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Pro und contra Internet der Dinge

Wolfgang Klimt

Zöge man aus der Vielfalt an Szenarien, die durch das Konzept "Internet der Dinge" denkbar sind, den Schluss, dass IoT in der Praxis schon ausgereift wäre, liegt man zumindest in weiten Teilen falsch. Die Realität ist an vielen Stellen ernüchternd.

Pro und contra Internet der Dinge

Zöge man aus der Vielfalt an Szenarien, die durch das Konzept "Internet der Dinge" denkbar sind, den Schluss, dass IoT in der Praxis schon ausgereift wäre, liegt man zumindest in weiten Teilen falsch. Die Realität ist an vielen Stellen ernüchternd.

Derzeit ist das Internet der Dinge oder Internet of Things (IoT) zumindest in den Medien des IT- und Elektroniksektors allgegenwärtig. Wegbereiter sind hier unter anderem die Automobilindustrie mit ihren vernetzten Fahrzeugen und der Markt der Heimelektronik. Aber auch das sogenannte Smart Home ist hier zu nennen – und in diesem Zusammenhang das Smart Metering, die Nutzung intelligenter Stromzähler. Der Beitrag hier zeigt anhand einiger ausgewählter Beispiele und persönlicher Erfahrungen, wie Theorie und Praxis im Internet der Dinge auseinanderklaffen, welche Hürden es für einen flächendeckenden Einsatz des IoT noch gibt und welche Rolle Entwickler dabei spielen – oder eben nicht.

Welche Hürden es zwischen Theorie und Praxis zu überwinden gilt, durfte der Autor bei der Planung des eigenen Hauses erleben. Für sein "Smart Home" suchte er eine zentrale, frei programmierbare Steuerung mit Internet-Anschluss – eine nicht ganz einfache Aufgabe. Denn auf dem Markt dominieren Insellösungen, die vor allem zu sich selbst kompatibel sind. Mehrere Steuerungen unterschiedlicher Hersteller zu koppeln oder die Betriebsdaten eines anderen Gerätes in der Regelung zu berücksichtigen, ist selbst für einen erfahrenen Entwickler quasi unmöglich, für einen Laien ist es ausgeschlossen.

Eine "Lösung" fand der Autor nur in der industriellen Anlagen- und Gebäudetechnik bei einer nach IEC 61131 programmierbaren SPS-Technik. Diese regelt im Haus die Elektrik, die Raumheizung sowie die Jalousien und steuert in Teilen sogar das Aquarium. Für die Bedienung wird ein Webmodul mitgeliefert, das sich mit vorgefertigten GUI-Elementen konfigurieren lässt und einen Browser mit Java-Runtime benötigt. Auf dieser Weboberfläche lassen sich zum Beispiel die Solltemperaturen der einzelnen Räume einstellen oder die Zeit konfigurieren, wann die Jalousien geöffnet oder geschlossen werden sollen.

Wolfgang  Klimt

Hauselektrik im Smart-Home-Zeitalter (Abb. 1)

(Bild: Wolfgang Klimt)

Aber auch diese Installation hat Grenzen: So existiert im Haus beispielsweise eine Solar- und Heizungsanlage mit einer eigenen, ebenfalls programmierbaren Regelung, die über ein Zusatzmodul die Bedienung über eine Weboberfläche ermöglicht. Die aktuellen Daten der Anlage lassen sich zwar über einen TCP-Port auslesen (die Protokolle rückt der Hersteller auf Nachfrage immerhin heraus). Es ist jedoch nicht möglich, schreibend auf das System zuzugreifen, um zum Beispiel die Heizungspumpe auszuschalten, wenn gerade kein Heizbedarf besteht, oder die aktuell eingestellten Raumtemperaturen zu aktualisieren, die die Heizungssteuerung zur Berechnung der Vorlauftemperatur benötigt. Auch die Lüftungsanlage bringt ihre eigene Steuerung mit, und der Pelletkessel. Allein für das Raumklima sorgen damit vier Systeme, die größtenteils nichts voneinander wissen und unkoordiniert vor sich hin arbeiten. Das ist die weithin gegebene Realität, wie sie sich in der Praxis.

Theoretisch ließe sich durch die Vernetzung und intelligente Steuerung erstens ein großer Komfortgewinn erreichen. Dabei sollen zweitens die Techniken mit ihrer intelligenten Steuerung einen effizienteren Umgang mit Ressourcen bewirken. Und drittens erlaubt die Steuerung auch, ganz individuelle Einstellungen vorzunehmen, etwa in Bezug auf den Tagesrhythmus, Temperaturvorlieben und die Personenanzahl eines Hauses. Diese Eigenschaften – Komfortgewinn, Einsparungen und Effizienz und Personalisierung/Individualisierung – sind die Kernziele des IoT und lassen sich weitgehend auf andere Szenarien rund um das Internet der Dinge übertragen.

Demgegenüber stehen in der Praxis aber eben noch einige Hürden, die genau diese drei wesentlichen Vorteile des IoT erschweren oder sogar verhindern. Intelligente Stromzähler beispielsweise, die sogenannten Smart Meter, sollten seit 2010 in jedem neuen Haus eingebaut sein und eine feingranulare Überwachung des eigenen Stromverbrauchs ermöglichen. Flexible Stromtarife sollen zusammen mit entsprechend steuerbaren Geräten dafür sorgen, den Verbrauch der Stromerzeugung anzupassen und damit gerade die regenerativen Erzeuger besser auszulasten. Der eigene Versuch, den im Haus verbauten Ferraris-Zähler 2010 durch einen Smart Meter austauschen zu lassen, scheiterte am Fingerpointing zwischen Stromlieferant und Anschlussnetzbetreiber.

Aber selbst wenn der Autor Erfolg gehabt hätte, bedeutet das nicht, hatte er damit nicht automatisch Zugriff auf die aktuellen Verbrauchsdaten gehabt. Denn der Stromzähler liefert seine Daten nur an den Stromnetzbetreiber, der dann per Weboberfläche oder App das Ablesen der Verbrauchswerte ermöglicht. Flexible Stromtarife für Haushalte, die den Verbrauch in lastarmen Zeiten belohnen, sind auf dem Markt noch die Ausnahme und entsprechen im Wesentlichen den bereits seit den 1970ern existierenden und in dieser Hinsicht unflexiblen Nachtstromtarifen.

Es steht zu erwarten, dass Wohnungsbesitzer, die direkten Zugriff auf ihren Stromverbrauch haben wollen, hinter dem als geschlossenes System konzipierten Smart Meter des Stromnetzbetreibers eigene Zählklemmen montieren müssen, der Strom also dann zweimal gemessen wird. "Smart" ist das "Smart Grid" in dieser Hinsicht bisher nur auf Erzeugerseite. Solange Firmeninteressen Dateninseln und geschlossene Systeme schaffen und die Hoheit über die Daten haben, sind die positiven Effekte eingeschränkt.

Auf dem Sektor der "intelligenten" Geräte hat sich hingegen einiges getan. Seit in jeder Hosentasche ein Smartphone steckt, bieten die Elektronikkonzerne unter der Überschrift "Smart Home" zunehmend Geräte an, die sich per App von einem solchen steuern lassen. Zumindest einige von ihnen stellen auch APIs zur Verfügung, sodass eine Integration mit anderen Systemen möglich wird. Die meisten belassen es jedoch bei einer auf die eigenen Geräte zugeschnittenen App.

Generell gilt: Je größer, teurer und näher an der Unterhaltungselektronik ein Haushaltsgerät ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass man es heute schon in ein heimisches Netzwerk einbinden kann. So sind die meisten aktuellen Fernsehgeräte als Smart-TVs vernetzt, allerdings in der Regel wieder in Form herstellerspezifischer Insellösungen, die ihre Daten vornehmlich mit dem Hersteller teilen und nicht mit dem Eigentümer.

Auch Haushaltsgerätehersteller bieten Geräte an, die sich vernetzen lassen. Während jedoch einige zumindest über ein Zusatzmodul die Anbindung der Geräte an eine zentrale Haussteuerung ermöglichen und damit auch für Entwickler zugänglich machen, stellen sich andere wieder als Insellösung heraus, die ausschließlich die dem eigenen Standard folgenden Geräte über eine herstellerspezifische App anspricht und die Integration in andere Umgebungen damit unmöglich macht. Dabei hat der Deloitte-Report "Licht ins Dunkel" 2013 festgestellt: "Für die Entwicklung des Volumenmarkt-Segments wird es von entscheidender Bedeutung sein, die Vielzahl der im Umlauf befindlichen Geräte über eine möglichst offene Smart-Home-Plattform einzubinden. Denn insbesondere jene Anbieter werden künftig eine dominierende Stellung am Markt einnehmen, die möglichst viele Geräte möglichst einfach für Smart-Home-Lösungen nutzbar machen." [1 [1]]

Die Herausforderung für den Entwickler besteht heute darin, diese Insellösungen, sofern sie überhaupt eine Anbindung an andere Systeme anbieten und nicht prinzipiell isolierte Silos darstellen, unter einen Hut zu bringen. Glücklicherweise ist ein großer Teil dieser Arbeit vollbracht. Das Projekt openHAB [2] hat es sich zur Aufgabe gemacht, die vielen Protokolle und Systeme, die sich auf dem Markt der Heimautomatisierung und darüber hinaus entwickelt haben, auf einer herstellerunabhängigen Plattform zur Verfügung zu stellen. OpenHAB ist auch die Basis für das Eclipse-Smart-Home-Projekt, das zusammen mit anderen Projekten das Eclipse-IoT-Ökosystem [3] bildet.

Interessant an der Plattform ist vor allem, dass die Steuerung der darüber verbundenen Komponenten im "Hoheitsbereich" des Benutzers, nämlich in der eigenen Wohnung, stattfindet und damit auch alle Daten, die diese Komponenten erzeugen, dort verbleiben. Der zentrale Controller, der alle vernetzten Geräte miteinander verbindet, läuft typischerweise dort, wo die Geräte stehen, zum Beispiel auf einem kleinen Einplatinen-Computer wie Raspberry Pi oder Banana Pi.

Mitgeloggte Temperaturdaten (MySQL auf einem Banana Pi) ermöglichen Heizungsoptimierung (Ocker: Isttemperatur, Grün: Solltemperatur, Rot und Hellblau: Heizungsventile).

Mitgeloggte Temperaturdaten (MySQL auf einem Banana Pi) ermöglichen Heizungsoptimierung (Ocker: Isttemperatur, Grün: Solltemperatur, Rot und Hellblau: Heizungsventile).

(Bild: Wolfgang Klimt)

Während die herstellerspezifischen Angebote nahezu immer Gerät und Steuerungsanwendung über eine Cloud-Plattform koppeln und damit dem Eigentümer die Kontrolle über die eigenen Daten weitgehend entziehen, verlassen diese Daten bei Einsatz der Eclipse-Plattform die eigenen vier Wände nur in dem Umfang, den der Eigentümer explizit freigibt. Zwar bieten Cloud-Dienste Vorteile beim Remote-Zugriff auf die heimische Infrastruktur. Es muss sich jedoch jeder fragen, ob dieser Vorteil tatsächlich durch die weitgehende Preisgabe des eigenen Nutzerverhaltens erkauft werden soll.

Denn zweierlei Gefahren bestehen: Der Mensch wird zunehmend "gläsern" und verliert seine Autonomie. Denn ab dem Moment, in dem seine Daten das heimische Netz verlassen, hat er keinen Einfluss mehr darauf, welche Schlussfolgerungen Analysesysteme aus seinen Nutzerdaten ziehen und wie diese Rückschlüsse anschließend wiederum Einfluss auf das eigene Leben haben. Und selbst wenn, was die Anbieter ja regelmäßig behaupten, die gewonnenen Daten von diesen nur zweckbestimmt verwendet werden, zeigen die nahezu wöchentlich immer wieder bekannt werdenden erfolgreichen Hackerangriffe, dass auch die Daten vertrauenswürdiger Anbieter gelegentlich ungewollt in die falschen Hände geraten können.

Spätestens seit Bekanntwerden der Chaostheorie in den 1980er-Jahren ist bekannt, dass komplexe Systeme auch auf kleine Störungen mit unvorhersehbarem Verhalten reagieren können. Im Internet der Dinge sollen nun zahlreiche Komponenten zusammenwirken und sich gegenseitig beeinflussen, um Tätigkeiten zu automatisieren, die bisher unter der Kontrolle von Menschen stattfinden. Da praktisch alle technischen Geräte eine endliche Lebensdauer haben und irgendwann anfangen, sich fehlerhaft zu verhalten, ist gerade bei dieser Automatisierung besondere Sorgfalt angebracht.

Auch wenn die Folgen fehlerhafter Messwerte in einem Haus nicht so schwere Folgen haben wie in einem Flugzeug, müssen Entwickler davon ausgehen, es gelegentlich mit ungenauen oder falschen Daten umgehen zu müssen. Aus diesem Grund ist es wichtig, jede Steuerungslogik so auszurichten, dass sie diese Tatsache berücksichtigt oder zumindest erkennen kann. In vielen Situationen ist es daher sinnvoll, sich an das Motto "crash early" der "Pragmatic Programmer" Andrew Hunt und David Thomas zu halten und zu beachten: "If it can't happen, use assertions to ensure that it won't" [2].

Übertragen auf die Softwareentwicklung im IoT-Umfeld bedeutet das vor allem: Werte, auf die sich die Steuerlogik bezieht, auf ihre Sinnhaftigkeit hin zu überprüfen. Ein Beispiel: Während die meisten Temperatursensoren Messwerte von deutlich unter dem Gefrierpunkt bis jenseits der 100 Grad ermitteln können, ist das zu erwartende Temperaturspektrum bei den meisten Einsatzbereichen jedoch viel kleiner. Ein großer Teil der möglichen Messwerte lässt sich also von vornherein als unrealistisch ausschließen und deutet, falls er doch auftritt, auf einen Sensorfehler oder Probleme in der Betriebsumgebung hin.

Das Gleiche gilt für Aktoren. In vielen Fällen bildet eine Steuerung einen Regelkreis ab, bei dem ein Sensorwert (z. B. eine Temperatur oder ein Flüssigkeitspegel) bewirkt, dass ein Aktor (Heizung, Pumpe) aktiviert wird und dass dessen Wirkung dann nach einer bestimmten Zeit am Sensor erkennbar sein sollte. In solchen Regelkreisen ist das Fehlen einer Veränderung am Sensor nach einer gewissen Zeitspanne ebenfalls ein Anzeichen für ein potenzielles Problem.

Was sich zunächst selbstverständlich und logisch anhört, wird in der Praxis oft ignoriert. Und dann kommt es zu Vorfällen wie diesem: In einem Haushalt hatte sich ein Schlauch in der Waschmaschine gelöst. Dadurch floss das Wasser, das in der Trommel landen sollte, von der Maschine einfach in den Keller. Das hatte zur Folge, dass der Wasserstandsfühler in der Trommel, der den Zulauf steuert, nie aktiviert wurde. Mit dem fatalen Ergebnis: Über mehrere Stunden pumpte die Maschine Wasser in den Keller, bis die Hausherren das Problem sahen und die Maschine abschalteten. Eine etwas ausgefeiltere Logik, die berücksichtigt, wie lange die Pumpe normalerweise braucht, um die Trommel zu füllen, hätte das verhindert. Schlägt der Wasserstandsfühler nach dieser Zeit nicht an, deutet das auf ein Problem hin, und die Elektronik könnte den Waschgang abbrechen ("crash early").

Bei der Programmierung von IoT-Systemen ist also darauf zu achten, Zustände zu erkennen, die außerhalb des erwarteten Rahmens liegen, und dann so darauf zu reagieren, dass der potenzielle Schaden minimiert wird. Derartige Überlegungen beschränken sich allerdings nicht nur auf die Implementierung der Steuerlogik, sondern müssen auch das Gesamtsystem einschließlich der Aktoren und Sensoren mit einbeziehen. Insbesondere ist darauf zu achten, dass im Falle eines Versagens der Steuerung (z. B. bei einem Stromausfall) alle Aktoren automatisch in einen unproblematischen Zustand zurückfallen. Passt man an der Stelle nicht auf, kann gerade das Abschalten eines Systems aufgrund der Erkennung eines Fehlerzustandes erst recht zum Problem führen.

Die Beispiele zeigen, welche Fallstricke das Internet der Dinge birgt. In den nächsten Jahren haben Entwickler und Hersteller also noch einiges zu tun, um die Szenarien sicherer, die Daten geschützter, die Geräte kompatibler und einfacher steuerbar zu machen. Dann erst werden Verbraucher die Vorteile wie Komfort und Effizienz unbedenklicher nutzen können.

Wolfgang Klimt
ist Diplom-Informatiker und Leiter des Bereichs Delivery der ConSol* Consulting & Solutions Software GmbH in München. Seit Anfang der 1990er-Jahre entwickelt er Software, administriert Unix-Rechner und tunt Datenbanken. Seit 2007 lebt er mit seiner Familie, einer Katze und ein paar Fischen in einem "intelligenten" Haus, programmiert an der Steuerung und sammelt dabei haufenweise Messdaten.

  1. Deloitte-Studie "Licht ins Dunkel", 2013 [4]
  2. Andrew Hunt, David Thomas; The Pragmatic Programmer; 5. Aufl. 2002

(ane [5])


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-2557792

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.deloitte.com/assets/Dcom-Germany/Local%20Assets/Documents/12_TMT/2013/TMT-Studie_Smart%20Home_safe.pdf
[2] http://www.openhab.org
[3] http://iot.eclipse.org/ecosystem.html
[4] http://www.deloitte.com/assets/Dcom-Germany/Local%20Assets/Documents/12_TMT/2013/TMT-Studie_Smart%20Home_safe.pdf
[5] mailto:ane@heise.de