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WeWait

| Christian Wölbert

Beim deutschen iPad-Herausforderer klaffen Anspruch und Wirklichkeit auseinander. Nun sollen Updates das Vertrauen der Kunden zurückgewinnen – einige grundsätzliche Probleme werden aber bleiben.

WeWait

Beim deutschen iPad-Herausforderer klaffen Anspruch und Wirklichkeit auseinander: Das Angebot an Apps und Lesestoff ist nicht nennenswert. Nun sollen Updates das Vertrauen der Kunden zurückgewinnen – einige grundsätzliche Probleme werden aber bleiben.

Bevor das Tablet auf den Markt gelangte, klang die Geschichte gut: Tore Meyer und Stephan Odörfer, Jugendfreunde aus der Nähe von Nürnberg, beschließen im Jahr 2007, ein massentaugliches Tablet zu entwickeln und gründen in München die Firma 4tiitoo. Meyer wird CEO, Odörfer CTO. Sie basteln an Konzept und Bedienoberfläche, testen ihre Ideen mit 150 Nutzern und finden mit der Berliner Firma Neofonie einen Partner, der in der Medienbranche gut vernetzt ist.

Anfang 2010 löst Apple mit dem iPad einen Tablet-Hype aus – 4tiitoo und Neofonie wittern ihre Chance. Sie preisen ihr „WePad“ als offene iPad-Alternative an. Designed in Germany, mit Flash, Android-Apps und Multitouch. Verlage sollen ihre Inhalte „ohne Preisdiktat und ohne Zensur“ verkaufen können. Das Konzept geht auf: Nach ein paar Wochen verkündet Neofonie-Chef Helmut Hoffer von Ankershoffen die Zahl von 20.000 Vorbestellungen. Zum Vergleich: Bis September wurde Apples iPad in Deutschland geschätzte 100.000 Mal verkauft. Namhafte Partner machen mit, unter anderem Medion, Intel und Adobe. Gruner + Jahr kündigt eine digitale Version des Stern für das WePad an.

Das nun nach monatelanger Verzögerung erhältliche Gerät passt nicht zu der schönen Geschichte. Nicht nur der Name wurde geändert, von WePad zu WeTab, auch wichtige Merkmale. Es wiegt nicht wie ursprünglich angegeben 850 Gramm, sondern ein Kilo. Die versprochenen Android-Apps und digitalen Zeitschriften fehlen. Multitouch wurde erst durch ein Software-Update nachgeliefert.

Damit enttäuscht das WeTab nicht nur die Erwartungen vieler Vorbesteller, die an einen deutschen iPad-Konkurrenten auf Augenhöhe glaubten. Es erfüllt nicht einmal die Versprechen, die 4tiitoo und Neofonie selbst formuliert haben.

Die Erklärung von 4tiitoo: Man habe den Aufwand beim Wechsel der Betriebssystem-Basis von Ubuntu zu MeeGo unterschätzt. Deshalb sollen in den nächsten Wochen und Monaten weitere Updates [1] nachgeliefert werden. Doch in einem Test müssen Produkte so bewertet werden, wie sie aktuell erhältlich sind. Was kann das WeTab also?

Mit rund einem Kilogramm Gewicht und 11,6-Zoll-Display gehört es zu den größten und schwersten Tablets ohne Tastatur. Dank der Scroll-Leisten am rechten und linken Bildschirmrand lässt es sich auch bedienen, wenn man es mit beiden Händen festhält, was das hohe Gewicht relativiert. Auf Dauer bequemer ist jedoch das Ablegen auf Tisch oder Knie. Dabei muss man auf den Blickwinkel achten: Kippt man das ohnehin leuchtschwache Display, verdunkeln sich die Farben und Schriften lassen sich nur noch mühsam entziffern. Gerade bei Tablets wünscht man sich ein blickwinkelstabiles, helles Display – das iPad setzt mit IPS-Technik und über 300 cd/m² den Maßstab.

Ein weiteres Handicap stellen die Netbook-Komponenten dar. Der Atom-Prozessor wird von einem Lüfter gekühlt, der bei geringer Rechenlast kaum hörbar ist, aber auch bis knapp unter die Nervgrenze aufdrehen kann. Apps starten fix und H.264- sowie WMV-kodierte HD-Videos laufen flüssig, aber beim Scrollen nimmt man ein leichtes Ruckeln wahr. Das 570 Euro teure Topmodell mit HD-Chip sollte eigentlich Flash-HD-Videos flüssig abspielen, doch diese Funktion ist auch in der Liste der Update-Versprechen [2] gelandet.

Beim Dateiaustausch zeigt das WeTab dank zwei USB-Ports und einem SD-Steckplatz keine Schwächen. Der HDMI-Ausgang zickte im Test jedoch.

Beim Dateiaustausch zeigt das WeTab dank zwei USB-Ports und einem SD-Steckplatz keine Schwächen. Der HDMI-Ausgang zickte im Test jedoch.

YouTube-Videos in Standardauflösung laufen flüssig, aber Live-TV auf Zattoo – dafür liefert 4tiitoo ein Bookmark – ruckelt ungenießbar, ebenso die ZDF-Mediathek. Für den Nutzer bedeutet es also keinerlei Vorteil, dass der Atom theoretisch schneller rechnet als die Smartphone-CPUs anderer Tablets. Im Gegenteil: Beim Abspielen von Videos hielt der Akku nur rund zweieinhalb Stunden durch. Das UMTS-Modul akzeptierte nach zwei Updates SIM-Karten von O2, T-Mobile und Vodafone, vorher gab es Probleme mit der PIN-Eingabe.

Das WeTab greift auf USB-Sticks, USB-Festplatten und SD-Karten zu, erkannte auf unserer Platte aber nur zwei von drei Partitionen. Man kann neue Ordner anlegen, Dateien löschen, ausschneiden und kopieren. USB-Tastaturen werden erkannt.

Mit dem rechten Daumen scrollt man schnell über den Homescreen, auf dem Verknüpfungen und Widgets frei angeordnet werden können. Der Browser legt seine Lesezeichen ebenfalls dort ab. Das Einstellungsmenü hat 4tiitoo auf die wichtigsten Funktionen reduziert: Helligkeit, Lautstärke, Verbindungen, Browser-Daten zurücksetzen. Die Oberfläche wirkt dadurch übersichtlich, man findet sich schnell zurecht. Wer tiefer ins System eingreifen will, muss auf den „Expertenmodus“ zurückgreifen, eine Linux-Kommandozeile. Im schnellen Browser scrollt man mit dem linken Daumen, der Videoplayer und der E-Book-Reader zeigen große Schaltflächen am linken Rand.

Das war es aber mit der Konsistenz. Viele andere vorinstallierte und im Market erhältliche Apps wie Google Chromium, Adobe Reader, Skype und den Audio-Player hat 4tiitoo nicht oder nur notdürftig für sein Tablet optimiert. Man muss winzige Icons und Scrollbalken mit dem Finger treffen; Daumenscrollen und Wischen über die Mitte des Fensters klappen nicht. Der E-Mail-Client, das Adressbuch und der Kalender starteten auf einem unserer zwei Testgeräte nicht.

Zwischendurch nervten Kleinigkeiten: Stellten wir das WeTab auf den Kopf, reagierte der Lagesensor zwar zuverlässig, es dauerte jedoch manchmal sekundenlang, bis sich das Bild wieder aufgebaut hatte. Die Weiterleiten-Funktion im Browser („Seite teilen“) funktionierte nicht. Vertippten wir uns, zum Beispiel bei der URL-Eingabe, ließ sich der Cursor nur mit Geduld und Konzentration zwischen den gewünschten Buchstaben platzieren – schneller ging es, wenn wir die Pfeiltasten auf der virtuellen Tastatur einblendeten oder ganz von vorne anfingen. Manchmal ließ sich die Tastatur allerdings partout nicht öffnen. Auch der Task-Wechsler („Geöffnete Fenster“) reagierte gelegentlich nicht. Und bei kleinen Zielen wie den Kreuzen zum Schließen eines Fensters zeigte sich, dass der Touchscreen nicht so präzise reagiert wie beim iPad. Die Liste ließe sich erweitern – in der Summe frustrieren dann irgendwann auch die Kleinigkeiten.

Im WeTab-Market stehen gerade mal ein paar Dutzend Einträge. In Kategorien wie „Tools & Dienstprogramme“ oder „Gesundheit & Sport“ gibt es nur eine Hand voll, die Spieleabteilung liegt mit rund dreizehn Treffern an der Spitze. In vielen Fällen verbergen sich hinter den Logos nur Browser-Lesezeichen: Tipper auf Facebook, Google Mail, Zattoo, YouTube, last.fm und den Instant Messenger im+ führen zu den jeweiligen Webseiten, die meist nicht fingerfreundlich gestaltet sind. Die versprochenen Android-Apps sollen vom Partner Androidpit kommen und in einer virtuellen Maschine laufen. Ein Bezahlsystem ist ebenfalls angekündigt. Bis zum Redaktionsschluss lieferte 4tiitoo diese Funktionen allerdings nicht nach.

Programme aus anderen Sammlungen wie portablelinuxapps.org kann man über USB aufspielen und aus der Kommandozeile heraus starten. So kommt man zum Beispiel an den VLC Media Player. Ein fingertaugliches Bedienkonzept haben jedoch die wenigsten dieser Anwendungen.

Viele Apps wie der Musik-Player haben keine fingerfreundliche Oberfläche.

Viele Apps wie der Musik-Player haben keine fingerfreundliche Oberfläche.

Beim Thema Lesestoff klaffen Anspruch und Wirklichkeit besonders weit auseinander. Auf der WeTab-Homepage hieß es, dass man seine „liebsten Zeitungen und Zeitschriften wie im Printformat“ erleben könne. Bislang gibt es jedoch keine Magazine zu kaufen. Nicht einmal den schon im März von Gruner + Jahr angekündigten Stern wird es auf dem WeTab geben. Der mitgelieferte FBReader öffnet nur Epub-Dokumente ohne Kopierschutz, einen Buchladen gibt es nicht. Man kann das WeTab also bislang nur mit Büchern füllen, die man sich aus kostenlosen Quellen zusammensucht.

Viel versprochen, wenig gehalten und zu wenig sauber umgesetzt – diesen Dreiklang muss man dem WeTab vorwerfen. Zwar stecken gute Ideen in dem Tablet, sie beschränken sich aber zurzeit auf den Startbildschirm und den Browser. Das reicht zum Lesen von Nachrichten und Blogs im Netz. Als Videoplayer taugt das WeTab für gespeicherte HD-Filme sowie YouTube in Standardauflösung. Wer mehr will, stößt auf ein dünnes App-Angebot und inkonsistente sowie nicht fingertaugliche Bedienkonzepte.

Auch falls 4tiitoo mehr Anwendungen sowie die Flash-Beschleunigung nachliefert, bleiben andere Probleme: Das Gewicht, der winkelabhängige Bildschirm, der Lüfter und die kurze Laufzeit passen nicht zu den Anwendungsgebieten Lesen und Couchsurfen. Somit bleibt das WeTab ein Gerät für Mutige und Geduldige, die Linux auf einem Tablet erkunden wollen. (cwo [3])


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-1901568

Links in diesem Artikel:
[1] http://wetab.mobi/update-uebersicht
[2] http://wetab.mobi/update-uebersicht
[3] mailto:cwo@ct.de