Expert: Warum kommen die guten Marketingideen immer aus anderen Branchen?

"Bei uns bestimmen Sie den Preis" - mit dieser gelungenen Marketingaktion geht der Optiker-Filialist Apollo derzeit auf Kundenfang. Warum ist aus dem ITK-Handel niemand auf diese Idee gekommen?

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Damian Sicking

Volker Müller, Vorstandsvorsitzender der expert AG

(Bild: expert AG)

Lieber Expert-Geschäftsführer Volker Müller,

wie komme ich an das Geld anderer Leute? Das ist die zentrale Frage in der Wirtschaft. Wer immer eine Ware oder eine Dienstleistung anzubieten hat, beschäftigt sich mit ihr. Jetzt kommt der Brillen-Filialist Apollo mit einer Antwort um die Kurve, die er ohne falsche Bescheidenheit als "revolutionäres Konzept, das es so in der deutschen Handelslandschaft wohl noch nicht gegeben hat" anpreist. Schon an dieser Stelle möchten wir darauf hinweisen, dass es sich bei dieser Aussage um eine falsche Tatsachenbehauptung handelt, aber dazu später mehr. Das angeblich "Revolutionäre" der Apollo-Aktion soll darin bestehen, dass nicht der Anbieter, in diesem Falle also die Leute von Apollo, sondern vielmehr der Kunde den Preis des Produktes bestimmt, welches er zu kaufen gewillt ist. Natürlich gibt es einen Haken, zumindest aus Kundensicht: Das Angebot ist limitiert auf Brillenfassungen mit einem Höchstpreis von 99,90 Euro. Die Gläser müssen ganz regulär bezahlt werden. Was mich an der Sache verwundert: Ich selbst hatte mir einmal bei Apollo eine Brille gekauft, da brauchte ich für die Fassung, die mit 150 Euro oder so ausgezeichnet war, keinen einzigen Cent zu bezahlen, und zwar ohne dass gerade eine besondere Aktion lief. Aber gut, dafür waren die Gläser irre teuer.

Natürlich haben die Apollo-Leute eine große Geschichte aus der Sache gemacht, mit recht viel Werbung und mehr oder weniger lustigen Fernsehspots. Und seien wir ehrlich: Darauf kommt es doch an, oder? Dass man den Kunden da draußen im Lande eine Geschichte erzählen kann, die sie toll finden. Und die Geschichte "Bei uns bestimmen Sie den Preis" ist einfach gut.

Natürlich gibt es auch schon eine wissenschaftliche Studie zu diesem Thema. Und damit komme ich auf die Behauptung von Apollo zurück, dass es sich bei dieser Aktion um eine handelt, die die Welt noch nicht gesehen hat. Natürlich hat die Welt so etwas schon mal gesehen, sogar hier in Deutschland. Ich persönlich erinnere mich zum Beispiel noch sehr gut an die Aktion des Automobilherstellers Toyota "Qualität hat IHREN Preis" aus dem vergangenen Jahr. Fast identisch wie jetzt die von Apollo, wesentlicher Unterschied: Die Gläser (Windschutzscheibe etc.) waren im verhandelten Preis enthalten. Ich erinnere mich vor allem deshalb gut an diese Aktion, weil ein paar Fernsehsender ihre Reporter losschickten, um mit versteckter Kamera den Wahrheitsgehalt zu prüfen. Das Ergebnis: Wer zum Beispiel nur zehn oder 100 oder auch nur 1.000 Euro für einen, sagen wir mal, Toyota Avensis bezahlen wollte, der bekam keinen. So wörtlich sollten die Kunden das Versprechen nämlich auch wieder nicht nehmen. Ein unschöner Aspekt solcher Aktionen aus Verkäufersicht: Man muss sich mit solchen Kunden herumschlagen, die solche Marketingaussagen für bare Münze nehmen. Dabei weiß doch jedes Kind, dass Marketing nichts anderes ist als der sparsame Umgang mit der Wahrheit.

Jetzt aber endlich zur Studie. Wissenschaftler der Universitäten aus Passau und Frankfurt wollten wissen, ob sich Unternehmen, die mit einem derartigen Angebot auf Kundenfang gehen, nicht ein Eigentor schießen. Die Antwort lautet Nein: Die Bilanz derartiger Angebote stimme fast immer. Zwar war der Umsatz pro Kunde etwas niedriger als sonst, dieser Effekt wurde aber durch die zusätzlichen Kunden überkompensiert. Allerdings eignen sich den Wissenschaftlern zufolge derartige Marketingaktionen nur für recht preiswerte Produkte, ansonsten würde bei den Kunden der Wille überwiegen, ein Schnäppchen zu machen (was wohl auch der wesentliche Grund dafür ist, dass die Toyota-Aktion im vergangenen Jahr aus Unternehmenssicht nicht der große Bringer war).

Lieber Herr Müller, was ich mich frage, ist: Warum kommen solche Ideen wie diese von Apollo immer aus anderen Branchen, aber nicht aus dem ITK-Handel? Auch bei der Abwrackprämie stieg der ITK-Handel erst auf das Thema ein, als es schon durchgenudelt war. Das ist schade. Eine Aktion von der Art "Bei uns bestimmen SIE den Preis" wäre doch auch im ITK-Handel möglich, oder? Und zur Abwechslung vielleicht mal nicht von Media-Markt oder Saturn. Man muss ja nicht sofort das komplette Sortiment zur Disposition stellen. Man kann zum Beispiel ja auch jede Woche ein bestimmtes Produkt auf diese Art bewerben. Könnte das funktionieren? Ich meine: Ja!

Beste Grüße

Damian Sicking

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