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Funk-Nachbrenner

| Dr. Alfred Arnold

Die meisten WLAN-Hersteller werben mit höheren Datenraten als den bislang standardisierten 54 MBit/s. Mal stehen 108, mal 125 MBit/s auf dem Karton. Doch die Werte entstehen mit Tricks, die nicht jede Hardware mitmacht.

Wie sonst im PC-Bereich ist auch bei WLAN-Funknetzen die Maximalgeschwindigkeit für viele Käufer das Maß der Dinge. 54-MBit/s-WLAN ist schon seit einigen Jahren im Markt. Im Moment bringen verschiedene Hersteller so genannte Pre-n-Lösungen auf den Markt, die den hoffentlich 2007 endlich vollendeten Nachfolgestandard 802.11n [1] vorwegnehmen sollen, der wiederum die bis zu fünffache Geschwindigkeit verspricht. Während sich Unternehmen bei größeren Installationen auf solche "Vorablösungen" äußerst ungern einlassen, erscheinen sie dem Heimanwender, der sich ein WLAN-Kit aus Basisstation und Client-Adaptern kauft, als attraktive Variante. Doch er sollte die Vor- und Nachteile der verschiedenen Tricks kennen, damit seine Investition sich nicht mittelfristig als Sackgasse entpuppt. Bevor wir Kniffe wie Bursting, Channel Bonding oder MIMO [2] im Detail beleuchten, ist ein Ausflug zu den WLAN-Grundlagen nötig, der verdeutlicht, welche Technik wo ansetzt. Denn manche Verfahren greifen im Physical Layer [3] (PHY, bei WLAN die Funktechnik) ein, andere dagegen beim MAC [4] (Media Access Control), der Daten kodiert und per Steuerungszeiten die Verkehrsregelung übernimmt.

Augenfällig bei WLANs ist die große Differenz zwischen der Bruttodatenrate (früher 11, heute 54 MBit/s) auf dem Funkkanal und der Nettorate, die dem Anwender zur Verfügung steht. Während geswitchte LANs Nettoraten von über 90 Prozent der Bruttorate erreichen, ist bei WLANs selten mehr als die Hälfte drin, häufig noch weniger. Ursache ist die bei WLAN nötige Zugriffsverhandlung für das gemeinsam genutzte Medium Funk.

Ähnlich wie das frühe Koax-Ethernet [5] steuern WLANs nach der IEEE [6]-Standardfamilie 802.11 [7] den Zugriff mittels CSMA (Carrier Sense Multiple Access), weil die Stationen in einer WLAN-Zelle den Funkkanal nur wechselweise nutzen können. Dagegen sind bei Fast- und Gigabit-Ethernet inzwischen Switches gebräuchlich, die für jede Kommunikation zwischen zwei Stationen eine eigene Verbindung schalten.

Der Funkkanal ist als Medium nur einmal vorhanden und funktioniert wie ein Hub [8]: Wenn mehrere Partner gleichzeitig senden, stören sie sich. CSMA sieht deshalb vor, dass eine Station vor dem Senden prüfen muss, ob das Medium frei ist. Erst dann darf sie mit der Übertragung beginnen. Das schließt natürlich noch nicht sicher aus, dass zwei Stationen das Medium fast gleichzeitig als frei erkennen und los-senden. Dieser Effekt tritt auch beim Ethernet als Kollision auf, wenn kein Switch [9] die Verbindung vermittelt.

Dort können die Streithähne schon während des Sendens die Kollision erkennen, die Übertragung abbrechen und bis zum nächsten Versuch eine zufällige Zeit warten (CSMA/CD, Collision Detection). Bei Funk genügt das jedoch nicht. IEEE 802.11 [10] führt deshalb ein Bestätigungspaket (ACKnowledge) ein, das der Empfänger an den Sender zurückschickt. Eine zusätzliche Karenzzeit stellt sicher, dass das ACK mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht von anderen Paketen gestört wird.

Summiert man die protokollbedingten Wartezeiten SIFS und DIFS für ein 802.11a [11]-WLAN, ergibt schon das einen festen Overhead [12] von 50 Mikrosekunden pro Frame (Details dazu in einem c't-Artikel [13]). Hinzu kommt zusätzlicher Aufwand im Datenpaket, das nicht nur Nutzdaten, sondern auch die von den verschiedenen Protokollschichten benötigten Header [14] transportiert. Ein über WLAN verschicktes Datenpaket besteht im Extremfall aus weiteren Komponenten:

Bei einem 1500 Byte langen Datenpaket, das mit 54 MBit/s über 802.11a übertragen wird, summiert sich das auf weitere 64 Byte sowie einen konstanten Overhead von 20 Mikrosekunden für die Präambel. Das ACK-Paket behandelt der Physical Layer in gleicher Weise wie das Datenpaket, es entfallen lediglich die Teile vom Sequenzzähler bis zur Verschlüsselungsprüfsumme. Außerdem ist der Header verkürzt, sodass ein ACK lediglich 24 Mikrosekunden braucht.

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Außer den Wartezeiten rahmen Präambel, Header und Prüfsummen die Nutzdaten ein. Deshalb unterscheidet sich die Bruttodatenrate so deutlich von der vom Anwender erlebten Nettorate.

Insgesamt dauert die Übertragung von 1500 Bytes Nutzlast mit 54 MBit/s 325 Mikrosekunden, was eine Nettorate von knapp 37 MBit/s ergibt. Rechnet man den TCP/IP [16]-Overhead (weitere 40 Bytes pro Paket, TCP-ACKs) und Wiederholungen wegen Funkstörungen noch ein, so kommt man auf Nettoraten um 25 MBit/s, die 802.11a bei guter Funkverbindung durchaus erreicht. Das ist in etwa das gleiche Brutto/Netto-Verhältnis wie bei 11b-WLANs (fünf bis sechs von 11 MBit/s). Für den 11b-Nachfolger 802.11g [17], der an sich wie 11a funkt, kann es leider noch schlimmer kommen.

Für den aktuell verbreiteten WLAN-Standard 802.11g war gefordert, dass er aufwärtskompatibel zu der weit verbreiteten 11b-Hardware sein müsse. Jede 11g-Karte beherrscht deshalb die von 11b bekannten Datenraten bis 11 MBit/s. Der Knackpunkt entsteht, wenn zwei 11g-Stationen miteinander kommunizieren und gleichzeitig eine 11b-Karte senden möchte: Weil 802.11g ein anderes Modulationsverfahren als 11b verwendet, kann die 11b-Karte nicht ohne weiteres erkennen, dass das Medium gerade belegt ist.

Um Kollisionen zu vermeiden, stellen 11g-Stationen ihrem 11g-Paket bei Anwesenheit von 11b-Hardware ein 11b-kompatibles Steuerpaket voran (CTS, Clear To Send), mit dem sie das Medium für eine bestimmte Zeit reservieren. Das zusätzliche CTS-Paket ist aber fast so lang wie das Datenpaket selbst und drückt die Nettorate in die Gegend von 15 MBit/s. Dieser Overhead tritt grundsätzlich auf, wenn 11b- und 11g-Hardware auf dem gleichen Funkkanal arbeitet. Deshalb kann die alte 11b-Basisstation des Wohnungsnachbars das eigene 11g-Netz herunterziehen, obwohl man selbst nur 11g-Hardware nutzt. Viele 11g-Chipsätze kennen zwar einen G-Only-Modus, der ohne CTS funkt. Den zu nutzen ist aber nur selten ratsam, denn die dadurch vermehrt auftretenden Kollisionen mit 11b-Paketen kosten oft mehr Durchsatz, als die CTS-Einsparung bringt.

Die simpelste Tuning-Schraube steckt in den Wartezeiten DIFS und SIFS, ohne dass man gleich den ganzen Physical Layer neu erfinden muss. Denn Änderungen am Timing sind schon durch Eingriffe in die Kartenfirmware machbar. Auch wenn daraus nur Gewinne im niedrigen Prozentbereich resultieren, gibt das einen kleinen Vorsprung gegenüber den Konkurrenten.

Schon kurz nach der Einführung von 802.11g fingen einzelne Chiphersteller an, Bursting anzubieten. Dabei wartet der Sender nach dem letzten ACK nur die kurze SIFS-Zeit, bevor er das nächste Paket abschickt. Die geringe Differenz von SIFS zu DIFS (18 μs bei 802.11a) bringt dabei den kleineren Teil des Gewinns. Der größere Brocken kommt daher, dass der Sender so den Wettbewerb um das Medium immer gewinnt und die bei belegtem Funkkanal fälligen Backoff-Zeiten einspart. Bei 802.11a bringt Bursting nur etwa 10 bis 15 Prozent, aber bei 802.11g im oben beschriebenen 11b-Kompatibilitätsmodus kann der Gewinn erheblich höher ausfallen, weil sich ein ganzer Schwall von 11g-Paketen mit einem einzelnen CTS schützen lässt.

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Will eine Station senden und findet das Medium belegt vor, muss sie eine zufällig lange Backoff-Zeit abwarten. Unterschiedlich lange Inter Frame Spaces (DIFS, SIFS) organisieren den Zugriff auf den Funkkanal.

Der Nachteil von Bursting liegt auf der Hand: Es ist im hohen Maße unsozial, die Station schneidet sich auf Kosten anderer Teilnehmer ein größeres Stück von der begrenzten Bandbreite [18] ab. Die anderen Stationen kommen einfach nicht mehr an die Reihe, solange man selbst sendet. Zudem verwenden die Hersteller unterschiedliche Taktiken. Manche definieren eine feste Höchstzahl von Paketen. Das macht aber wegen der je nach Qualität der Verbindung wechselnden Bruttodatenrate und möglichen Wiederholungen die Wartezeit unkalkulierbar. Das Bursting in Atheros-basierter WLAN-Hardware ist in dieser Hinsicht etwas rücksichtsvoller, weil es stattdessen auf eine Maximalzeit begrenzt ist.

Die für 802.11 zuständigen IEEE-Gremien haben sowohl den Nutzen als auch die Schwierigkeiten von Bursting erkannt und es in die Standarderweiterung 802.11e übernommen (Quality-of-Service für Telefonie oder Videoströme), was hoffen lässt, dass sich die derzeitige Wildwestsituation mittelfristig entspannt. 802.11e sieht auch eine Möglichkeit vor, das bandbreitenfressende ACK-Paket erst nach einem Burst von Paketen zu übermitteln oder ganz wegzulassen (Details in diesem [19] c't-Artikel). Etwa bei Multimedia-Daten ist das reizvoll, weil dort einzelne verlorene Pakete eher tolerierbar sind als die durch Wiederholungen verursachte Verzögerung.

Ohne Eingriff in den MAC-Layer kommen Verfahren aus, die schon vor dem Senden die Datenpakete manipulieren. Im Unterschied zu Fast Ethernet [20] erlaubt WLAN deutlich längere Frames (2304 statt 1518 Byte). Mit längeren Frames lässt sich der Overhead auf dem Medium reduzieren, indem man mehrere kleine Ethernet-Pakete in ein WLAN-Frame packt (Frame Aggregation oder Concatenation).

Manche Chipsatzanbieter haben die WLAN-Frames sogar so weit verlängert, dass zwei Ethernet-Pakete voller Größe hinein passen, was einen Gewinn im Bereich von 30 Prozent bringt. Der Ansatz hat zwei Nachteile: Zum einen steigt mit der Länge auch die Wahrscheinlichkeit, dass Frames Opfer von Funkstörungen werden; zum anderen steigert Aggregation die Latenz, weil der Sender erst Pakete sammeln muss – oder doch ein einzelnes Paket verschickt, wenn innerhalb einer gewissen Wartezeit nichts hinterherkommt. Außerdem sind überlange Pakete genauso unsozial wie Bursting, denn sie holen sich auf Kosten standardkonformer Stationen einen größeren Anteil der verfügbaren Übertragungszeit auf dem Funkkanal.

Parallel zur Frame Aggregation hat sich Datenkompression im WLAN-Chipsatz etabliert. Sie funktioniert ähnlich wie bei den bekannten ZIP-Programmen, bringt aber wie diese nur einen Vorteil bei komprimierbaren Daten, nicht etwa bei MPEG [21]-Videoströmen. Doch selbst bei gut komprimierbaren Daten bleibt der Gewinn im kleinen zweistelligen Prozentbereich. Er erreicht keineswegs den Faktor fünf, den beispielsweise Agere Systems beim nie erschienenen Hermes-2.5-Chip [22] versprochen hatte. Das liegt daran, dass die Komprimierungsverfahren umso besser arbeiten, je länger die zu verdichtenden Datenblöcke sind. Weil beim Funknetz jederzeit Frames verloren gehen können, vermag der Chipsatz höchstens ein einzelnes WLAN-Paket zu komprimieren. Gängige Algorithmen wie Lempel-Ziv kommen bei so kurzen Blöcken nicht so recht in Schwung.

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Bursting verkürzt auf Kosten anderer WLAN-Teilnehmer die Wartezeiten zwischen Paketen und steigert so den Durchsatz. Packet Aggregation fasst mehrere Ethernet-Frames in ein überlanges WLAN-Paket zusammen.

Seitens des IEEE gibt es momentan keine Bestrebungen, Packet Aggregation oder Kompression der 802.11-Standardfamilie hinzuzufügen. Beide Techniken werden deshalb auf absehbare Zeit nur zwischen Karten mit dem gleichen Chipsatz funktionieren – und unter Umständen gleicher Treiber- respektive Firmware-Version.

Hat man alle Stellschrauben im WLAN-Protokoll feinjustiert, folgt als Nächstes, über höherstufige Modulationen nachzudenken. Reizvoll sind hier Techniken, die für den Chipsatzhersteller mit möglichst wenig Aufwand realisierbar und mit den im WLAN-Standard definierten Techniken verwandt sind.

Bei Datenübertragungen muss man zwischen der Bit- und der Symbolrate unterscheiden. Letztere gibt an, wie häufig sich der Zustand des Signals auf dem Medium ändert und damit neue Informationen übertragen werden. Bei 802.11a/g ist die Symbolrate mit 250 Kilobaud verblüffend niedrig, ein einzelnes Symbol dauert vier Mikrosekunden. Die hohen Bitraten entstehen zum einen dadurch, dass viele Symbole gleichzeitig auf verschiedenen Unterträgern im Kanal übertragen werden (OFDM [23]), zum anderen, indem man kompliziertere Modulationen einsetzt, die pro Symbol mehr als ein Bit transportieren.

Bei der niedrigsten OFDM-Rate (6 MBit/s) trägt jedes Symbol lediglich ein Bit pro Schritt auf 48 OFDM-Unterträgern, wobei eine Vorwärtsfehlerkorrektur (FEC = 1/2) die effektive Datenrate halbiert. Dadurch ist die Kodierung sehr robust und kann auch bei schwachen Funkverbindungen noch Daten transportieren. Am oberen Ende der Fahnenstange (54 MBit/s) hängt eine QAM64-Modulation, die pro Symbol sechs Bit mit FEC = 3/4 überträgt. Bei sehr guten Verbindungen – etwa im gleichen Zimmer – lässt der vorhandene Signal/Rausch-Abstand durchaus noch Luft für höherstufige Modulationen, beispielsweise QAM256, die acht Bit pro Symbol benutzt, was eine Bruttorate von 72 MBit/s ergäbe. So etwas hatte zum Beispiel die Firma Philips für ihre WLAN-Chipsätze angekündigt.

Viel weiter lässt sich die Modulation aber nicht treiben, denn irgendwann wird der erforderliche Signal/Rausch-Abstand so hoch, dass WLAN zum Tischfunk wird. Ferner geht bei höheren Bruttoraten die Schere zwischen Brutto und Netto immer weiter auf, denn das MAC-Protokoll und die immer benötigte, langsame Präambel bleiben konstant.

Eine vielfach als hemdsärmelig titulierte Methode ist das vom Chipsatzhersteller Atheros [24] angebotene Channel Bonding. Dabei belegt das Signal einfach die doppelte Bandbreite, nämlich 40 statt 20 MHz auf dem Funkkanal. Da hinein passt die doppelte Menge von OFDM-Unterträgern. Auch bei der Nutzdatenrate fällt ein glatter Faktor zwei ab, weil man in dieser Betriebsart zusätzlich verkürzte SIFS/DIFS-Zeiten verwendet. Atheros kombiniert Channel Bonding mit Kompression, Paketbündelung (Fast Frames) und Bursting zur Super A/G-Lösung, mit der die beworbenen Nutzdatenraten von über 60  MBit/s durchaus erreichbar sind.

Channel Bonding hat allerdings nicht nur Vorteile, sondern auch gewichtige Nachteile: Der üblicherweise im 2,4-GHz-Bereich zur Verfügung stehende Frequenzblock lässt lediglich Platz für ein einziges Turbo-Netz. Neben diesem kann kein normales WLAN störungsfrei funken. Atheros' Konkurrenten verteufeln Channel Bonding folgerichtig als Bandbreitenverschwender.

Des Weiteren ist der gleichzeitige Betrieb von Stationen mit und ohne Channel Bonding in einer Funkzelle schwierig. Die verwendete Modulation ist mit der regulären von 802.11a/g nicht kompatibel, weshalb ein Access Point [25] im Mischbetrieb den Baseband-Prozessor seines WLAN-Moduls ständig umschalten muss – oder die komplette Funkzelle auf Normalbetrieb zurückfallen lässt, sobald eine Station ohne Channel Bonding Einlass begehrt.

Im 5-GHz-Band, das deutlich mehr Platz bietet, ist Channel Bonding besser aufgehoben und wird mit Erfolg beispielsweise auf Richtfunkstrecken [26] eingesetzt. Denn dort kommt es nicht auf Allgemeinkompatibilität an, weil nur zwei fest konfigurierte Partner kommunizieren müssen. Bereits der untere 5-GHz-Block (5,15 bis 5,35 GHz) kann drei unabhängige 40-MHz-Kanäle beherbergen; im auch für Outdoor-Betrieb freigegebenen Band (5,47GHz bis 5,725 GHz) finden weitere vier Platz. Leider sorgen die etwas schwammigen Vorgaben im für Europa maßgeblichen ETSI [27]-Standard [28] immer wieder für Diskussionen, ob Channel Bonding auf 5 GHz überhaupt zulassungsfähig ist. Momentan scheint es, als ob die Regulierungsbehörden Channel Bonding dulden, sofern WLAN-Geräte störungsminimierende Mechanismen verwenden (DFS [29] und TPC [30] aus 802.11h [31]).

In den letzten Jahren hat sich eine grundsätzlich andere Technik als Turbolader für WLANs herauskristallisiert, die in den nächstschnelleren 802.11n-Standard einfließen wird. MIMO [32] (Multiple Input, Multiple Output) erreicht höhere Datenraten über mehrere räumliche Ausbreitungswege (Spatial Multiplexing). Dabei nutzt eine Station mehrere Sender über jeweils eigene Antennen gleichzeitig (Multiple Input, aus Sicht des Funkkanals), und das auf derselben Frequenz.

Was auf den ersten Blick wie eine Anleitung zum Stör-Desaster anmutet, funktioniert in der Praxis, weil die Funkwellenausbreitung innerhalb von Gebäuden besonderen Regeln folgt. Außer der direkten Verbindung gibt es immer mehrere Nebenwege, auf denen Teile des Signals zum Empfänger gelangen, beispielsweise über Reflexionen an Wänden oder Metallteilen (Türzargen, Schränke, Jalousien). Normalerweise ist diese Mehrwegeausbreitung (Multipath Propagation) unerwünscht, weil das gleiche Signal zeitversetzt mehrfach am Empfänger eintrifft und sich bei ungünstigen Laufzeiten und Stärken gar auslöschen kann.

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Einfache Mehrantennensysteme (SIMO, MISO) verbessern die Funkverbindung durch Gruppengewinn und Diversity. MIMO steigert dagegen die Kanalkapazität durch räumliche Parallelübertragung.

Installiert man aber mehrere Empfänger mit eigenen Antennen (Multiple Output), kann die Station bei geschickter Kodierung das Gemisch aus unterschiedlichen Datenströmen und deren Reflexionen entwirren. Dabei steigt die Datenrate linear mit der Anzahl der Sender/Empfänger-Züge, allerdings um einen durchschnittlichen Faktor 0,7 reduziert, weil auch dieses Verfahren in der Praxis nie perfekt funkt. Bei drei Sender/Empfängerzügen, die einzeln mit 54 MBit/s übertragen, würden so 0,7 × 3 × 54 MBit/s, also typisch 113 MBit/s herauskommen. Als zusätzlichen Bonus ermöglicht die Verrechnung der Einzelsignale eine moderate Reichweitensteigerung.

Mit einer MIMO-Implementierung ist anno 2003 der Chipsatzhersteller Airgo Networks [33] vorgeprescht. Als erster Geräteproduzent sprang im Herbst 2004 Belkin [34] auf den MIMO-Zug auf. Zwar besitzen die Geräte drei Antennen, sie nutzen senderseitig aber immer nur zwei. Die maximale Bruttorate ist mit 108 MBit/s doppelt so hoch wie bei 802.11g, was auch das von Atheros angebotene Channel Bonding erreicht. Jüngst hat Airgo angekündigt, zusätzlich zur MIMO-Technik auch Channel Bonding zu implementieren und damit den Durchsatz nochmals zu verdoppeln. Erste WLAN-Produkte mit dem AGN300 getauften Chipsatz sollen im Winter 2006 auf den Markt kommen.

Ein weiterer MIMO-Gewinn liegt darin, dass die hohen Datenraten über weitere Gebäudestrecken erhalten bleiben, eben weil die unvermeidbaren Reflexionen hier nicht stören, sondern bewusst genutzt werden. Im Umkehrschluss verspricht MIMO auf Richtfunkstrecken im Freien keinen nennenswerten Vorteil, weil dabei kaum Reflexionen auftreten.

Leider hat es in den letzten Monaten reichlich Verwirrung darüber gegeben, ob die Airgo-Lösung mit irgendwann erscheinender Hardware nach 802.11n kompatibel sein wird, was Belkin durch das Label Pre-n suggeriert. Die Situation vor der Verabschiedung von 802.11g im Sommer 2003 ist mit der aktuellen jedoch nicht vergleichbar: Während damals 802.11g schon fast fertig war und vorher verkaufte Hardware durch Treiber- respektive Firmware-Updates standardkonform wurde, ist bei 802.11n im Moment noch nicht einmal sicher, wie der Physical Layer im Detail aussehen wird. Der PHY ist im Allgemeinen fest in die Hardware einer WLAN-Karte gegossen, er lässt sich nicht durch Firmware-Upgrades ändern. Das Bewerben als Pre-n stieß deshalb auf berechtigte Kritik, nicht nur seitens der Konkurrenz, sondern auch von der Herstellervereinigung Wi-Fi Alliance [35], die in Eigenregie Kompatibilitätstests durchführt und ein Siegel vergibt [36].

Nach den Erfahrungen in der Vergangenheit ist nicht zu erwarten, dass die momentan verkauften MIMO-Lösungen mit zukünftiger 11n-Hardware schneller als mit 54 MBit/s kommunizieren werden. Zudem sind IEEE-Standardisierungsgremien zum Großteil aus Herstellervertretern zusammengesetzt, was ganz natürlich dafür sorgt, dass sich keine Lösung durchsetzt, die einem einzelnen Anbieter einen allzu großen Vorsprung bescheren würde. Wer jetzt eine irgendwie geartete Super-G-WLAN-Ausrüstung kaufen will, kann das guten Gewissens tun. Mit sich selbst spielen diese Lösungen zuverlässig, aber man muss sich im Klaren sein, dass die Hardware beim späteren Ausbau des hauseigenen WLANs wieder auf 54 MBit degradiert wird – ähnlich wie es mit dem vor 802.11g populären 22-MBit-Equipment ("802.11b+") passiert ist, das heute faktisch nur noch mit 11 MBit/s funkt. (je [37]) ()


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[1] http://www.heise.de/glossar/entry/IEEE-802-11n-397435.html
[2] http://www.heise.de/glossar/entry/Multiple-Input-Multiple-Output-397109.html
[3] http://www.heise.de/glossar/entry/Physical-Layer-398885.html
[4] http://www.heise.de/glossar/entry/Media-Access-Controller-398359.html
[5] http://www.heise.de/glossar/entry/Ethernet-399379.html
[6] http://www.heise.de/glossar/entry/Institute-of-Electrical-and-Electronics-Engineers-398237.html
[7] http://www.heise.de/glossar/entry/802-11-396027.html
[8] http://www.heise.de/glossar/entry/Hub-399385.html
[9] http://www.heise.de/glossar/entry/Switch-396339.html
[10] http://www.heise.de/glossar/entry/IEEE-802-11-395480.html
[11] http://www.heise.de/glossar/entry/IEEE-802-11a-396013.html
[12] http://www.heise.de/glossar/entry/Overhead-396891.html
[13] http://www.heise.de/kiosk/archiv/ct/03/18/208/
[14] http://www.heise.de/glossar/entry/Header-396869.html
[15] http://www.heise.de/glossar/entry/Logical-Link-Control-398357.html
[16] http://www.heise.de/glossar/entry/Transmission-Control-Protocol-Internet-Protocol-398037.html
[17] http://www.heise.de/glossar/entry/IEEE-802-11g-396023.html
[18] http://www.heise.de/glossar/entry/Bandbreite-398543.html
[19] http://www.heise.de/kiosk/archiv/ct/04/06/216/
[20] http://www.heise.de/glossar/entry/Fast-Ethernet-399381.html
[21] http://www.heise.de/glossar/entry/Moving-Picture-Experts-Group-399515.html
[22] http://www.heise.de/glossar/entry/Chip-395885.html
[23] http://www.heise.de/glossar/entry/Orthogonal-Frequency-Division-Multiplexing-396031.html
[24] http://www.atheros.com/
[25] http://www.heise.de/glossar/entry/Access-Point-395456.html
[26] http://www.heise.de/kiosk/archiv/ct/04/25/222/
[27] http://www.heise.de/glossar/entry/European-Telecommunications-Standards-Institute-395286.html
[28] http://webapp.etsi.org/action/OP/OP20050729/en_301893v010301o.pdf
[29] http://www.heise.de/glossar/entry/Dynamic-Frequency-Selection-399565.html
[30] http://www.heise.de/glossar/entry/Transmit-Power-Control-396043.html
[31] http://www.heise.de/glossar/entry/IEEE-802-11h-397467.html
[32] http://www.heise.de/kiosk/archiv/ct/05/08/132/
[33] http://www.airgonetworks.com/
[34] http://www.belkin.com/de/
[35] http://www.wi-fi.org/
[36] https://www.heise.de/news/WLAN-Kehrtwende-Doch-Wifi-Siegel-fuer-schnelle-Funknetze-156705.html
[37] mailto:je@heise-netze.de