Zahlen, bitte! M. C. Eschers Droste-Effekt auf der Spur
Optische Illusionen, verrückte Parkettierungen, unmögliche Geometrien – kaum jemand hat Mathematik und Kunst so elegant verwoben wie Maurits Cornelis Escher.
Fast jeder kennt M. C. Eschers sich gegenseitig zeichnende Hände oder das vertrackte Treppenhaus aus dem Bild "Relativity", das Vorlage für das Aedificium in der Verfilmung von Umberto Ecos "Der Name der Rose" und wohl auch Anregung für die Hogwarts-Treppe in Harry Potters Welt war.
Der englische Mathematiker und Physiker Roger Penrose hatte 1954 den Internationalen Mathematiker-Kongress in Amsterdam besucht und war von Eschers "Relativity" inspiriert worden, die unmögliche Augentäuschung näher zu untersuchen. Als Penrose seine Überlegungen in einem Brief an Escher schickte, war dieser entzückt und reagierte seinerseits mit dem berühmten bergauf fließenden "Wasserfall".
Mit der nicht minder bekannten Lithografie "Belvedere" reagierte Escher 1958 auf eine Arbeit, die Roger Penrose gemeinsam mit seinem Vater Lionel Penrose im British Journal of Psychology veröffentlichte. Die Arbeit stellte dem gelehrten Publikum unter anderem das inzwischen berühmte Penrose-Dreieck vor, das gleich gegen mehrere Gesetze der euklidischen Geometrie verstößt.
KĂĽnstler oder Mathematiker?
Zeit seines Lebens betonte Escher, dass er kein Mathematiker sei und keineswegs seine Bilder errechnen würde. Das ist insofern untertrieben, als Escher sehr wohl errechnete Hilfsgitter für die Entwürfe seiner Ideen nutzte, wie seine Skizzenbücher zeigen. Das bringt uns zum Mathematiker Henrik Lenstra, der auf dem Rückflug von einem Mathematiker-Kongress in einem Magazin blätterte und Eschers Bild "Print Gallery" ("Prentententoonstelling" im Original) betrachtete, eines von Eschers komplexesten Werken, wie sich herausstellen sollte.
Komplex transformierte Kunstgalerie
Lenstra war irritiert davon, dass der sonst so zurückhaltende Escher ausgerechnet die Bildmitte nutzte, um die Lithografie zu signieren. Er machte sich mit seinen Studenten daran, die Mathematik hinter dem Bild zu ergründen. Anstelle der Signatur müsste etwas anderes liegen, dessen war sich Lenstra sicher. Nach zwei Tagen voller Escher-Betrachtungen und -Lektüren kam Lenstra auf die Idee, das Escher mit etwas spielte, das als Droste-Effekt bekannt ist – das Bild enthält ein kleineres Abbild seiner selbst, das wiederum eine kleineres Abbild enthält und so weiter ("rekursives Bild"). Anstelle der Signatur hätte in der Bildmitte von "Prentententoonstelling" eine weitere kleine Galerie zu sehen sein müssen, in der wiederum eine Galerie steht, in der eine Galerie steht und so weiter.
Diese Vermutung sollte aber mit mathematischen Mitteln zu einem richtigen Beweis ausgebaut werden. Zwei Jahre dauerte die Ăśbung in angewandter Mathematik, die sich als kniffelige Untersuchung der Eigenschaften elliptischer Kurven und der von Escher benutzten Gitterstruktur entpuppte. Unter anderem musste ein verzerrungsfreies Bild der Kunstgalerie erstellt werden, damit anschlieĂźend die Umsetzung in winkeltreue Projektionen gelingen konnte.
Schließlich konnten die Ergebnisse und der Lösungsweg im Journal der American Mathematical Society veröffentlicht (PDF-Datei) werden. Am "blinden Fleck" in der Bildmitte müsste eine um 157,6255960832... Grad im Uhrzeigersinn gedrehte Galerie zu sehen sein, die um den Faktor 22,5836845286... verkleinert ist.
Wer Gefallen an dem Droste-Effekt findet, kann zum Beispiel mit der Open-Source-Software "Dr. Oste" (Windows, macOS) oder dem Droste-Plug-in für das ebenfalls kostenlose Windows-Grafikprogramm Paint.net experimentieren, ohne sich mit elliptischen Kurven oder Hilfsgittern beschäftigen zu müssen.
Ordentlich gestaltete Welt statt formloses Chaos
Hans de Rijk, der M. C. Escher während der Arbeit an dem Bild besucht hatte und als erster über die Druckkunst von Escher schrieb, ist sich sicher, dass sich Escher über den mathematischen Beweis der Fortsetzung seines Bildes und ebenso über die durch ihn per Computer produzierten Bilder gefreut hätte. "Ich habe in meinen Drucken immer zu zeigen versucht, dass wir in einer schönen und ordentlich gestalteten Welt leben und nicht in einem formlosen Chaos, wie es manchmal den Anschein hat", schrieb Escher im Jahre 1965. Eine ordentliche Welt, das ist der Schnittpunkt zwischen Escher und der Mathematik. (vza)