Intel-Geschäftsführer Lamprechter und die Entdeckung der Geschwindigkeit

Intel hat in den vergangenen Jahren einige wichtige Entwicklungen verschlafen. Das will der Gigant jetzt durch ein höheres Tempo wieder wettmachen. Allerdings: Man kann auch schnell in die falsche Richtung laufen.

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Von
  • Damian Sicking

Lieber Christian Lamprechter, Deutschlandchef von Intel,

Intel-Geschäftsführer Christian Lamprechter

(Bild: Intel)

im Zusammenhang mit der Bekanntgabe der Intel-Geschäftszahlen für das dritte Quartal wurden Sie mit folgendem Satz zitiert: "Geschwindigkeit wird jetzt wesentlich höher bewertet als früher." (Handelsblatt vom 17.10.2013) Diese Aussage hat mich schon sehr erstaunt. Denn so wie ich die IT-Branche kenne, hat sie Geschwindigkeit schon immer sehr hoch bewertet. Für meinen Geschmack manchmal sogar zu hoch.

Ich erinnere mich beispielsweise noch gut an eine Zeitschriftenanzeige der IBM vom Dezember 2000 im manager-magazin. Ganz groß im Bild in dieser Anzeige ein IBM-Manager namens Martin Gerhardt – tatsächlich gibt oder gab es bei IBM einen Mitarbeiter dieses Namens –, der diesen Satz sagte: "Geschwindigkeit ist alles." Ich erinnere mich deshalb noch gut an diese Anzeige, weil ich sie zum Anlass genommen hatte, um Herrn Gerhardt von IBM einen Brief zu schreiben und ihn zu fragen, ob er überhaupt wisse, was für einen Unsinn er da rede. Denn natürlich war Geschwindigkeit noch nie alles. In gewissen zärtlichen Augenblicken zwischen Liebenden zum Beispiel kann man als Mann nicht gerade mit großer Begeisterung seiner Partnerin rechnen, wenn man nach dem Motto "Geschwindigkeit ist alles" vorgeht. Auch in manch anderen Situationen ist hohes Tempo kontraproduktiv. Beim Essen zum Beispiel. Haben uns unsere Mütter nicht immer wieder gepredigt, dass wir nicht so schlingen sollen? Wegen des anschließenden Magendrückens und weil's auch schlecht für die Verdauung sei? Oder beim Autofahren: Wer schnell fährt, ist zwar oft früher am Ziel, aber manchmal auch früher auf dem Friedhof.

Nein, Geschwindigkeit ist nicht alles. Sie ist wichtig, zweifellos, und es gibt Situationen, in denen Schnelligkeit entscheidet. Zum Beispiel beim 100-Meter-Rennen. Aber grundsätzlich? Nee, doch eher nicht. Aber es war eine verrückte Zeit damals um die Jahrtausendwende. New Economy, Neuer Markt und so. Da wurde einfach viel Unsinn geredet. Das war ja auch die Zeit, in der es hieß, dass nicht die Großen die Kleinen, sondern die Schnellen die Langsamen fressen. Das war die Zeit, in der man den Eindruck hatte, dass die gesamte IT-Branche auf Speed war.

Und das war ja auch die Zeit, in welcher der Intel-Mitgründer Andy Grove sein berühmtes Buch "Nur die Paranoiden überleben" veröffentlichte. Auch hier ging es um Tempo und Geschwindigkeit. Denn nur wer klüger, geschickter und eben schneller war als seine Verfolger, hatte am Ende die Nase vorn.

"Tempo, Tempo!" war also schon immer ein Leitmotiv der IT-Firmen, auch und gerade von Intel. Insofern wundere ich mich, wie gesagt, ein wenig über Ihre Aussage, lieber Herr Lamprechter. Was Sie und der neue weltweite Intel-Chef Brian Krzanich vermutlich meinen ist: Intel hat sich zu lange auf seinen Lorbeeren ausgeruht und einige wichtige Entwicklungen in der Branche verpasst oder unterschätzt (das Thema Smartphone zum Beispiel). Und daher sagen Sie nun im selben Handelsblatt-Artikel: "Wir wollen keine Marktentwicklungen mehr verschlafen." Diese Aussage kann ich nachvollziehen. Aber mit Geschwindigkeit hat das nichts zu tun.

Trotzdem muss man sagen: Intel ist noch immer eine der erfolgreichsten Companys weltweit. Deshalb sollten Sie es auch nicht übertreiben mit dem Asche-über´s-Haupt-schütten, Herr Lamprechter. Bei einem Umsatz von 13,5 Milliarden Dollar im vergangenen dritten Quartal erzielte Intel unterm Strich einen Überschuss von 2,95 Milliarden Dollar. Das ist eine Umsatzrendite von fast 22 Prozent! Trotzdem überwogen bei den Berichterstattern die Moll-Töne. Man ist halt verwöhnt, und die Erwartungen sind hoch.

Für mich ist Intel mit dem Mann vergleichbar, der, aus kleinen Verhältnissen kommend, etwas aus seinem Leben gemacht hat, etwas Großartiges aufgebaut und ein stattliches Vermögen angesammelt hat. Was ist heute anders als früher? Dieser Mann hat heute einfach viel zu verlieren. Das ist der wesentliche Punkt, in dem der arme Schlucker besser dran ist als der reiche Sack: Der arme Schlucker hat nichts oder viel weniger zu verlieren. Frei nach Janis Joplin: "Freedom's just another word for nothing left to lose" aus ihrem Song "Me and Bobby McGee". Mr. Rich sorgt sich von früh bis spät um sein Vermögen, schlägt sich mit der Frage herum, wie er es vergrößern kann und vor allem, wie er es absichern kann, damit er nicht alles verliert und er nicht am nächsten Tag schon arm ist wie eine Kirchenmaus. Das ist, scheint mir, in etwa die Lage von Intel und anderer erfolgreicher Firmen in der IT-Branche. Und dieser Abstieg, der kann sehr schnell gehen. Womit wir dann wieder beim Thema Geschwindigkeit wären.

Beste Grüße!

Damian Sicking

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