Kann ein guter Verkäufer doch alles verkaufen?

Jeder Vertriebsleiter kennt die Ausrede seiner Mitarbeiter, die mal wieder ohne Abschluss nach Hause kommen: "Das Produkt taugt einfach nichts." Jetzt hat die Wissenschaft festgestellt, dass das einzige, was nicht taugt, diese Ausrede ist.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 3 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Damian Sicking

Klaus Elter, neuer Vertriebschef von Kroll Ontrack

(Bild: Kroll Ontrack)

Lieber Vertriebsleiter Klaus Elter,

ich weiß nicht, ob Sie den amerikanischen Wissenschaftler Alex "Sandy" Pentland kennen, aber gerade Sie als frisch gebackener Vertriebschef von Kroll Ontrack wird seine jüngste These sicher interessieren. Pentland, seines Zeichens Direktor des renommierten MIT Human Dynamics Laboratory in den USA, behauptet, er könne vorhersagen, welcher Kandidat bei einer Präsentation oder einem Verkaufsgespräch Erfolg haben wird und welcher nicht, und zwar ohne den Inhalt der Präsentation oder das betreffende Produkt zu kennen. Also die akademische Form von Paul der Krake (Sie wissen schon, dieser Tintenfisch aus Oberhausen, der die Spielergebnisse der Fußball-WM immer richtig vorausgesagt hat)? Nicht ganz, denn Pentlands Prognosen basieren auf wissenschaftlichen Fundamenten. Behauptet er jedenfalls.

Was nun liegt den Voraussagen des amerikanischen Wissenschaftlers zu Grunde? Dazu ein Beispiel: Pentland und ein Kollege hatten Manager auf einer Party mit einem Gerät ausgestattet, welches ihre Kommunikationssignale aufzeichnete – darunter Tonfall, Gestik, Abstand zu anderen Personen und mehr. Fünf Tage später präsentierten die selben Manager einer Jury verschiedene Geschäftsmodelle. Pentland nun konnte angeblich exakt vorhersagen, wer den Wettbewerb gewinnen würde, und zwar ohne die Vorträge vorher zu kennen, sie zu hören oder zu sehen. Er nutzte für seine Prognose ausschließlich die Daten, die er auf der Party gesammelt hatte. Irre, nicht wahr? (Wer sich tiefer mit den Thesen Pentlands befassen will, der sei auf den Artikel "Wir können die Macht von Charisma messen" in der Juni-Ausgabe der Zeitschrift Harvard Business Manager verwiesen.

Wenn das stimmt, was Pentland behauptet, dann haben wir hier einen schönen wissenschaftlichen Beleg für den engültigen Triumph der Form über den Inhalt im Business. Es kommt nicht darauf an, was man sagt (den Inhalt), sondern welche Show man dabei macht (die Form). Vielleicht hatten Sie ja auch schon mal den Eindruck, dass die Blender und Dampfplauderer sich beim Weg nach oben leichter tun, auch wenn sie wenig Substanz zu bieten haben. Pentland nennt das "Charisma", man kann aber auch von "Theater" oder "Schauspielerei" sprechen. Die Ergebnisse von Pentlands Forschung sind natürlich ein Armutszeugnis für diejenigen Manager in der Jury, welche die Präsentationen zu bewerten hatten. Denn diese fielen ja offenkundig voll auf die Show und das Blendwerk der Vortragenden herein. Wenn das typisch ist für die Beurteilungskompetenz des Managements auch in den deutschen Unternehmen...

Aber wie sagte schon Martin Luther so richtig: "Mundus vult decipi", zu deutsch "Die Welt will betrogen werden". Selbst schuld, kann man da ja nur sagen, wenn mal wieder jemand auf einen Dampfplauderer hereingefallen ist. Wenn die Sache nur nicht so oft dem Unternehmen schaden würde, weil sie zur Neueinstellung oder Beförderung von Nichtskönnern oder zur Genehmigung von Geldvernichtunsgprojekten führen würde!

Lieber Herr Elter, für Sie als Vertriebschef und Ihre Kollegen in anderen Firmen sind die Thesen des amerikanischen Wissenschaftlers natürlich von unschätzbarem Wert. Denn danach kommt es gar nicht so darauf an, was Sie und Ihre Mitarbeiter den Kunden verkaufen, sondern wie Sie es tun. Das sollte dann bei der Verkäuferausbildung unbedingt stärker berücksichtigt werden. Und die oft gehörte Ausrede der VBs, wenn sie ihre Verkaufsziele mal wieder nicht erreicht haben – "Das Produkt taugt einfach nichts" – wird als das entlarvt, was sie wirklich ist: Eine andere Formulierung für "Als Verkäufer bin ich einfach eine Niete".

Lieber Herr Elter, ich betone noch einmal: Das alles gilt nur, WENN oder FALLS die Thesen von Pentland tatsächlich stimmen! Ich muss zugeben, ich glaube noch nicht so richtig daran. Als ich zum ersten Mal davon hörte, dachte ich sogar an einen verspäteten Aprilscherz. Oder noch verrückter: Pentland macht uns zu seinen Versuchsobjekten, indem er uns mit der Innbrunst des Wissenschaftlers und einer tollen Show eine abenteuerliche Geschichte auftischt und nun ganz gespannt abwartet, ob wir sie ihm abkaufen oder nicht.

Beste Grüße

Damian Sicking

Weitere Beiträge von Damian Sicking finden Sie im Speakers Corner auf heise resale ()