Liebe Psychopathen in Nadelstreifen...

Die Psychopathen sitzen in Deutschland nicht nur in den Gefängniszellen, sondern auch in den Chefbüros unserer Unternehmen. Es sind mehr, als man denkt. Und sie sind gefährlich.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Damian Sicking

Lesestoff für Psychopatenopfer

Liebe Psychopathen in Nadelstreifen,

heute muss ich mir unbedingt die neue Ausgabe der Zeitschrift P.M.-Magazin kaufen. Denn darin erscheint ein Artikel über Sie. Die Ankündigung klingt jedenfalls sehr vielversprechend. In Deutschland leben danach rund eine Million Psychopathen. Nicht alle sitzen im Gegefägnis. Viele sitzen in Chefsesseln unserer Firmen. Seriöse Untersuchungen schätzen, dass etwa jeder 30. Chef ein Persönlichkeitsprofil aufweist, das ein psychologischer Test als pathologisch klassifizieren würde. Die amerikanischen Psychologen Paul Babiak und Robert D. Hare, Autoren des Buches "Menschenschinder oder Manager. Psychopathen bei der Arbeit" behaupten sogar, dass fast jeder zehnte Spitzenmanager in den USA einer von dieser Sorte sei. Der Hirnforscher Niels Birbaumer aus Tübingen weiß, warum es für die Psychopathen so reizvoll ist, an die Spitze der Unternehmen zu kommen: "Hier finden sie alles, was sie interessiert: Geld, Macht, Kontrolle über andere Menschen", sagt er.

Was sind Psychopathen und woran erkennt man sie? Zunächst einmal sind diese Leute nicht zu verwechseln mit Tyrannen, und sie sind auch keine bloßen Egomanen und Narzisten, die alle ebenfalls häufig in den Teppichetagen unserer Wirtschaftsunternehmen anzutreffen sind. Es gibt hier durchaus auch Überschneidungen. Aber die Psychopathen, das sind die Schlimmsten und Gefährlichsten.

Hirnforscher Birnbaumer behauptet sogar, dass der einzige Unterschied zwischen einem Schwerverbrecher und einem psychopathischen Chef im unterschiedlichen Intelligenzquotienten liegt. Letzterer sei nicht weniger gewissenlos, manipulativ oder kalt als ein durchgeknallter Serienkiller, sagt Birnbaumer, jedoch zu schlau, um sich in allzu große Gefahr zu begeben – oder sich erwischen zu lassen.

Dummerweise sind Psychopathen für den Laien schwer zu erkennen, zumindest wenn man nicht längere Zeit mit ihnen zu tun hat. Dem US-Psychologen Hare zufolge sind sie charmant wie George Clooney, verlogen wie Pinocchio, betrügerisch wie Bernard Madoff, selbstherrlich wie Josef Stalin, aufbrausend wie Adolf Hitler und sexuell untreu wie Giacomo Casanova. Und sie sind nicht dazu in der Lage, Reue oder Mitgefühl mit anderen Menschen zu empfinden. Der Managementberater und Autor Reinhard Sprenger (u.a. "Mythos Motivation") schrieb in einem Handelsblatt-Artikel unter der Überschrift "Ist Ihr Chef ein Psychopath?" (27.1.2006): "Psychopathen scheinen mutig – in Wirklichkeit kommt nach ihnen die Sintflut. Sie konfrontieren klar – in Wirklichkeit bedeuten Menschen ihnen nichts. Sie scheinen zielorientiert – tatsächlich zählt nur ihr eigener Erfolg. Sie scheinen selbstbewusst – in Wahrheit sind sie selbstverliebt und grandios ("Ich kann alles!"). Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Psychopathen mögen gute Schauspieler sein, auf Dauer aber zeigen sie ihr wahres Gesicht. Jeder, der mit so einem Kerl über einen längeren Zeitraum zusammen arbeitet, erkennt früher oder später, dass er mit einem Monster zusammen arbeitet.

Nun kommen Psychopathen nicht als Manager und Chef auf die Welt. Sie fangen wie wir alle unten an und machen dann recht schnell Karriere. "Psychopathen wollen siegen. Um jeden Preis. Und genau dieses `Siegen um jeden Preis´ ist das, was diese Leute so attraktiv in den Augen der Geldgeber macht", sagt Management-Experte Sprenger. Aber trotzdem sind psychopathische Chefs für die Firmen schlecht und gefährlich. Noch einmal Sprenger: "Kurzfristige Erfolge werden mit langfristigen Schäden bezahlt. Denn Psychopathen in Nadelstreifen sind Selbstoptimierer. Sie unterstützen nie die Leistung anderer, sie fördern nur ihre eigenen Talente". Sie vergiften das Klima in den Unternehmen und vertreiben gute Mitarbeiter aus dem Haus. Denn in ihrer Umgebung bleibt nur, wer keine Alternativen hat. So lautet denn auch das einzige Rezept, das die amerikanischen Psychologen Hare und Babiak für den Umgang mit Psychopathen haben: "Halte dich von ihnen fern." Ihr deutscher Kollege Sprenger sieht das genauso: "Ein solcher Chef kann Sie Ihre Karriere kosten. Wenigstens aber Ihre seelische Gesundheit. Wenn Sie keine Aufgabe außerhalb seiner Reichweite finden, sollten Sie Ihren Ausstieg planen. Das Leben ist zu kurz, um es von jemandem zerstören zu lassen, der unglücklich mit seinem eigenen ist.“

Da unter Fachleuten die Skepsis groß ist, dass psychopathologisches Verhalten bei erwachsenen Menschen therapier- und veränderbar ist, kommt in den Betrieben der Personalauswahl eine besonders wichtige Bedeutung zu. Es ist gut, dass das Problem der Psychopathen in Chefpositionen durch Veröffentlichungen in Zeitschriften und Büchern mehr und mehr ins Bewusstsein rückt. Denn je mehr die Personalabteilungen, Personalberater und alle Manager, die andere zu Managern befördern, über dieses Thema wissen, desto größer ist die Chance, dass Psychopathen in den Unternehmen enttarnt und entfernt werden. Am besten, bevor sie Karriere machen.

Beste Grüße!

Damian Sicking

Weitere Beiträge von Damian Sicking finden Sie im Speakers Corner auf heise resale ()