(Fast) Niemand wird für seinen Hintern bezahlt, auch nicht Frau Koch-Mehrin

Die FDP-Politikerin und Europaabgeordnete Dr. Silvana Koch-Mehrin kämpft derzeit gegen Vorwürfe, sie sei faul. Ihr Argument: Präsenz ist kein Beweis für Fleiß. Das stimmt und gilt auch in unseren Firmen und Betrieben.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Damian Sicking

Liebe FDP- und Europapolitikerin Dr. Silvana Koch-Mehrin,

übermorgen ist Europa-Wahl. Sie sind die Spitzenkandidatin der FDP und lächeln uns seit Wochen von den Wahlplakaten zu. Bereits heute bedauern manche, dass die Plakate mit Ihrem hübschen Konterfei nach der Wahl wieder aus unserem Straßenbild verschwinden werden. Andere meinen, nicht nur Ihre Plakate sollten verschwinden, sondern vor allem Sie selbst, und zwar aus dem Europäischen Parlament. Der Vorwurf: Sie seien faul. Als Beleg wird akribisch die Zahl Ihrer Anwesenheitstage im Parlament und während der Sitzungstage aufgeführt. Vor allem die FAZ hat das Thema für sich entdeckt und veröffentlichte gerade einen Artikel mit der Überschrift "Wie fleißig ist Silvana Koch-Mehrin?". Inzwischen aber geht es um mehr: um den Versuch, unliebsame Berichterstattung der Medien gerichtlich zu unterbinden, um den Verdacht einer falschen eidesstattlichen Versicherung , um sonderbare PR-Praktiken. Und ich muss sagen, liebe Frau Dr. Koch-Mehrin, wenn man das alles liest, gewinnt man nicht den Eindruck, dass Sie und Ihre Mitarbeiter alles richtig gemacht haben.

FDP-Europapolitikerin Koch-Mehrin

(Bild: SKM)

Die FDP gilt als die Partei der Wirtschaft. Auch viele Unternehmer und Manager aus der IT-Branche machen ihr Kreuzchen auf den Wahlscheinen regelmäßig bei der FDP. Doch nicht nur aus diesem Grunde widme ich Ihnen meine heutige Kolumne. Sondern vor allem weil die "Causa Koch-Mehrin" interessante Parallelen zu dem ganz normalen Büro- und Berufsleben von uns allen hat. Ich möchte mich dabei aber nur auf den einen Punkt beschränken: Wofür werden wir bezahlt?

Liebe Frau Dr. Koch-Mehrin, Sie kennen vielleicht den Spruch "Im Job wird niemand für seinen Hintern bezahlt." Soll heißen: Sein Gehalt bekommt man nicht dafür überwiesen, dass man anwesend ist und die Sitzfläche seines Schreibtischstuhls warm hält. Ich zumindest habe noch nicht gehört, dass Firmen Anwesenheitsprämien zahlen. Was zählt und wofür wir bezahlt werden, sind Leistung und Ergebnisse. Das gilt für den Händler genauso wie für den Politiker. Gut, ich gebe zu, dass sich diese Haltung noch nicht überall herumgesprochen hat. Ich kenne Betriebe, in denen noch immer derjenige als besonders fleißig gilt, der morgens als Erster kommt und abends als Letzter geht. Was er in der Zeit dazwischen getan hat, scheint von sekundärem Interesse zu sein. Auch gibt es Menschen, die arbeiten sehr schnell und sind mit ihren Aufgaben somit früher fertig als andere, müssen aber trotzdem bis zum Dienstschluss an ihrem Arbeitsplatz bleiben und hängen lustlos herum. Solche Praktiken sind Relikte aus dem Industriezeitalter und heute völlig überholt.

Trotzdem halte ich Anwesenheit nicht für völlig unwichtig. Denn wer nicht da ist, kriegt vieles einfach nicht mit.

Ganz schlecht ist natürlich, wenn jemand vor allem durch Abwesenheit auffällt und zusätzlich auch noch keine Leistung abliefert. So einen kann man ja nur in die Wüste schicken. Und wenn ich die Berichterstattung richtig verfolgt habe, ist dies exakt der Vorwurf, der gegen Sie erhoben wird: Dass Sie einfach stinkfaul sein sollen. In so einem Fall wäre es natürlich klasse, wenn man knallharte Fakten auf den Tisch legen könnte, die das Gegenteil beweisen. Aber das ist vielleicht in einer Position, wie Sie sie bekleiden, gar nicht so einfach.

In einem Interview mit dem Nachrichtensender N24 sagten Sie gestern zum Thema Anwesenheit als Leistungsnachweis: "Wenn der Maßstab wäre, wie oft man sich in welche Liste einträgt, dann würde für den Bundestag gelten, dass Angela Merkel, Franz Müntefering und Guido Westerwelle mit zu den faulsten Abgeordneten zählen würden." Das ist wohl wahr, aber den von Ihnen genannten Personen würde sicher niemand Faulheit unterstellen wollen. Schließlich können wir ja fast täglich in den TV-Nachrichten sehen und in den Zeitungen lesen, was Merkel, Müntefering und Westerwelle wieder getan und geleistet haben. Im Gegensatz zu Ihnen. Also eine weitere Lektion für uns arbeitende Bevölkerung: Wir müssen nicht nur etwas leisten, sondern auch dafür sorgen, dass andere dies mitbekommen.

Beste Grüße

Damian Sicking

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