenfluss verzichten.
Die Einbindung von Tracking-Cookies steht derzeit von mehreren Seiten unter Druck. So hat die sogenannte Cookie-II-Entscheidung des Bundesgerichtshofs festgestellt, dass Endnutzern die Datenweitergabe insbesondere für Telefonwerbung nicht ungefragt aufgedrückt werden kann. Gleichzeitig versuchen Apple, Mozilla und auch Google die Tracking-Technologie aus den eigenen Browsern zurückzudrängen. Mit der Studie wollte der Branchenverband ein Stimmungsbild einfangen.
"Die Ergebnisse zeigen, dass das drohende Aus von Third-Party-Cookies keine Revolution ist, sondern Evolution", sagt BVDW-Vizepräsident Thomas Duhr. "First-Party-Daten werden zur Grundvoraussetzung in der Mediaplanung. Sie werden zur Basis für effiziente Zusammenarbeit." Das heißt: Website-Betreiber sollen mehr auf eigene Daten setzen, um dennoch personalisierte Werbung auszuspielen.
Werbekunden sind datenhungrig
Doch auch wenn erste Lösungen bei der New York Times oder etwa bei der niederländischen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt NPO erprobt werden, zeigt sich die Branche noch skeptisch. OWM-Vorstand Arne Kirchem erläutert: "Was wir uns aus Sicht der Werbetreibenden wünschen, ist eine Standardisierung. Ein Wildwuchs an neuen Ad-Identifiern und ein Dschungel von Ad-Tech-Anbietern sollte unbedingt vermieden werden." Gleichzeitig hat die Branche auch Angst vor zu großer Machtkonzentration. So begrüßt der OWM ausdrücklich Googles Vorstoß der Privacy Sandbox und vertritt damit eine andere Position als die kürzlich gegründete Partnership for Responsible Addressable Media, die die Entwicklung zurückdrehen will.
Allerdings legt der OWM Wert darauf, dass die Privacy Sandbox nicht mit einem Gatekeeper Google verknüpft sein dürfe. Dies ist auch die Position des Online-Konzerns, der sich derzeit bemüht, einen neuen Werbestandard im W3C zu definieren.
Zwischen Resignation und Aufbruch
Die Studie zeigt ein breites Stimmungsbild. Unter den O-Tönen findet sich zum Beispiel das Eingeständnis eines ungenannten Agentur-Vertreters: "Wenn man sich einmal anschaut, was da draußen an Retargeting unterwegs ist, brauchen wir uns alle nicht wundern, dass uns das Ganze jetzt um die Ohren fliegt." Andere Stimmen fragen, welche Alternativen denn zur Verfügung stünden. Wieder andere dringen darauf, Publishern etwa durch Lobbyarbeit bei der europäischen E-Privacy-Richtlinie wieder ungehindertes Datenhandeln zu ermöglichen, um Google, Amazon, Apple und Facebook Paroli bieten zu können. Einige Tech-Anbieter wollen Third-Party-Cookies schlichtweg auf die Domains der Verlage verschieben, um das bisherige Tracking-System nahezu nahtlos weiterführen zu können.
Dass dies nach den Vorgaben der DSGVO möglich ist, ist jedoch fast auszuschließen. Diese Aufspaltung der Branche zeigt sich bereits in der Praxis. Viele Anbieter haben in den vergangenen Wochen neue Cookie-Banner nach dem Branchenstandard TCF 2.0 online gestellt. Hierbei setzen einige Anbieter allerdings auf sogenannte "Dark Patterns", um vom Nutzer unbeabsichtigt eine Zustimmung zu grenzenloser Datenweitergabe inklusive Bewegungsprofilen und Browser-Fingerprinting zu erlangen. Datenschützer bezweifeln aber, ob eine solche Zustimmung gültig sein kann, wenn Nutzer gezielt in die Irre geführt werden.
'Mea culpa' aus Berlin
Von der Berliner Zeitung kommt unterdessen ein bemerkenswertes Schuldeingeständnis: "Zudem haben wir verstanden, dass der bisher eingeschlagene Weg einer immer stärker personalisierten Werbung im Zeitungsgeschäft keine Zukunft hat", heißt es in einem Beitrag in eigener Sache. So verstoße das Tracking auf Verlagsangeboten nicht erst seit der Einführung der europäischen Datenschutzgrundverordnung gegen das in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland verankerte Recht der informationellen Selbstbestimmung.
Die Schuld liege bei den Verlagen: "Es ist ein hausgemachtes Problem eines Teils deutscher Medien, die in der Vergangenheit Rechtsräume aktiv zu ihren Gunsten und zulasten ihrer Leser interpretativ ausgeweitet haben", schreibt die Berliner Zeitung. Hiermit habe man ein Finanzierungsdefizit heraufbeschworen statt personalisierten Journalismus aufzubauen. Dieses Defizit zeigt sich aber auch im Geldbeutel der Leser: So hat der Verlag die Verkaufspreise erst im Juli deutlich heraufgesetzt.
In München stellte Burda unterdessen sein proprietäres System "Sugarless" vor, das die Persönlichkeitsprofile der Endnutzer durch Informationen über das Umfeld ersetzen soll. So baut das Burda-System auf einer semantischen Analyse der Inhalte auf, die sich die Endnutzer ansehen, und wollen darauf basiert Werbung ausspielen. "Die alte, uns bekannte Welt der Cookies geht unter", sagt Martin Lütgenau, Chief Marketing Officer bei BurdaForward. „Mit unserer neuen, Machine Learning Technologie heben wir kontextuelles Targeting auf ein neues Level und denken Deutschlands Werbewelt im Kern neu“, erklärt er. Nun bleibt abzuwarten, wie das Verlagsangebot bei den Werbekunden ankommt, und auch, inwieweit das System in bestehende programmatische Buchungsprozesse integriert werden kann. (emw)