Ingram Micro: Flexibler Pessimismus oder "Optimismus mit Rückwärtsgang"

Nach Value Ad Distributor Avnet hat jetzt mit Ingram Micro der Marktführer unter den Broadlinern vorsorglich Kurzarbeit angemeldet. Kein gutes Zeichen für den Zustand der IT-Branche.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Damian Sicking

Ingram-Micro-Chef Gerhard Schulz

(Bild: Ingram Micro)

Lieber Ingram-Micro-Chef Gerhard Schulz,

rächt es sich jetzt, dass Ingram Micro nicht als Aussteller auf der CeBIT war? Denn wären Sie es gewesen, hätten Sie nun vielleicht nicht Kurzarbeit anmelden müssen. Wie wir ja von unserem Bitkom-Präsidenten August-Wilhelm Scheer wissen, sind viele CeBIT-Aussteller mit vollen Auftragsbüchern wieder nach Hause gefahren. Freilich wissen wir nicht, ob dies auch für die Distributoren gilt, die mit Ständen auf der Messe vertreten waren. Actebis und NT-Plus jedenfalls teilten im Anschluss mit, sie seien "sehr zufrieden" mit dem Messeverlauf und zogen ein "positives Fazit", wohingegen Tech Data sich nicht öffentlich über den Messeerfolg geäußert hat. Dafür feierte der Distributor Siewert und Kau seinen CeBIT-Auftritt sogar als einen "Riesenerfolg". Nun frage ich mich natürlich, ob hier nicht ein Zusammenhang besteht. Von den "CeBIT-Distributoren" ist das Wort "Kurzarbeit" jedenfalls nicht zu hören. Noch nicht, möglicherweise. Halt, doch, eine Ausnahme gibt es: Der VAD Avnet hat bereits Kurzarbeit angemeldet, aber der war auch nicht im "Planet Reseller", sondern in Halle 3. Andere Distributoren denken ebenfalls über Kurzarbeit nach.

Auch für Systemhäuser wie Bechtle und Cancom ist wegen der schwierigen Geschäftslage das Wort "Kurzarbeit" kein Tabu mehr. Gott sei Dank, sollte man sagen. Denn wer die Karte "Kurzarbeit" zieht, glaubt, dass die Flaute nur von begrenzter Dauer ist und die Geschäfte anschließend wieder anspringen werden. Da braucht man dann die Mitarbeiter wieder. Ohne Hoffnung dagegen ist, wer entlässt.

Hoffnung bedeutet Optimismus. Und den grundsätzlichen Optimismus, den sollten wir uns natürlich auch jetzt nicht durch das schlechte Konjunkturklima verhageln lassen. Dennoch: Die optimistische Haltung ist derzeit in hohem Maße gesundheitsgefährdend. Der Optimist bekommt heute einfach viel zu viele Nackenschläge. Ob es die nächste Unternehmensmeldung über schlechte Geschäftsaussichten ist, die nächste Firma, die Insolvenz anmeldet, der nächste düstere Konjunkturbericht, die nächste Meldung über steigende Arbeitslosenzahlen – kaum hat man sich von der einen Hiobsbotschaft mental erholt und ist zu seiner grundsätzlichen optimistischen Sichtweise zurückgekehrt, da kommt der nächste Dämpfer. Das schlägt nicht nur auf die Stimmung, sondern auch auf den Magen.

Aus diesem Grunde glaube ich, dass wir momentan mit einer pessimistischen Haltung besser fahren. Der Pessimismus hat sowieso ein viel schlechteres Image als er verdient. Der große Vorteil des Pessimisten gegenüber dem Optimisten besteht zum Beispiel darin, dass der Pessimist viel öfter positive Überraschungen erlebt als der Optimist. Er geht schließlich immer vom Schlechten aus, und dann freut er sich, wenn wider Erwarten doch die Sonne scheint. Jaha, das hätten Sie nicht gedacht, nicht wahr? Im Übrigen ist das Verhältnis zwischen Optimismus und Pessimismus nicht so digital wie zum Beispiel zwischen "schwanger" oder "nicht schwanger". Es gibt Schattierungen. Die häufigste Schattierung und am weitesten verbreitet ist – gerade unter Managern – der "vorsichtige Optimismus". Der "vorsichtige Optimist" ist, wenn man so will, "ein bisschen schwanger". BMW-Chef Norbert Reithofer ist so einer. Weil der BMW-Absatz im März "nur" um 20 Prozent (!) unter Vorjahr lag, ist Reithofer "vorsichtig optimistisch", wie am Samstag in der Süddeutschen Zeitung zu lesen war.

"Vorsichtig optimistisch" ist aber nichts anderes als eine besondere Form des Pessimismus. Das ist sozusagen ein "Optimismus mit Rückwärtsgang". Man kann auch von "flexiblem" oder "taktischen Pessimismus" sprechen. Das bedeutet, dass man seine pessimistische Haltung von einer Sekunde auf die nächste über Bord werfen kann, wenn man merkt, dass sie kontraproduktiv wirkt. Dieser Pessimismus also ist zeitlich befristet und darüber hinaus reiner Selbstschutz.

Beste Grüße

Damian Sicking

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