Kolumne: Über USPs und den amerikanischen Schwimmstar Michael Phelps

Jedes Unternehmen ist auf der Suche nach seinem "Unique Selling Point" (USP), dem "Alleinstellungsmerkmal", was es von allen anderen Konkurrenten unterscheidet. Heise-resale-Kolumnist Damian Sicking behauptet, dass es den USP gar nicht gibt.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Damian Sicking

US-Schwimmstar und Nationalheld Michael Phelps

(Bild: Time Magazin)

Lieber USP,

jedes Unternehmen will dich haben, und alle machen ein furchtbares Gewese um dich. Mindestens einmal im Jahr wird in den Strategiemeetings im ganzen Land die Frage diskutiert, ob man dich noch hat und worin du genau bestehst und ob du als Wettbewerbsvorteil taugst. Börsen- und andere Analysten, Finanzinvestoren, Journalisten und Gäste auf Stehpartys quälen Manager gerne mit der Frage nach dir, und wenn einem dann nichts einfällt, hat man schlechte Karten. Ja, lieber USP, du kannst einen ganz schön stressen.

Nachdem ich mich jetzt bereits viele Jahre mit dir beschäftigt und oft nach dir gesucht habe, tendiere ich mehr und mehr zu der Überzeugung, dass es dich gar nicht gibt. Denn das "U" in deinem Namen ist die Abkürzung für "Unique", und wenn man dieses Wort genaunimmt, stellt sich die Frage, welches Unternehmen etwas wirklich Einzigartiges macht. Im Deutschen spricht man von "Alleinstellungsmerkmal", und das ist ja per definitionem ("allein") etwas, was man kein zweites Mal findet. Wo gibt es so ein Unternehmen?

Daher kann man heute von "USP" und "Alleinstellungsmerkmal" sinnvollerweise nicht mehr reden. Wenn man zum Beispiel vier Unternehmen nimmt, die im Wesentlichen haarscharf dasselbe tun und daher im direkten Konkurrenzverhältnis zueinander stehen – beispielsweise die Distributoren Ingram Micro, Actebis, Tech Data und Also –, dann wird die Frage nach dem USP sehr schnell lächerlich. Die einzig wirklich sinnvolle Antwort auf die Frage nach dem Alleinstellungsmerkmal im Vergleich zu den Konkurrenten lautet: "Ich bin besser."

Sicher noch gut in Erinnerung ist der amerikanische Schwimmer Michael Phelps. Er hat bei den Olympischen Spielen in Peking etwas geschafft, was vor ihm noch keiner geschafft hat: Er hat acht Goldmedaillen gewonnen. Das ist eine Medaille mehr als die Schwimmlegende Mark Spitz bei Olympia 1972 in München. Was ist nun das Besondere an Michael Phelps, was ist sein Alleinstellungsmerkmal, sein USP? Die Antwort ist einfach: Phelps kann besonders gut und schnell schwimmen. Aber auch die anderen Schwimmer, die in Peking gegen ihn antraten, konnten besonders gut und schnell schwimmen, viel besser und schneller als der große Rest der Menschheit. Der wesentliche Unterschied zwischen ihnen und Michael Phelps bestand schlicht und ergreifend darin, dass Phelps besser war.

Wie unsinnig die Frage nach dem USP ist, wird dann deutlich, wenn man nicht den Ersten, sondern den Zweiten, beispielsweise den Silbermedailliengewinner über 100 Meter Kraul, fragt, worin sein Alleinstellungsmerkmal in Bezug auf Olympiasieger Michael Phelps besteht. Der kann bei dieser Frage nur schnellstmöglich wieder abtauchen.

Sinnvoll reden kann man nur von Kompetenzen und Kernkompetenzen, also über die Frage, was ein Unternehmen besonders gut kann. Da kann man beispielsweise antworten "klasse ERP-Software entwickeln" (SAP) oder "schnelle Autos bauen" (Porsche). Ein Distributor würde etwa Folgendes sagen: "Wir sind gut darin, das logistische Verbindungsglied zwischen den verschiedenen IT-Herstellern und den Einzelhändlern zu sein." Darin unterscheidet sich ein Distributor von einem Hersteller, einem Speditionsunternehmen und anderen Firmen. Aber es ist unsinnig, einen Distributor zu fragen, worin sein Alleinstellungsmerkmal im Vergleich zu einem direkten Konkurrenten besteht. Alle Broadline-Distributoren nehmen, um im Bild zu sprechen, an demselben Wettbewerb über 100 Meter Freistil teil. Der Unterschied zwischen den Distis besteht lediglich darin, dass der eine "schneller schwimmt als der andere".

So sehe ich es jedenfalls. Andere mögen es anders sehen.

Beste Grüße

Damian Sicking

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