Märchenstunde Cloud Computing

Das Marktforschungsinstitut Experton Group stellt die erste deutschlandweite Studie vor, die überprüft, welche Unternehmen Cloud Computing in welcher Qualität, in welchem Umfang und für welche Einsatzzwecke anbieten. Es zeigt sich, dass bisher eher selektive Angebote den Markt bestimmten – und dass die Marketing-Versprechen einiger Anbieter eher ins Reich der Fabel zu verweisen sind und mit der realen Welt wenig zu tun haben.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Matthias Parbel
Inhaltsverzeichnis

Microsoft und IBM setzen alles auf die Karte Cloud. Den Hardware-Herstellern HP und FTS fehlt es noch an einer stringenten Cloud-Strategie.

(Bild: Experton)

"Cloud ist kein Hype", betont Dr. Carlo Velten, Senior Advisor bei der Experton Group. Cloud Computing ist ein weiterer Evolutionsschritt hin zur Industrialisierung der IT, vergleichbar mit der Dampfmaschine. Nichtsdestotrotz ist das Ergebnis der erste Studie, die die Angebote von elf etablierten Anbietern von Cloud-Services unter die Lupe nimmt, ernüchternd. "Die Angebote einiger Cloud-Provider gleichen eher Potemkinschen Dörfern", moniert Steve Janata, Senior Advisor, Experton Group. Deren Marketing-Aussagen wichen ganz gravierend von der Realität ab.

"Cloud ist kein Hype", Dr. Carlo Velten, Senior Advisor, Experton

(Bild: Experton)

Die Studie "Cloud Vendor Benchmark 2010" konstatiert: Cloud Computing bringt seinen Nutzern sowohl Kostenvorteile als auch mehr Investitionsspielraum und damit verbesserte Marktchancen durch größere Agilität: Indem IT-Ressourcen wie CPU oder Speicher schneller bereit stehen, Anwendungen schneller am Markt sind, die Kunden bei der Auswahl von IT-Ressourcen und Entwicklungstools flexibler sind und der Administrationsaufwand geringer wird.

Obwohl der Markt noch jung ist, stehen bereits eine Vielzahl an verschiedenen Anwendungsszenarien und Lösungen zur Verfügung. Allerdings schaffen es die Anbieter nicht, sich eindeutig und klar zu positionieren – somit sind sie untereinander nur schwer vergleichbar. Der Markt bleibt damit unübersichtlich und intransparent und der Kunde tut sich schwer, die richtige Wahl bei der Entscheidung für einen Cloud Computing-Anbieter zu treffen.

Die Teilnehmer der Experton-Studie sollten mit ihren Services den aktuellen Markt der Cloud-Angebote abbilden. Dazu mussten die Unternehmen eine gewisse Marktrelevanz aufweisen. Um den Aufwand in Grenzen zu halten, beschränkten sich die Marktforscher auf elf Unternehmen. Kleinere Anbieter und Startups, die den Markt durchaus prüfen, fielen dabei leider durchs Raster. Ins Feld geschafft haben es folgende Firmen:

  • Amazon Web Services
  • Geschäftskundensegment der Deutsche Telekom (DTGK)
  • Fujitsu Technology Solutions
  • Google
  • Hewlett-Packard
  • IBM
  • Microsoft
  • Nionex
  • Pironet
  • Salesforce.com
  • T-Systems

Die Studie berücksichtigt strategische, technologische und produktspezifische Kriterien bei der Beurteilung der Angebote. Sie wurden in Bezug gesetzt zu den lokalen Gegebenheiten, also den gesetzlichen und steuerlichen Anforderungen. Eine wichtige Rolle spielte auch das Kundensegment, für das die Leistungen geeignet sind: Es wurde untersucht, wer kleine Unternehmen, Mittelstand, Großunternehmen und Developer ideal bedienen kann. Die Cloud-Typologie (Public, Private, Hybrid Cloud) spielte ebenso eine Rolle wie das Leistungsspektrum der einzelnen Cloud-Provider, das sich aus Infrastruktur-as-a-Service (IaaS), Platform-as-a-Service (PaaS) sowie Software-as-a-Service (SaaS) zusammensetzt.

Um als Cloud-Service zu gelten, mussten per Definition von Experton die Dienstleistungen folgende Kriterien erfüllen:

  • Bereitstellung der Dienste im Self-Service-Modell
  • orts- und geräteunabhängiger Zugriff über IP-Netze
  • dynamisches Kapazitätsmanagement für hohe Skalierung
  • nutzungsabhängige Bezahlung
  • abstrahierte, virtualisierte Infrastruktur für standardisierte Auslieferung

Unternehmen verschiedener Größe und Ausrichtung benötigen auch verschiedene Angebote. Die allerdings kann derzeit kaum ein Provider alle aus einer Hand bieten und damit die ganze Bandbreite an Anwendungsszenarien abdecken. Die Konsequenz aus diesem Manko: Es kristallisieren sich Anbieter heraus, die mit ihren Services mehr für KMUs geeignet sind, andere wiederum eher für ISVs oder Großkonzerne.

Nischenanbieter wie Pironet punkten mit gut lokalisierten, auf die Zielgruppe zugeschnittenen Lösungen.

(Bild: Experton)

Nur fünf der elf untersuchten Hersteller bieten sogenannte "Public Cloud-Services" an, das also, was man sich landläufig unter Cloud vorstellt: Die Kunden können die Dienste ohne Zugangsbeschränkung flexibel über das Internet nutzen – also Einloggen, Dienst beziehen, zahlen. Vier davon sind US-Unternehmen: Amazon, Microsoft, Google und Salesforce. Wobei Amazon als Pionier, der seit über acht Jahren im Markt agiert, das breiteste und attraktivste Angebot hat. Microsoft, bis vor nicht allzu langer Zeit noch im Dornröschenschlaf, hat im letzten Jahr massiv aufgeholt und treibt seine Cloud-Strategie aggressiv voran.

Einer der wenigen deutschen Anbieter in diesem Segment ist die Bertelsmann-Tochter Nionex, die mit klar strukturierten IaaS-Angeboten eine attraktive Alternative bietet und mit Transparenz und deutschen Rechenzentren überzeugt.

Kleine Unternehmen nutzen in der Cloud primär Software-as-a-Service und sind mit diesen Anforderungen bei DTGK, Microsoft und Google gut aufgehoben, die jeweils ein breites Portfolio abdecken. Typische "Cloud Companies" sind nach Einschätzung von Experton zudem Entwickler, Startups und professionelle ISVs, die effektive Anwendungsentwicklung betreiben und zu geringen Kosten Rechenzeit – also eine Betriebsplattform – von den Cloud-Providern wollen. Sie sind gut bedient mit Amazon, Google oder Salesforce – zunehmend bieten dies aber auch Microsoft mit seiner Plattform Azure sowie IBM.

Anwendungsszenarien für Cloud Computing

(Bild: Experton)

Der Mittelstand hat deutlich breitere Anforderungen an Cloud-Anbieter und deren Leistungen. Reine Infrastruktur- und Plattformangebote im Public-Modus decken nur einen Teil ihrer Bedürfnisse ab. Kriterium ist hier die Kombination aus SaaS und IaaS-Services, beispielsweise für die Entwicklung und den Betrieb von Webanwendungen sowie Storage- und Back-Up-Services. Gut positioniert sind hier Microsoft und IBM, die zudem als bekannte Keyplayer im IT-Markt auch über den notwendigen Vertrauensvorschuss im Mittelstand verfügen. Gut im Rennen liegen aber auch deutsche Anbieter wie DTGK mit zusätzlichen Telco-Cloud-Services und Pironet mit lokalisierten, auf die Zielgruppe zugeschnittenen Lösungen. Die typischen US-Cloud-Anbieter Google, Amazon und Salesforce haben im Mittelstand hierzulande das Nachsehen, denn diese Firmenkunden verlangen verfügbare Ansprechpartner, transparente Abläufe und lokale Rechenzentren – und Vertrauen in den Provider.

Großunternehmen mit mehr als 1000 PCs benötigen ein breites und voll integriertes Portfolio, das IaaS und PaaS aus einer Hand kombiniert – und dies am besten noch in allen drei Varianten als Public, Private und Hybrid Cloud. Hier spielen die namhaften IT-Service Provider ihre Erfahrung und technologischen Kompetenzen aus: IBM und T-Systems sind stark mit hochgradig skalierbaren und individuell anpassbaren Lösungen für Private Clouds. Amazon, Google oder Salesforce müssen bei den Anforderungen für große Unternehmen (Еnterprise-Class-Cloud Computing) noch passen.

Die Server-Hersteller wie Hewlett-Packard, Fujitsu Technology Solutions oder IBM geraten in der Cloud-Diskussion in eine Zwickmühle. "Wenn Server-Hersteller selbst Cloud-Services anbieten, sind sie einerseits Lieferant und gleichzeitig aber auch Mitbewerber anderer Cloud-Provider", erklärt Velten. Diese Gratwanderung wird nicht einfach werden. In der Tat haben etwa HP und FTS keine wahrnehmbare, stringente Cloud-Strategie vorzuweisen und agieren eher zaghaft in diesem Umfeld. Vor allem HP, ein Hersteller, der marketing-technisch die Dienstleistungen via Cloud sehr stark in den Vordergrund rückt, muss sich hier eine Rüge gefallen lassen: Viel Cloud hat das Unternehmen bei genauerem Hinsehen nämlich nicht anzubieten.

Die Innovatoren des Cloud Computings stammen aus den USA. Daraus ergibt sich jedoch auch, dass deren Cloud-Services an deutsche Marktgegebenheiten, an gesetzliche und rechtliche Vorgaben bislang eher ungenügend angepasst sind. Der gesamte Markt ist hinsichtlich Struktur und Gestaltung vertraglicher und rechtlicher Aspekte generell noch mit vielen Herausforderungen konfrontiert. Vor allem da bei den Anwendern noch kein großer Erfahrungsschatz mit dieser Dienstleistung vorhanden ist. Eine deutsche Fassung von SLAs (Service Level Agreements) beispielsweise ist für die meisten Kunden lebensnotwendig, die Preisgestaltung in Euro wünschenswert.

Einheimische Anbieter bieten ihren deutschen Kunden klare Vorteile: Sie liefern Produktinformationen und rechtliche Konditionen in der Landessprache und nach lokalem Recht. Idealerweise verfügen sie auch über Rechenzentren an Standorten im Land – bei steuerrelevanten Daten in Deutschland ist dies sogar eine bindende Vorgabe.

Es stehen noch viele Herausforderungen hinsichtlich Struktur und Gestaltung vertraglicher Aspekte in der Cloud an.

(Bild: Experton)

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