Kolumne: Mittelmanager können einem leid tun - ihre Mitarbeiter aber auch

Die Unternehmensberatungsgesellschaft Accenture hat Deutschlands Manager aus dem Mittelbau zu ihrem Seelenleben befragt. Die Lektüre der Studienergebnisse rufen vor allem eins hervor: Mitleid!

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Damian Sicking

Lieber Accenture-Geschäftsführer Norbert Büning,

muss man sich um die Angehörigen des Management-Mittelbaus in Deutschland Sorgen machen? Ja, man muss. Zumindest wenn das alles stimmt, was man über deren Seelen- und Gefühlsleben so liest. Gerade haben Sie ein paar Ergebnisse einer aktuellen Studie veröffentlicht, die bei uns in Bezug auf die Mittelmanager vor allem eins auslöst: Mitleid!

Die Mittelmanager stehen aufgrund Ihrer Sandwitchposition ohnehin schon unter starkem Druck. Der Anteil der Mittelmanager an Burnout-Opfern ist hoch. Jetzt, im Zuge der Wirtschaftskrise, kommt es für sie noch dicker: Mehr als die Hälfte der 150 von Ihnen in Deutschland befragten Führungskräfte aus dem Mittelbau befürchten negative Auswirkungen auf ihre Arbeit. Das ist schlimm. Ich meinerseits allerdings befürchte, dass die Mittelmanager damit nicht allein sind, sondern diese Furcht mit vielen zig- oder sogar Hunderttausenden von Arbeitnehmern teilen, vor allem aus der Banken- und Automobilbranche.

Immerhin zwei Fünftel (also 40 Prozent!) der Führungskräfte haben Angst davor, ihren Job zu verlieren. Man sollte ihnen sagen: So wird das nichts mit der Karriere. Denn ist es nicht so, dass die besten Manager diejenigen sind, die jeden Morgen ins Büro gehen und bereit sind, ihren Job aufs Spiel zu setzen? Weil sie mutige und unkonventionelle Dinge tun, weil sie ihren Vorgesetzten nicht nach dem Mund reden, weil sie etwas riskieren. Wenn es nicht klappt – Pech gehabt, aber wenn´s funktioniert ... No risk, no fun. Vielleicht hat ja sogar derjenige die beste Chance, gefeuert zu werden, der davor Angst hat. Kann das sein?

Aus Angst vor dem Jobverlust arbeiten fast 30 Prozent der Studienteilnehmer mehr und deutlich länger als bisher. Glauben Sie, lieber Herr Büning, dass das viel bringt? Ich nicht. Jedenfalls nicht mit Blick auf das Ergebnis. Denn auch bei der Arbeitszeit gilt wie in so vielen Dingen: Es kommt nicht auf die Länge an. Aber auch richtig ist leider: In vielen Betrieben wird das Engagement der Mitarbeiter noch immer an der Dauer ihrer Anwesenheit im Betrieb gemessen: Wer früh kommt und spät geht, erhält von seinem Vorgesetzten ein Fleißkärtchen. Für mich ist das ein Relikt aus dem Industriezeitalter. Es ist einfach veraltet und auch dumm, wenn man Menschen für ihren Hintern bezahlt und nicht für ihren Kopf und meinetwegen auch noch für die Hände. Entscheidend ist das Ergebnis und nicht, wie lange man irgendwas gemacht hat. Qualität schlägt Quantität.

Dass sich viele Mittelmanager wegen der Krise und wegen der Angst vor dem Jobverlust noch mehr anstrengen als früher, spricht nicht für sie. Im Gegenteil. Denn wer sich vor allem deshalb anstrengt, um seinen Job nicht zu verlieren, ist kaum jemand, der für Spitzenpositionen geeignet ist. Der ist wie der Schwimmer, der besonders eifrig trainiert, um nicht abzusaufen, aber nicht, um eine Spitzenleistung zu erzielen (oder weil er einfach gerne schwimmt).

Interessanterweise schreiben Sie, lieber Herr Büning, dass mehr als die Hälfte (55 Prozent) der deutschen Studienteilnehmer angab, dass ihre "Arbeitsmoral" gelitten habe. Ich frage mich: Wieso ist das schlecht? Moral ist auf dem Weg nach oben doch eher hinderlich, oder? Intrigen, an Stühlen sägen, Mobben, sich prostituieren – sind das nicht bewährte karrierefördernde Maßnahmen? Na gut, das war jetzt polemisch, streichen Sie "prostituieren", wenn Sie wollen.

Knapp zwei Drittel der Befragten (64 Prozent) gaben an, unzufrieden oder lediglich einigermaßen zufrieden mit ihrem Job zu sein. Dabei fällt mir spontan der Spruch ein "Love it, change it or leave it". Aber klar, das ist einfach dahergesagt, die Praxis ist komplexer. Zunächst einmal finde ich, dass "einigermaßen zufrieden" gar nicht so schlecht klingt. Wer allerdings mit dem Anspruch ins Büro geht, die Arbeit müsse Spaß machen, für den ist das natürlich zu wenig. Letztlich geht es um Motivation. Wenn alles super läuft, dann stellt sich die Frage nach der Motivation nicht. Erfolg ist der beste Motivator. Was aber passiert mit der Motivation, wenn der Erfolg ausbleibt – obwohl man sich genauso angestrengt hat wie vorher? Dann wird es schwierig. Viele suchen sich dann die Erfolge außerhalb der Firma, zum Beispiel im Sport. Es war sicher kein Zufall, dass nach dem Zusammenbrechen der New Economy so viele Vertriebler anfingen, Marathon zu laufen.

Dass jetzt viele unzufrieden sind, zeigt vielleicht auch Folgendes: Viele Manager üben ihre Tätigkeit nicht primär aus dem Grunde aus, weil sie sie gerne tun, weil sie ihren Talenten und Neigungen entspricht, sondern aus anderen Gründen. Vor allem vielleicht, weil sie hoffen, damit bestimmte Ziele erreichen zu können, wie zum Beispiel ein hohes Gehalt. Sie sind, wie der Psychologe sagt, extrinsisch motiviert. Sie sind also wie der Schwimmer, der aus dem Grund hart trainiert und an sich arbeitet, um die Meisterschaft zu gewinnen, aber nicht, weil er gerne schwimmt. Wer gerne schwimmt, der tut dies auch, wenn die Erfolge ausbleiben, wenn er – etwa aus Altersgründen – keine Olympiamedaille mehr holen kann. Was einmal interessant wäre zu erfahren: Wie viele der Manager da draußen im Lande tun das eigentlich gerne, was sie tun und was sie zu tun haben? Menschen führen vor allem. Anhand der Ergebnisse, die Accenture uns jetzt wieder gegeben hat, sehe ich in dieser Hinsicht ziemlich schwarz. Und jetzt tun mir plötzlich gar nicht mehr in erster Linie die Mittelmanager leid, sondern deren Mitarbeiter.

Beste Grüße

Damian Sicking

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