Auf höchster Ebene

Ab 2010 können eigene Top-Level-Domains nach dem Prinzip .beliebig/.any registriert werden – eine neue Herausforderung für das Domain Name System. Wer sich ernsthaft dafür interessiert oder den Missbrauch von Markenrechten frühzeitig verhindern will, sollte die Spielregeln kennen.

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Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Georg Schnurer

Für viele Unternehmen, insbesondere solche mit starkem Nutzerkontakt, dürfte die Entscheidung der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) interessant sein, künftig eigene Top-Level-Domains (TLDs) auf sich registrieren zu lassen und diese in Eigenregie verwalten zu können. Vielleicht gibt es ja bald TLDs à la .postbank, .ebay oder .deloitte, denn genau diese Unternehmen haben schon öffentlich ihr Interesse daran bekundet. Allerdings ist der Weg zur eigenen TLD nicht ohne Hürden. Neben hohen Kosten sind technische sowie organisatorische Fragen zu berücksichtigen, will sich ein Unternehmen erfolgreich um eine solche TLD-Vergabe bewerben.

Man unterscheidet grundsätzlich zwischen zwei Hauptgruppen: den allgemeinen TLDs, auch generic TLDs oder gTLDs genannt, und den länderspezifischen, auch country-code TLDs oder ccTLDs genannt. Die länderspezifischen TLDs interessieren im Zusammenhang mit den neuen Internet-Adresszonen, die es ab 2010 geben soll, nicht. Es geht vielmehr um generische, allgemeine TLDs.

Diese unterteilen sich noch einmal in die beiden Untergruppen gesponserte (sponsored TLDs, kurz sTLDs) und nichtgesponserte TLDs (unsponsored TLDs, kurz uTLDs). Die neuen werden der Gruppe der gesponserten TLDs angehören, denn sie werden von bestimmten Unternehmen und Organisationen betrieben und verwaltet, also „gesponsert“. Bekannte Beispiele sind bislang die von der Société Internationale de Télécommunications Aéronautiques (SITA) gesponserte .aero sowie .edu, .gov, .mil oder auch .cat für Angebote in katalanischer Sprache. ICANN führt die neuen Domains unter der Bezeichnung „New gTLD Program“.

Keine Domain für Arme

Die eigene TLD wird ein teurer Spaß, den sich vermutlich nur Unternehmen leisten können. Einzelpersonen können sich nach derzeitigem Stand der Diskussion ohnehin nicht bewerben. Zunächst einmal beträgt die Bewerbungsgebühr bei der ICANN stolze 185 000 US-Dollar, und zwar pro TLD. Die jährliche Gebühr beträgt 25 000 USDollar. Da der Inhaber einer eigenen TLD ja eine eigene Registry betreiben muss, verlangt die ICANN ab der 50 000. Subdomain eine Gebühr von weiteren 25 US-Cent pro Jahr. Das sind aber nur die „Amtsgebühren“. Hinzu kommen erhebliche finanzielle Aufwendungen für Beschaffung und Betrieb der erforderlichen Technik und Organisation.

Mehrfach beantragte TLD-Namen werden voraussichtlich im Rahmen einer Auktion versteigert werden. Der Erlös soll über eine Stiftung den Internetnutzern zugutekommen. Eine endgültige Entscheidung der ICANN dazu liegt aber noch nicht vor. Markenbesitzer müssen sich darüber im Klaren sein, dass es für sie keine bevorzugte Möglichkeit der Bewerbung im Rahmen einer „Sunrise Period“ geben wird, denn Markenrechte sind grundsätzlich nicht dafür erforderlich, sich um eine neue TLD zu bewerben.

Verletzt ein Bewerber Markenrechte Dritter, wird die ICANN ein Streitschlichtungsverfahren einführen, um solche Kollisionen klären zu lassen. Allerdings informiert die ICANN nicht über entsprechende TLD-Anträge, Markeninhaber müssen selbst aktiv werden und die Bewerbungen überwachen.

Eine weitere Möglichkeit des Markenschutzes will die ICANN durch eine „Globally Protected Marks List“ schaffen. Wer es weltweit auf mindestens 200 Eintragungen für seine Marke bringt, kann sich auf diese Liste setzen lassen und so eine Verwendung dieser Marke in einer neuen TLD vermeiden. Um Rechtsverletzungen auf der Ebene der Second-Level-Domain unterhalb der eigenen TLD effektiv bekämpfen zu können, müssen TLD-Bewerber einen „Rights Protection Mechanism“ veröffentlichen und sich zudem der Uniform Dispute Resolution Policy der ICANN unterwerfen.

Attraktiv dürfte die eigene TLD dennoch für etliche Unternehmen sein. Als Geschäftsmodell bietet sich zum Beispiel der Verkauf von Subdomains an, was für Social Networks und sonstige Communities interessant sein dürfte. Auch für Anbieter von mehreren Produktreihen hätte das Modell Vorteile. So könnte sich ein bekannter Autohersteller etwa die TLD .rollsroyce sichern und Second-Level-Domains wie phantom. rollsroyce oder silver.rollsroyce für die Phantom- und Silver-Baureihen nutzen. Oder die Sparkassen bieten folgende Domains an: hamburg.sparkasse et cetera.

Phishing adieu

Ein unschätzbarer Vorteil dürfte auch der verbesserte Schutz vor Phishing sein, denn alle Domains unter einer TLD stehen unter der Kontrolle ihres Inhabers. Missbräuchliche Nutzung von Second-Level-Domains sollte sich daher besser vermeiden lassen. Eine Verpflichtung, die eigene TLD für Dritte zu öffnen, wird es übrigens nicht geben. Das bedeutet, dass neben TLDs für beispielsweise soziale Netzwerke auch solche registriert werden können, bei denen der Bewerber die Second-Level- und weiteren Domains nur intern vergibt.

Die neuen TLDs sollen ab 2010 an den Start gehen. Nach derzeitigem Stand ist zu erwarten, dass der erste Bewerbungszeitraum im 1. Quartal 2010 starten wird. Bezüglich der derzeit laufenden Konsultationen gibt es erste Kritikpunkte – beispielsweise, dass die Bewerbung ausschließlich in englischer Sprache möglich sein soll. Bislang existiert erst ein Entwurf der Registrierungsrichtlinien, der allerdings schon einen guten Einblick darüber gibt, welchen Anforderungen sich der Antragsteller stellen und unterwerfen muss.

Vor der Zuweisung einer eigenen TLD muss der Bewerber zunächst eine finanzielle und technische Evaluierung über sich ergehen lassen. Anschließend ist eine Reihe von „pre-delegation tests“ vorgesehen, bevor eine Zuweisung in die Root-Zone erfolgt. Diese Tests umfassen einen Test der DNS-Infrastruktur, des Registry-Systems und eine Überprüfung, ob die Voraussetzungen für eine dauerhafte Registry-Verwaltung vorhanden sind.

Weitere Bedingung für eine Registrierung ist der Abschluss eines „Registry Agreement“ zwischen dem Bewerber und der ICANN. Ein erster Entwurf vom Februar 2009 deutet bereits an, welchen vertraglichen Pflichten sich der Bewerber unterwerfen muss. Gleich zu Beginn weist das Dokument auf die technischen Schwierigkeiten hin, die eine eigene TLD im Hinblick auf ihre Erreichbarkeit haben kann. Für die (technische) Akzeptanz der eigenen TLD durch einzelne ISPs oder Webhoster ist der Bewerber selbst verantwortlich. Er soll die technische Nutzbarkeit des TLD-Strings vor Abschluss des Registry Agreement sicherstellen.

Der Bewerber hat sich auf die Einhaltung der „Consensus Policies und Temporary Policies“ der ICANN zu verpflichten. Zudem muss er ein monatliches Reporting durchführen. Bestimmte von der ICANN als unzulässig vorgegebene Bezeichnungen von Second-Level-Domains unter der eigenen TLD sind ausdrücklich untersagt. Die Einhaltung der vorgegebenen „Functional and Performance Specifications“ muss gewährleistet sein und die entsprechende Dokumentation für Audit-Zwecke mindestens ein Jahr lang aufbewahrt werden. Der schon erwähnte zwingend einzuführende „Rights Protection Mechanism“, der Rechte Dritter schützen soll, muss mindestens den Vorgaben der ICANN genügen.

Automatisch verlängert

Der Vertrag hat eine Grundlaufzeit von zehn Jahren und verlängert sich jeweils erneut um diese Laufzeit, wenn er nicht beispielsweise wegen schwerwiegender Vertragsverletzung des TLD-Inhabers gekündigt wurde. Wichtig ist schließlich, dass der Bewerber die ICANN von sämtlichen Ansprüchen Dritter freizustellen hat.

Um die Belange der Bewerber zu schützen, bleiben finanzielle Aspekte und wichtige Elemente der sicherheitstechnischen Informationen in den Bewerbungsunterlagen unveröffentlicht und damit vertraulich. Details bleiben dem „Final Applicant Guidebook“ vorbehalten, an dem die ICANN derzeit arbeitet. Der Leitfaden wird die finalen Bewerbungsvoraussetzungen, Bewerbungsfristen und Zuteilungskriterien enthalten. Er soll Ende 2009 in endgültiger Fassung vorliegen. Die dritte (vorläufige) Version ist von der ICANN für September 2009 avisiert.

Für Bewerber ist es wichtig zu wissen, dass es sich nicht um ein „first come, first serve“-Verfahren handeln wird. ICANN plant, die Bewerbungen, die während der „open application period“ eingehen, einzeln zu überprüfen und zu bewerten. Anschließend will sie die Bewerbungen veröffentlichen und damit jedermann die Möglichkeit geben, neuen TLDs zu widersprechen.

Schiedsverfahren bei Verstößen

Bei Konflikten soll eine „Dispute Resolution Policy“ helfen, Einsprüche, etwa wegen Rechtsverletzungen, moralisch unstatthaften oder gegen die öffentliche Ordnung verstoßenden TLD-Bezeichnungen und dergleichen, zu behandeln. Beispielsweise soll das WIPO Arbitration and Mediation Center in Genf für Rechtsverletzungen und die International Chamber of Commerce in Paris bei moralischen Verstößen das Schiedsverfahren durchführen.

Nicht gefeit ist man aber davor, dass zwei Bewerber einen Antrag auf die gleiche TLD stellen, von denen der eine – aus welchen Gründen auch immer – eine deutlich längere Überprüfung über sich ergehen lassen muss. Selbst wenn er schlussendlich mit seinem Antrag durchkommt, könnte der andere Bewerber schon zuvor zum Zuge gekommen sein. Da man im TLD-Antrag auf Rechtsmittel gegen Entscheidungen der ICANN verzichten muss, hat man in diesem Fall einfach Pech gehabt und muss um seine Investitionen fürchten. Unklar ist noch, ob und inwieweit die ICANN die Bewerbungsgebühr zurückerstattet. Das gibt Grund zur Befürchtung, dass sich Bewerber um dieselbe TLD gegenseitig mit „moralischen“ oder sonstigen schwammigen Einsprüchen überziehen, um selbst einen zeitlichen Vorsprung vor dem anderen Bewerber zu erhalten.

Derzeit diskutieren die Verantwortlichen noch, ob die neuen TLDs aus drei oder mehr Buchstaben bestehen müssen oder ob es in bestimmten Fällen auch statthaft sein soll, zweibuchstabige registrieren zu lassen. Zum Beispiel bestehen etliche wichtige chinesische Ausdrücke aus nur zwei Zeichen, was chinesisches Interesse an neuen TLDs sinken lassen dürfte, wenn diese grundsätzlich nicht registrierbar sind.

Über die Frage nach der maximalen Anzahl neuer TLDs scheiden sich derzeit noch die Geister. Die ICANN hält grundsätzlich bis zu 60 Millionen neue TLDs für möglich, ohne dass dies zu technischen oder sicherheitsrelevanten Problemen führen dürfte. Aufgrund „operativer und verwaltungstechnischer Herausforderungen“ hält die ICANN aber zunächst eine Zahl von nur 5000 neuen TLDs für machbar.

Fazit

Die ICANN betritt mit dem „New gTLD Program“ ein neues Feld im Bereich des Domain Name System. Etliche Fragen sind derzeit noch in Diskussion, was Interessierten die Möglichkeit gibt, durch Vorschläge, Anregungen und Kritik auf den laufenden Prozess einzuwirken. Frühestens 2010 dürfte es mit der ersten Bewerbungsrunde losgehen. Allerdings sind derart viele finanzielle, operative und vor allem technische Fragen durch den Bewerber zu beantworten, dass man sich gar nicht früh genug damit beschäftigen kann. Auch bedarf angesichts solcher Aufwendungen und Anstrengungen die interne Meinungsbildung, ob man eine eigene TLD angehen soll oder nicht, sicher einiges an Zeit.

Nicht verheimlichen darf man die grundsätzliche Kritik an den neuen TLDs. Manche stellen laut die Sinnfrage, denn sie befürchten eine Zerstörung des Ordnungssystems von Domains. Entweder wird der Namensraum zu sehr zersplittert und man treibt Internetanbieter in die Arme von Suchmaschinenanbietern, die Domains nach dem Prinzip firma.suchmaschine anbieten könnten. Oder es wird zumindest schwerer werden, Domains zu erraten. Als Beispiel führen Kritiker an, dass dann keiner mehr wisse, ob man unter auto.bmw, bmw.auto, bmw.de oder bmw.com suchen müsse, um sich über die Fabrikate aus München zu informieren. Das Ende des Domain Name System wird durch die Einführung neuer TLDs aber sicher nicht eingeläutet werden. Und Juristen wird es auch in diesem Bereich zukünftig nicht an Arbeit mangeln.

Tobias Haar, LL.M., ist Syndikusanwalt und Rechtsanwalt mit Schwerpunkt IT-Recht. (gs)