Kolumne: Gerade heute auf ausreichend "Vitamin B" achten!

Mit einer deutschen Version macht das Business-Netzwerkportal Linkedin jetzt Jagd auf den Platzhirschen Xing. Doch die Waffen sind zu stumpf. Weltweit 35 Millionen Nutzer sind kein starkes Argument. Für die meisten heißt es: "Deutsch als Fremdsprache".

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Damian Sicking

Lieber Kevin Eyres, Europachef des Xing-Konkurrenten Linkedin,

vor einiger Zeit brachte die renommierte deutsche Wirtschaftszeitung Handelsblatt einen Artikel mt der Überschrift "Warum Netzwerken reich macht". Kern der nicht wirklich überraschenden Botschaft: Wer viele und gute Kontakte ("Amigos"!) innerhalb der Wirtschaft hat, der ist geschäftlich und beruflich erfolgreicher als andere. Wenig später meldete sich auch das Netzwerkportal Xing mit einer ähnlichen Botschaft zu Wort. In seinem Auftrag hatte das Marktforschungsunternehmen Forsa herausgefunden, dass "besser verdienende Führungskräfte in beruflichen Netzwerken deutlich aktiver sind" als weniger gut verdienende. Offen bleibt bei dieser Meldung nur die Kausalbeziehung: Ist ein Manager im Business-Netzwerk wie Xing aktiver, weil er ein höheres Gehalt bekommt oder bekommt er ein höheres Gehalt, weil er im Business-Netzwerk aktiver ist? Oder gibt es hier gar keine Kausalbeziehung? Wenn man das wüsste...

Linkedin-Europachef Kevin Eyres

(Bild: Linkedin)

Auffallend ist, wie viele Menschen sich gegenwärtig zu der Wichtigkeit persönlicher Netzwerke im beruflichen Umfeld äußern. "Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist Networking wichtiger als je zuvor, für das Unternehmen, aber auch für die eigene Karriere", sagt zum Beispiel Gabriele Rittinghaus, Präsidentin des "Elephants Clubs", einem gemeinnützigen Verein, dem zahlreiche Führungskräfte aus der IT-Branche angehören. Diese Entdeckung der Beziehungspflege hat sicherlich mit dem allgemein schlechten Wirtschaftsklima zu tun: Wie man weiß, ist gerade in den kühleren Zeiten eine ausreichende Versorgung mit Vitaminen sehr wichtig, und das wichtigste Vitamin ist in der Wirtschaft heute das "Vitamin B".

Nun wollen auch Sie, lieber Herr Eyres, ein größeres Stück vom Beziehungsportalkuchen in Deutschland haben. Seit Mitte dieser Woche ist Linkedin mit einer deutschen Version vertreten. Dadurch hoffen Sie, die Zahl der Linkedin-Nutzer in Deutschland bis zum Jahresende von aktuell rund 500.000 auf eine Million zu verdoppeln. Mich würde bei dieser Gelegenheit interessieren, lieber Herr Eyres, wie viele Ihrer derzeit 500.000 Nutzer in Deutschland eigentlich "Karteileichen" sind. Ich selbst bin nämlich so eine Leiche. Ich war in dieser Woche völlig überrascht, meinen Namen im Linkedin-Netzwerk zu finden, verbunden mit einer E-Mail-Adresse, die ich schon seit vier oder fünf Jahren nicht mehr habe.

Sowohl Sie als auch Linkedin-Unternehmensgründer Reid Hoffmann betonen derzeit gerne, wie wichtig der deutsche Markt für Sie sei. Das Manager-Magazin zitierte Sie auf seiner Online-Seite sogar mit dem Satz: "Wir werden für viele Unternehmen Überlebensmechanismus sein." Ich habe bis heute keine Ahnung, was das genau heißen soll, nur soviel habe ich verstanden: Sie neigen offenkundig zu Übertreibungen, Herr Eyres!

Ich bin ja sehr gespannt, ob Sie Ihr Ziel erreichen, die Nutzerzahlen binnen eines Jahres zu verdoppeln. Das stärkste Argument, dass Sie für Linkedin ins Felde führen, ist ja Ihr großes weltweites Netz von rund 35 Millionen Kontakten. Dagegen ist ihr deutscher Konkurrent Xing mit sieben Millionen Usern fast ein Zwerg. Aber ich bin skeptisch, dass Ihr Argument wirklich eine scharfe Waffe ist. Warum zum Beispiel soll ich mich mit einem Mike oder John oder Andy in South Dakota, Johannesburg oder Taipeh verlinken? Welchen Nutzen habe ich davon? Und sprechen die überhaupt deutsch? Hm. Meine Meinung ist, dass Sie hier in Deutschland nur dann eine wirkliche Chance haben, wenn Sie entweder preislich deutlich attraktiver sind als Xing (derzeit nicht der Fall) oder wenn Sie substanziell einzigartige Funktionen bieten, welche die User als nützlich empfinden (derzeit ebenfalls nicht der Fall).

Also: Es wird kein Spaziergang. Aber das wäre ja auch langweilig.

Alles Gute und viel Erfolg!

Damian Sicking

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