Kündigung: Alter vor Kinderzahl?

Das Landesarbeitsgericht Köln hatte zu entscheiden, wen eine Kündigung härter trifft: einen Mitarbeiter, der zwei Kinder ernähren muss oder einen Single, der schon älter ist.

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Von
  • Marzena Sicking

Muss ein Arbeitgeber aus betriebsbedingten Gründen Mitarbeitern kündigen, so ist er laut Kündigungsschutzgesetz dazu verpflichtet, auch die sozialen Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Diese sogenannte "Sozialauswahl“ hat nach §1 Absatz 3 des Kündigungsschutzgesetzes zu erfolgen.

Dieser Paragraph besagt, dass der Arbeitgeber bei einer betriebsbedingten Kündigung die betroffenen Arbeitnehmer unter Berücksichtigung von Betriebszugehörigkeitszeit, Lebensalter und Unterhaltspflichten auswählen muss. Diese Kriterien sollen ausgewogen berücksichtigt und zugleich auch individuelle Besonderheiten beachtet werden. Zu den individuellen Besonderheiten können beispielsweise eine Schwerbehinderung, Berufskrankheiten oder auch schlechte Arbeitsmarktchancen zählen.

Eine schwierige Aufgabe, die viele Firmen zu meistern versuchen, in dem sie mit dem Betriebsrat eine Art Punktesystem erarbeiten. Dies ist laut Bundesarbeitsgericht auch zulässig (18.01.1990, Az: 2 AZR 357/89). Doch weil der Gesetzgeber nicht deutlich genug vorgibt, wie die Kriterien im einzelnen zu gewichten sind, bleibt eine solche Kündigung auch unter Berücksichtigung der Sozialauswahl schwierig.

So auch in dem Fall, den das Landesarbeitsgericht Köln zu entscheiden hatte. Die Frage war, welchem von zwei vergleichbaren Arbeitnehmern bei Wegfall eines Arbeitsplatzes unter sozialen Gesichtspunkten gekündigt werden kann.

Der Fall betraf zwei etwa gleich lang beschäftigte verheiratete Führungskräfte in der Metallverarbeitung, von denen der eine 35 Jahre alt war und zwei Kinder hatte, der andere 53 Jahre alt und kinderlos. Beide hatten eine Führungsposition inne, einer der Posten fiel durch das Zusammenlegen der beiden Abteilungen weg.

Der Arbeitgeber hatte dem Unterhalt für die Familie eine größere Gewichtung beigemessen und dem 53-Jährigen gekündigt, dieser wehrte sich dagegen vor Gericht. Als Argument brachte er unter anderem ein, dass der jüngere Kollege schon in einem jungen Alter eine Führungsposition inne gehabt habe, was ihm bei Bewerbungen einen klaren Vorteil verschaffen würde. Er selbst sei hingegen praktisch am Ende seines Berufslebens angelangt, aber noch nicht in der Nähe des Rentenalters. Seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt seien schlecht und deshalb müsse sein Alter bei der Gewichtung deutlich stärker berücksichtigt werden. Auch hätte man bei der Sozialauswahl noch zwei weitere Kollegen berücksichtigen müssen, die in vergleichbaren Positionen seien. Dies sei aber nicht geschehen.

Tatsächlich gab das Gericht seiner Klage statt. Es bestätigte, dass die Kündigung des älteren Arbeitnehmers unwirksam war, weil der jüngere Arbeitnehmer im Gegensatz zum älteren viel bessere Chancen hatte, alsbald eine neue Arbeit zu finden, sodass mit hoher Wahrscheinlichkeit seine Unterhaltspflichten für die Kinder gar nicht beeinträchtigt gewesen wären (Urteil vom 18.02.2011, Az.: 4 Sa 1122/10).

Doch das war nicht der einzige Grund: Auch bemängelte das Gericht, dass der Arbeitgeber nicht konkret genug dargelegt habe, warum es zu dieser betriebsbedingten Kündigung kommen musste. So habe der Arbeitgeber seine Entscheidung hinsichtlich der organisatorischen Durchführung und Nachhaltigkeit genau zu belegen. Unter anderem, sei nicht nur die Begründung ("Wegfall der Hierarchieebene"), sondern auch eine Prognose zur künftigen Entwicklung und Wegfall der Arbeitsmenge erstellt werden. Der Sinn dieser erhöhten Darlegungsanforderungen bestehe auch darin, einen Missbrauch des Kündigungsrechts auszuschließen.

Wer betriebsbedingte Kündigungen aussprechen will, hat also nicht nur das Problem, dass er bei der Sozialauswahl selbst eine Gewichtung vornehmen muss, die das Gericht dann vielleicht kippt. Er muss auch bei der Begründung der Kündigung sehr sorgfältig vorgehen. Dieser Aufgabe sind nur die wenigsten Arbeitgeber gewachsen. Die meisten betriebsbedingten Kündigungen sind daher vor Gericht angreifbar. (Marzena Sicking) / (map)
(masi)