Doppelt eingedeckt

Das Navigationsprojekt Galileo hat schon vor dem Start viel erreicht: Es hat den Konkurrenten GPS beschleunigt und außenpolitische Souveränität demonstriert. Eigentlich kann es nun am Boden bleiben.

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Nils Schiffhauer

Peinliche Stille auf dem Podium des Munich Satellite Summit. Was das europäische Navigationssystem Galileo eigentlich besser können werde als das amerikanische GPS, war die schlichte Frage, welche die versammelte transatlantische Fachkompetenz zum Schweigen brachte. Der für Galileo zuständige EU-Direktor Heinz Hilbrecht weist stumm auf seinen Sitznachbarn. Doch auch Michael Shaw vom US-Verkehrsministerium reicht die Frage unbeantwortet weiter.

Vielleicht hat sich die Frage ja längst erledigt. Denn Galileo hat seine wichtigste Mission schon jetzt erfüllt – noch bevor im Oktober dieses Jahres der erste Testsatellit in den Orbit einschwenkt. Das System hat eine Verbesserung des weltweit genutzten amerikanischen Global Positioning System GPS angestoßen. Zudem erweckte es indirekt das russische Glonass-System zu neuem Leben. Bis 2011 wollen die Russen ein hinsichtlich Genauigkeit und Zuverlässigkeit ähnliches System wie Amerikaner und EU anbieten.

Sie alle basieren auf demselben Prinzip. Jeweils etwa 30 Satelliten umkreisen die Erde und senden hochpräzise Zeitdaten auf Frequenzen zwischen etwa 1,2 und 1,6 Gigahertz. Aus den Bahndaten der Satelliten errechnet der Empfänger deren Position im All und bestimmt durch Laufzeitmessung die Entfernung zu ihnen. Je genauer die Satellitenuhren gehen und die Bahndaten bekannt sind, desto exakter die Ortsbestimmung.

Obwohl das aus den 1970ern stammende GPS ein militärisches System ist, machten die Amerikaner einen Teil der abgestrahlten Informationen allgemein zugänglich. Zusammen mit der Entwicklung hoch integrierter Elektronik wurden somit Positionsbestimmung, Navigation und weltweite Synchronisierung beispielsweise von Telekommunikationsnetzen zu einem integralen Bestandteil täglichen Lebens. Besonders reizvoll ist die Verbindung von GPS mit Kommunikation, wie sie zunehmend Standard in Handys wird. Vom Aufenthaltsort abhängig angebotene Dienstleistungen (Location-based Services), etwa Einkaufshinweise und touristische Führungen via Handy, gelten als milliardenträchtiger Wachstumsmarkt.

So wächst GPS aus dem rein militärischen Sektor in zivile Anwendungen. Absehbar wurde diese Entwicklung Ende der 1990er, als zugleich das Dilemma der zivilen Nutzung eines militärischen Systems sichtbar wurde. Aus Sicherheitsgründen stellten die Amerikaner der Öffentlichkeit nur GPS-Signale mäßiger Genauigkeit zur Verfügung, während nur die Militärs ihre Position auf etwa fünf Meter und damit 20-mal so exakt bestimmen konnten.

Mehrere Faktoren summierten sich in dieser Zeit zu einer kritischen Masse, aus der Galileo entstand. Da war das Unbehagen der Europäer, in Krieg wie Frieden von einem amerikanischen, noch dazu militärischen System abhängig zu sein. Jederzeit drohte ein Abschalten, was den Einsatz in Industrie und Luftfahrt hemmte. Vor allem aber lockten die wirtschaftlichen Chancen, zählte GPS damals doch schon vier Millionen Nutzer, die einen Umsatz von jährlich mehr als sechs Milliarden Euro erbrachten. Und da waren Autonavigationssysteme wegen der mangelnden Genauigkeit noch gar nicht möglich.

Allein die Bekanntgabe des Galileo-Projektes führte zu einer drastischen Verbesserung von GPS. Im Mai 2000 ließ der damalige US-Präsident Bill Clinton die künstliche Verschlechterung des GPS-Codes abschalten. Seitdem liegt die Jedermann-Genauigkeit bei fünf Metern. Zudem sicherte Clinton zu, dass der Service weiterhin kostenfrei bliebe und die jeweils aktuellen Spezifikationen frei zur Verfügung stehen.

Damit hätten die Europäer Galileo einmotten können. Die Drohung mit einem eigenen System hatte prompt gewirkt. Galileo würde nichts besser machen und daher keine größere wirtschaftliche Wirkung entfalten können, als GPS es von da ab bereits tat. Doch die EU dachte nicht an Rückzug, nicht nur ihrer Souveränität zuliebe. Der Bau des Systems mit seinem Volumen von rund 3,5 Milliarden Euro ist ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Europas Luft- und Raumfahrtindustrie.

Die Amerikaner sahen ihr Monopol gefährdet und nahmen die Europäer zweifach unter Beschuss. Kurzfristig brachen sie einen Streit um Frequenzen vom Zaun. Auf längere Sicht forcierten sie die technische Verbesserung des GPS-Systems auf Galileo-Niveau.

Ob Galileo oder GPS – am Boden macht es kaum mehr einen Unterschied. Eine überraschend diplomatische Lösung überwand Mitte 2004 diesen Totpunkt. Beide Systeme arbeiten so zusammen, dass kostengünstig kombinierte GPS-Galileo-Empfänger möglich werden, in die obendrein noch Glonass integriert werden kann. Dadurch steigt die Anzahl der empfangbaren Satelliten. Die Daten fließen dann in Städten mit ihren Funkwellen abschattenden Hochhäusern regelmäßiger. Technisch gesehen besteht seitdem die hauptsächliche Existenzberechtigung von Galileo in seiner Kombination mit GPS.

Bleibt das Problem, dass ein derart präzises Navigationssystem nicht nur das Auto zur eingetippten Adresse führt, sondern auch ein von Terroristen gekapertes Verkehrsflugzeug präzise in einen Atomreaktor stürzen lassen kann. Die Amerikaner können ihr GPS für Schurken regional durch Verschlechterung der Zeitaussendung oder lokal durch Störsender nbrauchbar machen. Freundestruppen stehen dann Korrekturdaten zur Verfügung. George W. Bushs Positionspapier vom Dezember 2004 zur Satellitennavigation lässt sich so lesen, dass die Amerikaner im Bedarfsfall andere Systeme aktiv stören; eine naheliegende Interpretation, die am Souveränitätsnerv der Europäer rührt und deshalb von EU-Direktor Heinz Hilbrecht energisch zurückgewiesen wird: "Das ist eine Unterstellung!" Freilich bleibt er die Antwort darauf schuldig, wie Missbrauch der Satellitennavigation zu verhindern wäre.

Nun ist die EU auf der Suche nach einem Konzessionär für Galileo, dem die wirtschaftlichen Nutzungsrechte für die kommenden 20 Jahre eingeräumt werden. Da die Vereinbarung zwischen GPS und Galileo das Geschäftsmodell der Teilfinanzierung durch Lizenzgebühren für Chips hinfällig macht, lassen sich Einnahmen nur durch den Vertrieb der über den kostenfreien Basisdienst hinausgehenden Dienstleistungen mit höherer Präzision und Zuverlässigkeit erzielen. Die EU verlöre ihr Gesicht, wenn sie sich von Galileo verabschiedete, obwohl es aus wirtschaftlichen Gründen geboten und aus technischen Gründen möglich wäre. Galileo hat bisher vor allem politisch gewirkt und soll jetzt als Konjunkturprogramm fungieren. Nur zum Navigieren ist es nicht unbedingt notwendig. (wst)

(Entnommen aus aus Technology Review Nr. 5/2005; das Heft können Sie hier bestellen) (ll)