Wissenschaftlich belegt: Corona-Lockdown führt zu besserer Luft

Oft ist zu hören, dass Ausgehverbote, Kontaktsperren und weniger Verkehr keinen großen Effekt auf die Luftqualität haben. Forscher kommen zu anderen Resultaten.

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Stau, Verkehr, Autos, Infrastruktur
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Inhaltsverzeichnis

Zahlreiche Regierungen haben den Bürgern, der Verwaltung und der Wirtschaft einen weitgehenden Lockdown verordnet, um der Corona-Pandemie Einhalt zu gebieten. Daher ist es nicht verwunderlich, dass etwa der europäische Satellit Sentinel-5P im Vergleich zum Vorjahr global einen starken Rückgang von Stickstoffdioxid (NO2) und damit eine geringere Luftbelastung durch industrielle Produktion und Verkehr anzeigt. Skeptiker halten dagegen, dass die seit Wochen in weiten Teilen Europas vorherrschende Polarluft und eine andauernde Brise aus Nordwest bereits für ungewöhnlich saubere Luft sorgt.

Nun wollen Forscher des Earth Observation Center (EOC) im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) den "Corona-Effekt" aber wissenschaftlich stichhaltig belegt haben. Sie haben dazu unter anderem Langzeitanalysen des europäischen Satelliten MetOP-A herangezogen, der seit vielen Jahren täglich die globale Schadstoffverteilung ermittelt. Diese zeigen zunächst jedoch nur, dass starke witterungsbedingte Schwankungen des Luftschadstoffs NO2 nichts Besonderes sind.

MetOP-A erfasst dabei die gesamte Atmosphäre. In zunehmender Höhe können Winde schädliche Emissionen verfrachten, verdünnen oder Gase und Partikel aus entfernten Regionen hereintragen. Daher sind auch diese Messungen alleine kein Beweis für Thesen in die ein oder andere Richtung. Am Boden wiederum verlagern Winde Schadstoffe ebenfalls, Niederschläge waschen sie zusätzlich aus. Daher sind die Messdaten von Bodenstationen alleine auch nicht aussagekräftig genug.

Am Beispiel der Lombardei haben die DLR-Experten daher die Schadstoffbelastung am Computer simuliert. Die Region in Oberitalien ist bekannt für hohe Luftverschmutzung, was zur schnellen und vergleichsweise frühzeitigen Verbreitung des Coronavirus sowie schweren Krankheitsverläufen mit beigetragen haben soll. Am 8. März beschloss die italienische Regierung daher in rascher Folge ständig schärfere Quarantäne-Maßnahmen. Satelliten- und Bodenmessungen zeigen entsprechend seit dem Lockdown abweichende Ergebnisse vom langjährigen Mittelwert, was die Forscher als erstes Indiz werteten.

Um am Rechner auch den Einfluss des Wetters zu berücksichtigen, starteten die Wissenschaftler ihre Simulation mit Emissionswerten von Schadstoffen, die sie über mehrere Jahre mittelten und die so die Normalsituation abbildeten. Damit stellten sie sicher, dass das Modell von den Corona-bedingten Maßnahmen nichts weiß. Es berücksichtigt aber von Stunde zu Stunde die realen Wetterbedingungen.

Anschließend verglichen die Forscher diese Ergebnisse mit den diesjährigen Messdaten. Die modellierte Normalsituation zogen sie dazu von den tatsächlichen Bodenmesswerten ab. So konnten sie nachweisen: vom 8. März an führt der Lockdown in der Lombardei zu einer echten Reduktion der NO2-Belastung um etwa 20 Mikrogramm pro Kubikmeter, was einem Minus von 45 Prozent entspricht.

"Für pauschale Bewertungen ist das atmosphärische Geschehen zu komplex", betont das DLR. Dies werde gerade in anderen Regionen dieser Welt deutlich. Dort lägen die derzeitigen Messwerte zum Teil innerhalb der Schwankungsbreite der vergangenen Jahre. Ob dies auf spezielle lokale Witterungsbedingungen oder ein späteres Einsetzen der Lockdown-Maßnahmen zurückzuführen sei, müsste auch dort genauer untersucht werden. Erst eine "kombinierte Betrachtung von Satellitenmessungen, In-situ-Daten und Computermodellierungen" ermögliche einen stichhaltigen Beleg einschlägiger Corona-Auswirkungen.

Mit Sentinel-5P stehen seit 2018 auch Messungen in weit höherer Auflösung als mit MetOP-A zur Verfügung. Diese werden dem DLR zufolge künftig helfen, Emissionsquellen und Schadstofftransporte noch besser nachvollziehen zu können. Um bei den ersten kleinen hier möglichen Zeitreihen den Wettereffekt zumindest zu reduzieren, bildeten die Wissenschaftler global Monatsmittel, wofür sie über zwei Monate hinweg 1,2 Billionen Einzelmessungen mithilfe eigener Algorithmen verarbeiteten und auf Qualität hin prüften. Auch diese Daten zeigen – allerdings nicht wetterunabhängig – einen klaren Emissionsrückgang.

Für März und April hat derweil das Startup Hawa Dawa Informationen aus Messstationen in München ausgewertet. Demnach ist ein deutliches Minus bei den NO2-Emissionen in der Anfangsphase des bayerischen Lockdowns von Mitte März an festzustellen. Die Konzentrationen steigen vor allem im April aber schon wieder an. Die dortigen Forscher bezogen daher zusätzliche Faktoren wie ein geändertes Mobilitätsverhalten, Wettereinflüsse und saisonale Bedingungen mit ein. Das Resultat: Für Standorte im Stadtzentrum mit hohem Verkehrsaufkommen sinkt die tägliche NO2-Konzentration bis auf ein Niveau von etwa 55 Prozent der normal zu erwartenden Werte und bis auf rund 70 Prozent an Stationen außerhalb des Innenstadtrings. (kbe)