Nemetschek AG: Wie sich Aufsichtsratschef Kurt Dobitsch unbeliebt macht

Wenn im Sandkasten kein Kind mit Peter (oder Kurt) spielen will und alle Reißaus nehmen, wenn er kommt, dann liegt das vermutlich nicht daran, dass die anderen alle so doof sind. Sondern dann liegt das vielleicht an Peter (oder Kurt). Und jetzt ersetzen Sie "Sandkasten" durch "Nemetschek".

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Von
  • Damian Sicking

Lieber Kurt Dobitsch,

Sie waren einer meiner Helden in den 90er Jahren. Als Vertriebschef der Compaq GmbH und anschließend als deren Geschäftsführer waren Sie der weiße Ritter, der mit vollem Einsatz für den indirekten Vertrieb und gegen seine Feinde kämpfte. Als irgendwann aus dem amerikanischen Compaq-Headquarter die Anweisung kam, die Vertriebsstrategie zu ändern und mehr Direktgeschäft zu machen, zogen Sie die Konsequenz, stiegen vom Pferd und kündigten. So jedenfalls wurde es damals erzählt, und Sie sahen keine Notwendigkeit, diesen Gerüchten zu widersprechen. Legendär auch ihre Formel von damals zur Aufgabenverteilung zwischen Industrie und Handel: "Die Hersteller sollen herstellen, und der Handel soll handeln.“ Ach ja, das waren noch Zeiten damals. Ich habe noch eine alte Visitenkarte von Ihnen gefunden:

Eine der ältesten Visitenkarten aus der Sammlung von heise-resale-Kolumnist Damian Sicking.

Nach Ihrem Abschied von Compaq blieben Sie der Branche als Business Angel erhalten. Zudem übernahmen Sie verschiedene Aufsichtsratsmandate, unter anderem bei Bechtle, United Internet und Nemetschek. Womit wir beim Thema und dem Anlass für dieses Schreiben wären. Was ist los bei Nemetschek?

Wenn man von draußen auf die Firma draufguckt, ist alles super. Die Geschäfte entwickeln sich seit Jahren gut, die Aktien sind gefragt, und jetzt steigt das Unternehmen auch noch in den TecDax auf. Was will man mehr?

Tja, was will man mehr? Die Frage gebe ich jetzt mal so an Sie weiter, lieber Herr Dobitsch. Denn Sie wollen offensichtlich mehr. Sie sind unzufrieden mit der Entwicklung des Unternehmens und der Leistung der Mannschaft, in erster Linie der Leistung der Führungsmannschaft. Deshalb nerven Sie. So empfinden es zumindest die Top-Manager bei Nemetschek und ziehen daraus ihre Konsequenzen. Das heißt vor allem: Sie kündigen. Wie zum Beispiel ganz aktuell Alleinvorstand Tanja Tamara Dreilich. Dreilich war erst im März vergangenen Jahres als Finanzvorstand zu dem Münchener Softwareunternehmen gekommen und bildete mit Vorstandsprecher Tim Alexander Lüdke eine Doppelspitze. Nicht lange allerdings, denn im Oktober 2012 kündigte Lüdke seinen Vertrag und schied aus dem Unternehmen aus. Er war ebenfalls nur ein Jahr bei Nemetschek angestellt. Auch in seinem Fall gab es offensichtlich erhebliche Differenzen mit dem Aufsichtsrat. Gleiches gilt für Lüdkes Vorgänger Ernst Homolka, der im Herbst 2011 die Brocken hinwarf, ebenfalls wegen Differenzen mit dem Aufsichtsrat. Doch damit nicht genug: Nach Recherchen des Handelsblatts haben in den vergangenen zwei Jahren mehr als zehn leitende Mitarbeiter dem Unternehmen Nemetschek den Rücken gekehrt. Grund angeblich in vielen Fällen: Sie fühlten sich vom Aufsichtsrat drangsaliert.

Im aktuellen Fall von Tanja Dreilich wird reichlich schmutzige Wäsche gewaschen, auch öffentlich. "Ungeachtet der erfolgreichen Entwicklung der Gesellschaft sowie der sich abzeichnenden Erfolge im laufenden Geschäftsjahr gibt es unüberbrückbare Differenzen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, die einer Fortsetzung meiner Tätigkeit entgegenstehen", begründet Dreilich ihre Kündigung (fast dieselbe Formulierung hatte übrigens ihr Vorvorgänger Homolka bei seiner "Verabschiedung" benutzt). Während Dreilich noch versucht, diplomatisch zu formulieren, nehmen Sie, lieber Herr Dobitsch, kein Blatt vor den Mund: "Es hat sich gezeigt, dass Frau Dreilich nicht in der Lage war, den Job auszufüllen", werden Sie im Handelsblatt zitiert. Dreilich sei, so Ihr Vorwurf, "chronisch untätig" gewesen.

Nemetschek habe ganz klar ein Führungsdefizit, sagen Sie. Offensichtlich haben Sie aber nicht nur ein Defizit im Management, sondern in der gesamten Belegschaft festgestellt, und das schon seit längerer Zeit. So zitiert ebenfalls das Handelsblatt in der Print-Ausgabe vom 11. September 2013 aus einer E-Mail, die Sie am 1. Mai 2012 an einen Vorstand geschrieben hatten. Darin beschweren Sie sich, dass es bei der Nemetschek-Tochter Allplan "420 Leute (gibt), die einen unakzeptablen schlechten Job machen und sich ohne Ethik und Moral aus den Firmenkassen bedienen, ohne wirklich etwas zu leisten." 420 Allplan-Mitarbeiter – das sind praktisch alle! Herr Dobitsch, jetzt muss ich mal fragen: Hatten Sie am Vorabend des 1. Mai 2012 zu viel gefeiert und und getanzt und litten beim Verfassen der E-Mail unter einem schweren Kater mit erheblichen Restalkoholvorkommen im Blut? Anders kann ich mir kaum erklären, wie man eine komplette Belegschaft so runtermachen und beleidigen kann.

Kein Wunder, dass Nemetschek-Mitarbeiter das wesentliche Personalproblem nicht in den eigenen Reihen, sondern im Kontrollgremium sehen. "Es gibt ein Defizit, aber das ist im Aufsichtsrat", wird eine ehemalige hohe Führungskraft im Handelsblatt zitiert. Sie wirft Ihnen vor, Mitarbeiter zu drangsalieren und absurde Aufträge zu verteilen. Die Firma verliere einen Manager nach dem anderen, "weil keiner so einen Wahnsinn aushält". Harter Tobak. Klar, dass Sie sich gegen solche Vorwürfe zur Wehr setzen. "Es ist doch einem Aufsichtsrat wohl erlaubt, etwas zu kritisieren", sagen Sie. "Es läuft eben sehr schlecht", fügen Sie hinzu.

Wie bitte? Es läuft schlecht bei Nemetschek? Wie definieren Sie "schlecht" , lieber Herr Dobitsch? Oder besser noch: "sehr schlecht"? Ist es denn nicht so, dass sämtliche betriebswirtschaftlichen Kennzahlen im ersten Halbjahr 2013 positiv sind? Ist nicht der Nettogewinn sogar um 21 Prozent gestiegen? Und hat sich der Aktienkurs innerhalb des letzten Jahres nicht sehr erfreulich entwickelt und zwischenzeitlich ein Niveau erreicht wie seit 2003 nicht mehr? Und dann der Aufstieg in den TecDax! Das alles ist doch sehr erfreulich. (Okay, ein Umsatzwachstum von fünf Prozent kann gut oder schlecht sein, je nachdem wie sich das Umfeld entwickelt hat; wenn alle Konkurrenten um 20 Prozent wachsen konnten, sind fünf Prozent natürlich unbefriedigend; aber ist das im Fall von Nemetschek so?) Ich hätte eher erwartet, dass bei Nemetschek in München die Sektkorken knallen und die Stimmung auf einem Höhepunkt ist. Aber das Gegenteil ist der Fall. Wie schade, vor allem für die Mitarbeiter.

Lieber Herr Dobitsch, natürlich ist mir klar, dass das Verhältnis zwischen Management, vor allem dem Vorstand, und dem Aufsichtsrat eines Unternehmens oftmals nicht ganz einfach ist. Das liegt in der Natur der Sache. Der Aufsichtsrat hat – daher der Name – den Vorstand zu beaufsichtigen. Viele Vorstände mögen das nicht, auch das kann ich verstehen. Vor allem wenn sich die Mitglieder des Kontrollgremiums ständig ins operative Tagesgeschäft einmischen oder permanent Informationen über dieses und jenes verlangen, kann dies einem Vorstand schon mal gehörig auf den Wecker gehen. Auf der anderen Seite hat der Aufsichtsrat natürlich auch die Pflicht, sich schlau zu machen und bei wichtigen Fragen seine Meinung deutlich zu vertreten. Schwierig.

Als Außenstehender kenne ich das Unternehmen Nemetschek und seine (Führungs-) Kultur zu wenig, um bewerten zu können, wer hier vielleicht zu empfindlich ist und wer vielleicht zu aufdringlich. Sie selbst sind ja der Ansicht, alles richtig gemacht zu haben. Oder fast alles. Der einzige Fehler, den Sie zugeben, ist der, die falschen Leute eingestellt zu haben. Wie auch immer: Ein bisschen erinnert mich die Situation an Kinder im Sandkasten: Wenn niemand mit Peter (oder Kurt) spielen will und alle Reißaus nehmen, wenn er kommt, dann liegt das vermutlich nicht daran, dass die anderen alle so doof sind. Sondern dann liegt das vielleicht an Peter (oder Kurt). In Ihrem Fall müssen Sie sich fragen, lieber Herr Dobitsch, ob Sie Teil der Lösung sind oder vielleicht doch eher Teil des Problems.

Beste Grüße!

Damian Sicking

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