Kommentar: Die Strategie hinter Microsofts Tablet
Warum will Microsoft eigene Tablets verkaufen? Es scheint nur zwei Antworten zu geben: Microsoft sieht sie entweder nur als Starthilfe oder will wie Apple alles selbst anbieten. Doch beides ist zu kurz gedacht, die Antwort ist komplexer.
Auf den ersten Blick scheint es nur zwei Antworten darauf zu geben, was Microsoft mit den Surface-Tablets bewirken möchte: Entweder sieht Microsoft sie nur als eine Art Starthilfe für Windows-8-Tablets, will aber selbst gar nicht so viele verkaufen. Oder Microsoft meint es doch ernst, will die Hersteller ausbooten und wie Apple alles aus einer Hand anbieten.
Doch beides ist zu kurz gedacht, die Antwort ist komplexer. Microsoft sieht den Tablet-Markt differenzierter, überlässt einen Teil den bisherigen Partnern und greift nur an einer anderen Stelle ein: Den Konkurrenten zum Apple iPad – und zum in den USA erfolgreichen Amazon Kindle Fire – will Microsoft selbst verkaufen, weil das Vertrauen in die dazu nötigen Fähigkeiten dieser Partner fehlt. Ob die Taktik aufgeht, ist allerdings eine ganz andere Frage...
Eine Starthilfe oder ein Referenzdesign braucht Windows 8 nicht, das zeigte nicht zuletzt die Computex, wo die gesamte Branche von Intel und AMD bis zu den Geräteherstellern wie Samsung, Acer und Asus erleichtert schien, dass Microsoft endlich wieder ein starkes Betriebssystem bringt und man nicht auf Googles Android angewiesen ist. Man konnte den Eindruck bekommen, dass Microsoft schon ohne die Surface-Tablets mehr für Windows 8 getan hat als Google je für Android. Die Hersteller danken es mit ausgiebigen Präsentationen der Windows-Neuheiten, mit dem Verstecken ihrer Android-Tablets auf ihren Ständen und mit Sätzen wie von Intel, dass Android auf den eigenen Prozessoren zwar laufe, dass man aber primär Windows 8 unterstütze. Was für eine Abrechnung mit Google...
Dass Microsoft seine Hardware-Partner nicht komplett ausbooten will, wird vor allem aus der Verzögerung der Tablet-Version mit Intel-Prozessor um drei Monate deutlich. Diese drei Monate sind ein Zugeständnis an die anderen Hersteller. Einen technischen Grund für diese Verzögerung gibt es nicht, schließlich verkauft Samsung ein Windows-8-taugliches Tablet schon seit einem halben Jahr, und auf der Computex gab es ein Dutzend fertiger Designs zu sehen – und nicht nur zu sehen, jeder Messebesucher konnte mit den Geräten herumspielen. Die Intel-Tablets sind fertig.
Was Microsoft will
Microsoft verfolgt also eine andere Strategie, nämlich selbst einen Konkurrenten gegen iPad und Kindle Fire auf die Beine zu stellen, ohne die Hardware-Partner. Dazu reserviert sich Microsoft offensichtlich den Vertrieb der Windows-RT-Tablets mit ARM-Prozessor für eine Zeitlang exklusiv – diese sind aufgrund der Kostenstruktur die eigentlichen iPad/Fire-Konkurrenten, während die Intel-Tablets mit der Vollversion von Windows 8 mehr können, aber auch mehr kosten.
Auf der Computex waren ARM-Tablets von Asus, Acer, Qualcomm und TI zwar kurz zu sehen, durften aber nicht ausprobiert werden oder verschwanden mit fadenscheinigen Ausreden wieder. Zum Start von Windows 8 würde man nicht fertig sein, hieß es. Dass nun Microsoft die ARM-Plattform schneller in den Griff bekommt als beispielsweise Tegra-3-Pionier Asus, erscheint wenig schlüssig, auch wenn das Microsoft-Tablet von der ehemaligen Asus-Tochter Pegatron gefertigt wird. Unzweifelhaft ist allerdings, dass auf alle Beteiligten noch viel Arbeit wartet, machte doch das Surface-Tablet in der Pressekonferenz den Präsentatoren viel Ärger: So funktionierten auffällig viele Wischgesten nicht richtig.
Was für einen iPad-Konkurrenten nötig ist, zeigt der Vergleich des Amazon Fire (nach Verkaufszahlen der einzige ernstzunehmende iPad-Gegner) mit den anderen Android-Tablets. Amazon hat das Tablet zwar auf den ersten Blick ähnlich kastriert und abgeschlossen wie Apple das iPad, aber bietet eine Komplettheit, die Android sonst fehlt: Magazine, Zeitungen und Bücher über eine zentrale Anlaufstelle, ein Angebot an legalen Filmen und TV-Serien, einen vom Hersteller überwachten und damit vor bösartigen Apps (vermeintlich) besser geschützten Store. Nichts davon haben die anderen Hersteller von Android-Tablets realisieren können.
Auch mag Microsoft erkannt haben, dass der iPad/Fire-Konkurrent ein einzelnes Gerät sein muss. Er muss in den Microsoft-Läden in den USA stehen, mehrere identische Exemplare in einem Laden, damit möglichst viele Kunden das Gerät ausprobieren können – ohne dass der Nebenmann vielleicht das etwas größere Display hat oder etwas mehr Speicher oder eine zusätzliche USB-Buchse.
Es wird für Windows 8 schwer genug sein, überhaupt gegen iPad und Fire zu bestehen, und da sollte der potenzielle Kunde nicht noch -zig Datenblätter unterschiedlicher Tablets studieren müssen. Hier kommt dann auch die Intel-Version des Surface zum Tragen: Wenn ein Kunde im Microsoft-Store fragt, ob denn auch seine gewohnten Windows-Anwendungen laufen, kann der Verkäufer die stärkere Surface-Variante hervorholen.
Innovationsprobleme
Diesen Mehrwert und diese Zuspitzung eines Produkts traut Microsoft offensichtlich keinem der Hardware-Partner zu. Tatsächlich haben sich die Hersteller mit ihren Android-Tablets nicht gerade mit Ruhm bekleckert und erreichen entsprechend geringe Verkaufszahlen – wobei sie natürlich auch keine Chance haben, alle Versäumnisse von Google aufzuarbeiten.
Ein kleines Detail zeigt, dass Microsoft richtig liegt: die Cover. Auf der Computex gab es zwar haufenweise raffinierte Lösungen zu sehen, um eine Tastatur ans Tablet zu schrauben. So ungehemmt die Ingenieure sich aber auch austoben durften, kam niemand auf die Idee, die Tastatur ins Cover zu integrieren – keiner der Hersteller hatte überhaupt Schutzhüllen gezeigt. Schon diese kleine Erweiterung des Blickwinkels vom reinen Hardware-Design zu einem ganzheitlicheren Produktdesign war offensichtlich niemandem eingefallen. So geht es halt Firmen, die sich auf Preiskampf und Massenproduktion konzentrieren – Ressourcen für eigene Innovationen sind da nur eingeschränkt vorhanden; schon das Design für flache Subnotebooks müssen sie sich von Intel vorschreiben lassen, Stichwort Ultrabook.
Auch die Äußerungen von Acer-Chef Stan Shih kann man als Bestätigung von Microsofts Strategie interpretieren: Er sehe keinen Grund für Microsofts Direktverkauf, besser würden sie mit dem bisherigen Lizenzverkauf fahren, statt Geld für Vermarktung, Vertrieb und Service auszugeben. Genau diese rein kostenorientierte Sichtweise mag das sein, was Microsoft den Herstellern ankreidet.
Erfolgsaussichten
Der Markt für die anderen Hersteller von Windows-Tablets bleibt jedenfalls groß genug: Microsoft zielt nur auf den US-Markt mit den eigenen Stores und mit einem besser in den Griff zu bekommenden Umfeld für Zeitschriften-Verlage und TV/Spielfilm-Rechte. Ob es die Surface-Geräte jemals in anderen Ländern geben wird, ist unklar. Auch der Preis von laut Gerüchten über 600 US-Dollar für das ARM-Surface mit 32 GByte Speicher dürfte locker zu unterbieten sein, beispielsweise bekommt man das Android-Tablet Asus Transformer TF300 mit 32 GByte in den USA für unter 400 US-Dollar. Microsoft liegt damit auf Apple-Niveau, die 32-GByte-Version des iPad 3 kostet ebenfalls 600 US-Dollar. Den Markt für x86-Tablets haben die Partner sogar drei Monate für sich ganz alleine, und das umfasst immerhin das bei Firmenkäufen beliebte vierte Quartal und das Weihnachtsgeschäft.
Ob Surface ein Erfolg wird, steht natürlich auf einem ganz anderen Blatt, und zwar auf einem leeren. Sind die Namen nicht doch etwas zu umständlich? Nimmt man Microsoft Coolness ab? Warum kann man die Tablets nicht schon vorbestellen?
Und, generell gesprochen für Tablets mit Windows 8 oder RT, wird es rechtzeitig genügend Apps geben? Ein paar Vorteile gegenüber iPad und Android haben die Windows-Tablets, nämlich zwei Apps gleichzeitig darzustellen, vielleicht eine bessere Familientauglichkeit aufgrund der Multiuser-Fähigkeiten, die Office-Integration, und das Potenzial der x86-Tablets, ein Notebook auch ohne die beim iPad nötigen Kompromisse zu ersetzen. Niemand kann derzeit aber abschätzen, ob das reicht, um sich gegen iPad, Kindle Fire und die vielleicht doch mal zulegende Android-Konkurrenz durchzusetzen.
Jetzt ist Google am Zug. Die Hausmesse Google I/O findet nächste Woche statt, dort wird eine neue Android-Version erwartet und der nächste Kindle-Fire-Konkurrent, ein Nexus-Tablet für 200 US-Dollar mit vielleicht genau dem Mehrwert, den Acer seinem 200-Dollar-Tablet nicht verpasst hat. (jow)