Zahlen, bitte! Eine volle Ladung für das Ampere
Einiges neu machen die Metrologen: Auch das Maß für die Stromstärke wird neu festgelegt, künftig ist die Elementarladung die Grundlage.
Zu den Neudefinitionen von vier der sieben Grundeinheiten des System International (SI), die höchstwahrscheinlich Mitte November von der 26. Generalkonferenz der Metrologen in Versailles endgültig verabschiedet werden, gehört neben Kilogramm, Kelvin und Mol auch das Ampere als Maß für die Stromstärke. Hier wird hinfort die Elementarladung, also die Ladung des Elektrons, die neue Grundlage.
Für das nach dem französischen Physiker André-Marie Ampère (1775 – 1836) benannte Ampere gibt es seit 1948 eine exakte physikalische Definition in der Metrologie (der Wissenschaft vom Messen und ihrer Anwendung). Das alte internationale Ampere aus dem Jahre 1909 war derjenige Gleichstrom, der aus einer wässrigen Lösung von Silbernitrat innerhalb einer Sekunde durch Elektrolyse 1,118 mg Silber abscheidet. Das neue absolute Ampere war nun die Stromstärke, bei der zwischen zwei unendlich langen, stromdurchflossenen und geradlinigen Leitern im Vakuum mit 1 Meter Abstand und vernachlässigbar kleinem, kreisförmigen Querschnitt eine Kraft von 0,2 Mikronewton pro Meter Leitungslänge zu messen ist.
Reale Schwierigkeiten
Dumm nur bei dieser Definition: Die Realisierung ist nicht so einfach zu bewerkstelligen, da man weder unendlich lange Leiter noch vernachlässigbare kleine Querschnitte wirklich hinbekommt. Mit der sogenannten Stromwaage kann man jedoch Näherungswerte bestimmen, wenn auch mit der unzureichenden Genauigkeit von einigen Mikroampere.
Mit den „Moving Coils“ konnte man dann die Ungenauigkeit in den Nanoampere-Bereich reduzieren – aber auch das war zu wenig für die Ansprüche der Metrologen. So ersetzte man ab Ende der 80er Jahre die offizielle Definition durch diverse „praktische“ Realisierungen, etwa über das Ohm'sche Gesetz mit weit genaueren Spannungen über den Josephson-Effekt und Widerständen über den Quanten-Hall-Effekt.
Und seitdem versuchte man, das in die finale Neudefinition irgendwie zu übernehmen. Doch gut Ding braucht bekanntlich seine Zeit – nun aber ist es, wenn nichts Außergewöhnliches passiert, endlich soweit. Als Basis dient hinfort die Naturkonstante e, die Elementarladung mit bislang (laut CODATA 2017) 1,6021766341(83) × 10-19 C und dann vermutlich exakt 1,602176634 × 10-19 C. Optimistisch läuft hier und da schon der Countdown-Zähler, etwa auf der Webseite der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB).
Mit der alten Definition wurde die magnetische Feldkonstante µ0 exakt zu 4¶ × 10-7 N/A² festgelegt und damit war auch die elektrische Feldkonstante exakt. Die werden jetzt zur Messgröße und mit einer relativen Messungenauigkeit von 2,7 × 10-10 belegt – genauso wie die Feinstrukturkonstante.
Millikan und Co.
Wer in der Schule Physik-Leistungskurs hatte, erinnert sich vielleicht noch an den Millikan-Versuch: Man hielt mühsam kleinste, elektrisch aufgeladene Öltröpfchen in Kondensatoren in der Schwebe oder – besser noch – vermaß ihre Sink- oder Steiggeschwindigkeit, um auf diese Weise mit komplizierten Formeln, womöglich gar unter Berücksichtigung der Stokeschen Reibungskraft sphärischer Körper, die Elementarladung zu bestimmen. Das klappte zwar nur selten, aber das Prinzip war einfach schön, immerhin konnte man Effekte von subatomaren Teilchen direkt beobachten und messen.
So ähnlich hatte es der amerikanische Physiker Robert Andrews Millikan, der übrigens in Göttingen studiert hatte, zusammen mit seinem Kollegen Harvey Fletcher 1910 auch getan, wenn auch mit ein bisschen mehr „Saft“ als üblicherweise in den Schulen – mit damals schwer hinzubekommenden 5.300-Volt-Batterien (dürfte auch heute noch schwierig sein). Mit 4,891 × 10-10 elektrostatischen Einheiten (esu) oder im heutigen Maßsystem 1,631 × 10-19 C lagen die ersten Messergebnisse der beiden nur um 1,7 Prozent über dem heute gültigen Wert und damit weit besser als frühere Ergebnisse vom Elektron-Entdecker Sir Thownsend (1897), von Sir Thomson (1900) oder von Harold Wilson (1903).
Heutzutage ein wenig in Vergessenheit geraten ist in diesem Zusammenhang, dass schon ein Jahr vor Millikan der Wiener Wissenschaftler Felix Ehrenhaft mit veröffentlichten Werten zwischen 4,46 und 4,68 × 10-10 esu (1,56 × 10-19 C), gemessen an Aerosolteilchen, recht nahe dran war. Damals gab es jedenfalls einen vielbeachteten, jahrelangen „Battle over the Electron“.
Preiswürdig
Millikan und Fletcher einigten sich vertraglich, wessen Name unter welcher Veröffentlichung stehen sollte; und daher stand unter den in den Physical Reviews veröffentlichten Papers in den Jahren 1910 (The Isolation of an Ion, a Precision Measurement of its Charge, and the Correction of Stokes’s Law) und 1913 (On the elementary Charge and the Avogardo Constant) nur der Name von Millikan ... und so bekam auch nur Millikan 1923 den Physik-Nobelpreis – Fletcher und auch Ehrenhaft schauten in die Röhre.
Bis 1913 verbesserte Millikan den Wert auf 4,774 × 10-10 esu ( 1,592 × 10-19 C), was etwa 0,6 Prozent unter dem aktuellen Wert liegt. In den Folgejahren wurde der Versuchsaufbau immer weiter verfeinert und der Wert präzisiert (Millikan, Bäcklin, Flemberg ...). In den 30er-Jahren wurde auch der Wert für die Viskosität der Luft um 0,67 Prozent korrigiert (Kellström), der in die Berechnung nach Millikan einfließt. Das ergab dann den zu hohen Wert von 4,818(11) × 10-10 esu (1,6071(36) × 10-19 C). In den 70er-Jahren stiegen Forscher der Universität Genua von Öltropfen auf Graphit-Teilchen und später auch auf kleinste zylindrische Eisenkörner um.
Parallel dazu wurden andere Messverfahren entwickelt, etwa über Röntgenbeugung in Kristallen und Beugungsgittern (Bäcklin 1928: 4,793(15) × 10-10 esu, von Friesen 1935: 4,796(5) × 10-10 esu – siehe auch On the Values of Fundamental Atomic Constants von Sten von Friesen aus dem Jahre 1937). Aus der De-Broglie-Wellenlänge des Elektrons und der Rydberg-Konstanten lässt sich die Elementarladung ausrechnen. Enrico Fermi hat den "wohlbekannten" Wert von Epstein/Dunnigton aus dem Jahre 1939 von 4,8025(7) × 10-10 esu zugrundegelegt, wohl auch beim Bau der Atombombe.
Heutzutage dienen zur Bestimmung der Elementarladung insbesondere die oben erwähnten Josephson- und Quanten-Hall-Effekte. Diese ergibt sich dann über das Ohm'sche Gesetz über die einfache Beziehung: e=2/(Rk×Kj) mit Rk=Josephson-Konstante (483 597,8525(30) GHz/V) und Kj=Klitzing-Konstante (25 812,807 4555(59) Ω ).
Single Electron Transport (SET)
Für die tatsächliche Messung der Stromstärke, der so genannten "Realisierung des Ampere" kann man aber bei Kenntnis der Elementarladung auch "einfach" die Zahl der Elektronen pro Sekunde zählen, die durch einen Leiter fließen. So etwas geschieht mit Einzelelektronen-Schaltungen wie den Einzelelektronen-Pumpen, die die Erzeugung von elektrischen Strömen durch getakteten Transport einzelner Elektronen ermöglichen.
Inzwischen kommt man auf Taktfrequenzen von einigen GHz, also mehrere Milliarden Elektronen pro Sekunde, was immerhin Stromstärken bis in den nA-Bereich hinein entspricht. Solche „Hochstrom“-Pumpen sind aber noch recht ungenau, den Genauigkeitsrekord von 0,16 µA/A hält derzeit die PTB in Braunschweig mit einer kleineren Pumpe von 96 pA.
Auch wenn die Conference Generale de Poides et Mesures, wie man erwarten darf, das neue SI Mitte November beschließen wird, ist eine Korrektur der exakten Werte noch bis Jahresende möglich, denn in Kraft treten wird das neue SI traditionsgemäß erst am „Welt-Metrologie-Tag 2019“. Das ist der 20. Mai, der Jahrestag der Unterzeichnung der internationalen Meterkonvention im Jahre 1875 durch die Bevollmächtigten von 5 Präsidenten und 13 Majestäten – natürlich mit dem Deutschen Kaiser vorneweg ... Bayern allerdings, liebe PTB, war nicht per Majestät Ludwig II dabei, erhielt aber später nebst Preußen eigene Kopien vom Ur-Meter und dem Ur-Kilogramm.
Großbritannien mit Königin Viktoria übte sich auch damals schon im Brexit, trat dann aber 1884 doch dem Buro International des Poids et Mesures (BIPM) bei. Mit zu den Erstunterzeichnern der Konvention gehörte allerdings der amerikanische Präsident Ulysses Grant. In den USA hat man das metrische System jedoch in den letzten 143 Jahren (so wie in Liberia und Myanmar) bekanntlich nur recht partiell umgesetzt, trotz des Metric Conversion Act aus dem Jahre 1975. Und wer weiß, vielleicht tritt Donald Trump ja demnächst auch ganz aus der Meterkonvention aus, um den Maßeinheiten wie Fuß, Fahrenheit, Pfund, Gallone, etc. in der Raumfahrt und der amerikanischen Wissenschaft wieder zu mehr Ansehen zu verhelfen. (as)