Ausgetauscht

2009 haben erstmals mehr deutsche Unternehmen ihren IT-Diensteanbieter gewechselt als die Verträge mit ihm verlängert. Ein solcher Wechsel wirft rechtliche Fragen auf, die es im Vorfeld zu bedenken gilt.

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Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Georg Schnurer

Viele Anwenderunternehmen haben in der großen Outsourcing-Welle der Jahre 2002 bis 2004 Verträge mit bis zu zehn Jahren Laufzeit abgeschlossen. Jetzt nähern sich solche Verträge dem Ende ihrer Laufzeit und die Unternehmen müssen lange vor dem Vertragsende Entscheidungen treffen: Mit dem bekannten Anbieter über die Verlängerungsoption oder Nachverhandlungen weitermachen? Die IT zurückholen? Oder ein Providerwechsel?

Wie die Entscheidung ausfällt, hängt wesentlich davon ab, ob die Zusammenarbeit mit dem bisherigen Provider erfolgreich war. Ist das der Fall, lohnt der Aufwand eines Wechsels in der Regel nicht und man tut gut daran, weiterhin von der Effizienz zu profitieren und Innovationen zusammen mit dem bisherigen Provider umzusetzen. Wenn aber die bisherigen Ziele nicht erreicht wurden, bleiben nur das Backsourcing oder der Providerwechsel. Im letzten Jahr haben sich erstmals mehr Unternehmen für den Anbieterwechsel als für die Treue zum alten Provider entschieden.

Manche haben die Komplexität des Providerwechsels unterschätzt und sich schlecht vorbereitet ins Abenteuer gestürzt – mit teils dramatischen Folgen, die das Unterfangen leicht zum betriebswirtschaftlichen Fiasko machen können. Außer bei Standarddienstleistungen bedeutet jeder Anbieterwechsel nichts anderes als ein anspruchsvolles Migrationsprojekt mit vielfach gestaffelten Übertragungen verwobener Prozesse, die gar nicht dafür ausgelegt sind, zeitweise voneinander getrennt in verschiedenen Betriebsumgebungen zu laufen. So eine Migration kann nur erfolgreich verlaufen, wenn alle Spieler Hand in Hand arbeiten und sich gegenseitig unterstützen.

Nun sind der alte und der zukünftige Anbieter aber Konkurrenten, die sich nicht ohne Weiteres füreinander ein Bein ausreißen würden. Gerade der scheidende Anbieter fährt gern nur mit halber Kraft, denn er ist schon dabei, seine Ressourcen auf langfristig aussichtsreichere Projekte neu auszurichten. Demgegenüber hat der neue Anbieter Zeitdruck, denn eine längere Migrationsphase bedeutet für ihn einen späteren Wechsel in den optimierten Regelbetrieb und bei fester Vertragslaufzeit gleichzeitig auch einen kürzeren Anteil dieser lukrativen Regelbetriebsphase an der Gesamtvertragslaufzeit. Verliert der neue Anbieter in der Situation die Geduld, hat letztlich der Anwender das Nachsehen, denn die Wahrscheinlichkeit überteuerter Vertragsänderungen (Change Requests) und schlechterer Servicequalität steigt.

Fallstricke – wenn nichts im Vertrag steht

Die Pflichten des scheidenden Anbieters beim Providerwechsel müssen vor Beginn der Migration geregelt sein. An sich sollten sich die erforderlichen Mechanismen schon aus dem endenden Outsourcing-Vertrag ergeben, spätere Verhandlungen sind schwieriger. Fehlt es an einer vertraglichen Regelung, gilt zwar das Gesetz, aber daraus lässt sich kaum Brauchbares für die Migration ableiten.

Ganz im Gegenteil hält das Gesetz eher Fallstricke bereit: Es kennt keine allgemeine Pflicht zur Kooperation des bisherigen mit dem zukünftigen Anbieter. Nach dem Gesetz kann der scheidende Provider seine Leistungen einfach bis zum Vertragsende erbringen und dann zusammenpacken. Besonders schwierig wird es für den Anwender, wenn die Migration nicht bis zum Vertragsende abgeschlossen ist. Denn in dem Fall kann der neue Anbieter den Betrieb noch nicht komplett übernehmen, der alte muss aber auch nichts weiter betreiben. Seine Leistungspflicht endet nach dem Gesetz mit Vertragende.

Letztlich bleibt dem Anwender nur, einen Anschlussvertrag mit dem an sich scheidenden Anbieter abzuschließen – zu meist deutlich teureren Konditionen. Gut gemachte Outsourcing-Verträge vermeiden das Problem und verpflichten den scheidenden Anbieter, Unterstützungsleistungen zu kalkulierbaren Konditionen auch noch für einen optionalen Zeitraum nach dem eigentlichen Vertragsende zu erbringen.

Das Gesetz sagt ebenso wenig zur Qualität der Zusammenarbeit bei einem Providerwechsel. Es beschreibt zwar sich zwei Vertragspartner helfen müssen. Die sind aber auf Provider und damit auf Konkurrenten nicht anwendbar. Wenn hier also nichts im Vertrag steht, ist der Anwender letztlich darauf angewiesen, dass der scheidende Anbieter seinen Ruf im Markt nicht verbrennen will und daher frei nach dem Motto „man sieht sich immer zweimal“ zumindest bis zu einem gewissen Grad mitarbeitet.

Das Tal der Ahnungslosen?

Dieser Grad bereitet in aller Regel aber wenig Freude, zu sehr ist der scheidende Anbieter schon auf neue Projekte fokussiert, zu unkonkret sind in der Situation die Pflichten, zu komplex das Zusammenspiel der zu übertragenden Prozesse und zu leicht lässt sich deshalb der schwarze Peter verschieben. Auch hier muss unbedingt ein vertraglicher Mechanismus vereinbart sein oder – die teurere Variante – werden, der die Zusammenarbeit regelt und das vielbeschworene partnerschaftliche Verhalten für den Providerwechsel gestaltet.

Nun werden manche einwenden: Gut, soll der Anbieter doch gehen – das Know-how steckt ohnehin in den Mitarbeitern und die wechseln nach dem Gesetz automatisch zum neuen Provider. Er kann also die Migration mit diesem Wissen der Mitarbeiter bestreiten und den Betrieb zügig übernehmen. In der Tat regelt § 613a BGB, dass Mitarbeiter eines Teilbetriebs mitgehen, wenn der Teilbetrieb übertragen wird und sie nicht widersprechen. Es stimmt ebenfalls, dass beim Providerwechsel ein dort bestehender Teilbetrieb „IT-Betrieb für Anwender X“ automatisch zum neuen Provider übertragen wird, sodass die dem Teilbetrieb zugehörigen Mitarbeiter des alten Providers zum neuen Anbieter wechseln. Der neue Anbieter muss sie dann zu mindestens gleichen Konditionen weiterbeschäftigen, die Mitarbeiter verschlechtern sich also auch nicht. Seit über einem Jahr gibt es sogar einen Verhaltenskodex des Branchenverbands BITKOM, der die Übertragung der Mitarbeiter transparenter gestalten soll und zu dessen Einhaltung sich viele Anbieter verpflichtet haben.

Anwender und zukünftige Provider reiben sich aber in der Praxis verwundert die Augen, wenn sie auf diese zugegebenermaßen gut klingenden automatischen Regelungen vertraut haben und später feststellen, wer sich da als neuer Mitarbeiter vorstellt, wie wenig diese von den Systemen des Anwenders wissen, wie kurz einige davon vor der Altersteilzeit stehen und wie wenige überhaupt der Anwender von früher kennt – dabei müsste er sie ja ursprünglich mal mit seiner internen IT outgesourct haben.

Die gesetzlichen Regelungen haben nämlich eine ganz zentrale Schwäche, die selbst der BITKOM-Verhaltenskodex nicht ausbügelt – und die jede Hoffnung auf Know-how-Übertragung durch hinzustoßende fähige Mitarbeiter zerstören kann: Denn die Frage, welche Mitarbeiter konkret mit dem Teilbetrieb übergehen, betrachtet das Gesetz rein faktisch und im Zeitpunkt der Übertragung des Teilbetriebs – historische Zuordnungen sind irrelevant.

Das Personalkarussell dreht sich

Der scheidende Provider kann also, ohne gegen das Gesetz oder den Verhaltenskodex zu verstoßen, seine fähigsten für den betreffenden Anwender-Account arbeitenden Mitarbeiter vor dem Übertragen des Teilbetriebs abziehen und schwerpunktmäßig anderen Kunden-Accounts zuordnen. Sie sind dann nicht mehr dem Teilbetrieb des Anwenders zugeordnet und wechseln folglich nicht mehr automatisch zum neuen Anbieter. Umgekehrt kann ein zuungunsten des Anwenders denkender Altprovider natürlich solche Mitarbeiter, gegen deren persönliche Veränderung er wenig einzuwenden hat, im Schwerpunkt diesem Account zuordnen und sie auf den neuen Anbieter „abschieben“. Diese Umbesetzungen sind nach dem Gesetz noch recht kurzfristig vor dem Übergang des Teilbetriebs möglich. Sie fallen auch nach dem Verhaltenskodex nicht so schnell auf, denn der gewährleistet zwar einen relativ frühzeitigen Informationsfluss, allerdings aus Datenschutzgründen sehr lange in grober und anonymisierter Form.

Teuer bezahltes Know-how

Natürlich kann der Anwender oder der neue Anbieter versuchen, die anderweitig zugeordneten Know-how-Träger vom alten Provider abzuwerben. Aber mit dem kalkulierten automatischen Mitarbeiterübergang nach § 613a BGB hat das von der geplanten Mitarbeiterzahl und Kostenbasis her nicht mehr viel zu tun, denn die statt der Knowhow-Träger vom alten Provider dem Anwenderaccount zugeordneten Mitarbeiter kommen ja trotzdem.

Selbstverständlich gibt es auch hier Lösungen – allerdings müssen die eben wieder vertraglich vereinbart sein und gehören schon in den abzulösenden Outsourcingvertrag. Hier muss der Anwender sich dagegen absichern, dass der scheidende Anbieter die Knowhow-Träger der ursprünglich ja vom Anwender selbst stammenden IT-Betriebsmannschaft beliebig auf andere Kundenaccounts umverteilen kann. Das ist nicht erst zum Vertragende hin relevant, sondern letztlich schon vorher.

Die Regelung hilft aber nur gegen Umstrukturierungsmaßnahmen, die vom Provider ausgehen, und daher nur eingeschränkt: Denn der Anwender muss sich darüber im Klaren sein, dass ein Know-how-Träger – zu Recht – beruflich weiterkommen und sich verändern möchte und entweder beim Provider aus eigenem Antrieb beispielsweise Verantwortung für andere Kunden übernimmt oder das Unternehmen ganz verlässt. Auch auf diese Art ist er dem Teilbetrieb entzogen. Dagegen sind vertragliche Teambeschränkungen naturgemäß ebenso machtlos wie gegen Krankheit oder sonstigen Ausfall von Know-how-Trägern. Deshalb sollte der Anwender mit dem scheidenden Provider möglichst schon im endenden Outsourcingvertrag das Erstellen oder Fortschreiben einer auch für andere Anbieter verständlichen Betriebsdokumentation vereinbart haben.

Leichter migrieren mit Standards

Schließlich vereinfacht der Einsatz von Standards jede Migration. Schon mit dem scheidenden Anbieter sind also im Idealfall Servicestandards wie ITIL V3 vereinbart worden, die eine spätere Übertragung der Prozesse erleichtern. Das Gesetz schreibt keine Standards vor, es gibt diesbezüglich lediglich unverbindliche Empfehlungen. Will der Anwender in der Migration standardisierte Prozesse übertragen, muss er sie schon vorher vereinbart haben.

Entsprechendes gilt für Tools. Gesetzlich ist kein Provider dazu verpflichtet, beispielsweise standardisierte Reporting-Tools zu verwenden. Der Einsatz proprietärer Werkzeuge kann eine Migration jedoch deutlich erschweren, gerade auch weil der scheidende Anbieter gesetzlich nicht verpflichtet ist, seine Tools dem neuen Provider und damit der Konkurrenz offenzulegen. Der Anwender kann ausschließlich vertraglich sicherstellen, dass entweder proprietäre Tools dem Anwender oder dem neuen Anbieter für die Migration bereitgestellt oder von Anfang an Standardtools verwendet werden.

Fazit

Zusammenfassend machen diese Beispiele deutlich, dass ein Providerwechsel durchaus anspruchsvoll ist und gut vorbereitet sein muss. Im Idealfall gehören die wesentlichen Aspekte in jeden Outsourcingvertrag. Denn zum einen kann jedes Outsourcing zum Gegenstand eines Anbieterwechsels werden. Zum anderen sind die Unterstützungsleistungen und die grundsätzlichen Mechanismen zu Beginn eines Outsourcings viel besser auszuhandeln als am Ende.

Aber auch wenn der ursprüngliche Vertrag unzureichende Regelungen enthält, gilt: Wer als Anwender den Kopf in den Sand steckt und trotz großer Unzufriedenheit einen Providerwechsel aus Angst vor der Migration ausschließt, macht sich nur noch abhängiger und unzufriedener. Stattdessen sollte er rechtzeitig vor Ende des Vertrages Alternativen evaluieren und eine Migration mit ordentlichem Vorlauf planen. Das geht sogar schon, wenn man den potenziellen neuen Provider noch gar nicht kennt. Über die Probleme muss man sich eben im Klaren sein und entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen. Möglich ist das immer. Wichtig ist aber, rechtzeitig zu beginnen.

Georg Meyer-Spasche ist Rechtsanwalt für IT-Recht und Partner der Kanzlei Osborne Clarke in Köln. (gs)