Pflegenotstand

Seite 2: Kommentar

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An dieser Entscheidung lässt sich durchaus Kritik üben. Zum einen unterlässt das Oberlandesgericht eine Abwägung der Interessen der Parteien im Rahmen des § 9 des früheren AGB-Gesetzes beziehungsweise § 307 BGB nach den Grundsätzen von Treu und Glauben. Zum anderen ist es fraglich, ob die Formulierungen der BVB-Pflege die Verhältnisse und Interessen der EDV-Branche und -Anwender wirklich widerspiegeln.

Die BVB sind trotz mancher Fortschreibung ein Überbleibsel aus der EDV-Steinzeit. Sie sollten seinerzeit für die Nachfrageseite der öffentlichen Hand Vertragsgrundlagen schaffen, auf die sie sich bei Vertragsabschlüssen beziehen konnte. Tatsächlich war es zumindest für längere Zeit unmöglich, mit Behörden und kommunalen Einrichtungen EVD-Verträge ohne Vereinbarung dieser BVB zu schließen. Ungenügende Fachkompetenz auf deren Seite mag diese Vorgehensweise rechtfertigen, ändert aber nichts daran, dass die BVB unpraktisch sind und vor allen Dingen bei der letztlich doch erforderlichen individuellen Anpassung entsprechende Fachkenntnisse erfordern.

Im Geschäftsverkehr ohne unmittelbare Beteiligung der öffentlichen Hand sind die BVB darum zu Recht kaum bekannt, geschweige denn in Benutzung. Daher taugt dieses Vertragswerk auch nicht dazu, als Maßstab für die gesamte und weitaus umfassendere EDV-Branche zum Tragen zu kommen.

Überdies hat das OLG gerade nicht beachtet, dass diese Verträge praktisch nie ohne entsprechende, ausdrücklich vorgesehene individuelle Ergänzungen abgeschlossen wurden. Es ist also auch systematisch völlig verfehlt, aus dem Fehlen einer Mindestpflegedauer in einem Klauselwerk, das in dieser "nackten" Form überhaupt nicht vereinbart wird, zu folgern, dass eine Mindestpflegedauer auch auf dem allgemeinen Markt nicht üblich sei oder nicht erwartet werde.

Gerade im Gegenteil kann man bei Beachtung der Interessen der Parteien aus dem unbefristeten Abschluss eines Pflegevertrags nur den Schluss ziehen, dass der Vertragszweck darauf gerichtet ist, dass der Anwender das Programm möglichst lange nutzen kann.

Sinn und Zweck des Pflegevertrags ist, die Benutzbarkeit der Software wenigstens für die Dauer ihres Lebenszyklus zu ermöglichen. Daher werden Pflegeverträge typischerweise nicht mit dem Ziel und der Absicht abgeschlossen, jederzeit gekündigt zu werden oder lediglich für die Dauer eines Jahres oder einer kürzeren Zeit vereinbart. Denn dies widerspricht dem Ziel, die Nutzbarkeit der Software über deren Lebenszyklus zu ermöglichen.

Dem steht auch nicht das Interesse des Herstellers entgegen, der ja einen großen Teil seiner Gewinne im Bereich der Softwarepflege erzielt. Von daher ist auch er an einer möglichst langen Pflegedauer interessiert.

Wird in den allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Kündigungsmöglichkeit vereinbart, sollte diese den Interessen des Anwenders angemessen Rechnung tragen. Er ist ja auf die Benutzung der Software angewiesen und hat in Kauf und Pflege investiert.

Der Hersteller könnte lediglich daran interessiert sein, die Pflegeleistungen einzustellen, wenn er sie gar nicht mehr erbringen kann oder die Software nicht mehr vertreiben will.

Solange er die Software aber herstellt und vertreibt, ist es ihm tatsächlich möglich, sie zu pflegen, denn er muss ja der gesetzlichen Gewährleistungspflicht nachkommen können, die in vielerlei Hinsicht den Mindestpflegeumfang deutlich übersteigt. Es stellt daher keine unangemessene Beeinträchtigung seiner Interessen dar, ihn für eben diesen Zeitraum als pflegeverpflichtet anzusehen. (fm)

Der Autor ist Rechtsanwalt in Frankfurt a. M., info@drkoenig.de, www.drkoenig.de

Literatur

[1] Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz vom 12. 11. 2005, Aktenzeichen 1 U 1009/04 (map)