Reparatur oder Wertersatz?

Wenn jemand einen Datenverlust verursacht hat und eine Datensicherung fehlt, stellt sich die Frage, ob und wie weit man ihn haftbar machen kann. Der Bundesgerichtshof hat sich zu den Zusammenhängen geäußert.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Matthias Parbel
Inhaltsverzeichnis

Ein Ingenieurbüro befasste sich mit der Planung von Steuerungsanlagen im Industriebereich. Ein IT-Dienstleister, der für das Büro arbeitete, hatte seinen 12-jährigen Sohn dorthin mitgenommen. Der machte sich selbstständig und versuchte, auf dem Betriebsrechner ein Computerspiel zu installieren. So geschah es, dass der Datenbestand auf der Festplatte – vor allem Schaltpläne von Steuerungsanlagen – weitgehend zerstört oder unbrauchbar wurde. Eine Datensicherung hatte das Ingenieurbüro nicht vorgenommen. In einem Vorprozess verurteilte das Landgericht Frankfurt Vater und Sohn dazu, dem Ingenieurbüro 70 Prozent des bei Hard- und Software entstandenen Schadens zu ersetzen. 30 Prozent lastete es dem Ingenieurbüro wegen unzulänglicher Datensicherung an. Daraufhin bezifferte das Ingenieurbüro seinen Schaden und verlangte auf Grundlage des Vorprozesses einen Betrag von rund 350 000 Euro. Dies seien die 70 Prozent der für die Wiederherstellung der Daten erforderlichen Kosten. Vater und Sohn wurden erneut vom Landgericht Frankfurt verurteilt. Sie legten hiergegen Berufung ein. Das Oberlandesgericht Frankfurt befand nun, dass das Ingenieurbüro nur rund 350 Euro beanspruchen könne, nämlich 70 Prozent der Kosten einer neuen Festplatte. Die Datenwiederherstellung sei nur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand möglich und im Hinblick auf den wirtschaftlichen Wert der Daten unzumutbar im Sinne des § 251, Absatz 2, Satz 1 BGB. Dabei bemesse sich der Wert der wiederhergestellten Daten nach dem Aufwand, den das Ingenieurbüro seit dem Verlust der Daten tatsächlich zu deren Wiederherstellung betrieben habe. Da es aber weder hierzu noch zu den künftig tatsächlich erforderlich werdenden Kosten ausreichend vorgetragen habe, sei auch keine Schätzung der ersatzweise zu zahlenden Entschädigung möglich. Das Ingenieurbüro ging also in der zweiten Instanz praktisch leer aus.

Restitution

Um diese Entscheidung und das darauf ergangene Urteil des Bundesgerichtshofs [1] besser verstehen zu können, ist ein kurzer Ausflug ins Schadenersatzrecht nötig. Die zentrale Vorschrift liefert § 249 BGB. Sie schreibt in Absatz 1 vor, dass ein Schädiger den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen hat. Dies bezeichnet man als "Naturalrestitution". Absatz 2 bestimmt unter anderem, dass der Geschädigte ersatzweise den Geldbetrag verlangen kann, der für diese Herstellung erforderlich ist. Ist aber die Herstellung des ursprünglichen Zustands nicht mehr möglich oder genügt dies nicht, um den Geschädigten schadlos zu stellen, so ist nach § 251 Absatz 1 BGB Schadenersatz in Geld zu leisten. Um ein Beispiel aus dem Bereich des Straßenverkehrs heranzuziehen, kann man sich hier die irreparable Beschädigung eines Oldtimers vorstellen. Nun ist aber von Verkehrsunfällen her auch bekannt, dass bei älteren Fahrzeugen die Reparaturkosten nicht in voller Höhe verlangt werden können, wenn diese den Wert des unbeschädigten Fahrzeugs um 30 Prozent übersteigen. Diese 30 Prozent sind, wenn man so will, eine Erfindung der Rechtsprechung. Sie trägt damit dem Interesse des Geschädigten Rechnung, sein lieb gewonnenes und vertrautes Fahrzeug reparieren und weiterbenutzen zu können. Bei Forderungen jenseits dieses Wertes bleibt es aber beim Grundsatz des § 251 Absatz 2 BGB: Wenn die Herstellung des ursprünglichen Zustands nur mit einem unverhältnismäßig großen Aufwand möglich ist, so muss sich der Gläubiger auf eine Entschädigung in Geld beschränken. Dabei ist der Wert zum Zeitpunkt vor dem schädigenden Ereignis maßgeblich. Von Verkehrsunfällen her kennt man den Begriff des "Wiederbeschaffungswerts" oder "Zeitwerts", der den Ausgangspunkt für den 30-prozentigen "Integritätszuschlag" darstellt: Über diese Grenze hinaus ist die Reparatur "unwirtschaftlich", und der Schädiger muss nicht für den unwirtschaftlichen Anteil aufkommen. Mit Blick auf die vertrauten Begriffe im Rahmen von Verkehrsunfällen war das Oberlandesgericht Frankfurt also der Meinung, dass die "Reparaturkosten" für die Datenwiederherstellung unverhältnismäßig höher seien als deren "Wiederbeschaffungswert", also deren Wert vor der Vernichtung. Eine solche "Reparatur" sei also unwirtschaftlich. Außerdem könne der Wert der Daten auch nicht gerichtlich geschätzt werden, da sich das Ingenieurbüro noch nicht einmal zu den mittlerweile aufgelaufenen tatsächlichen und voraussichtlichen Aufwendungen für die Datenwiederherstellung geäußert habe. Daher gab es noch nicht einmal Schadenersatz in Höhe des "Wiederbeschaffungs-/Zeitwerts" der Daten.

Regelwerke

Der "Wiederbeschaffungswert" der Daten kann natürlich nicht auf die gleiche Weise geschätzt werden wie der eines Fahrzeugs. Insbesondere besteht dieser Wert nicht per se in den Kosten, die zur Rekonstruktion aufgewendet werden müssen, denn es ist ja keineswegs gesagt, dass alle Daten noch benötigt werden. Insofern ist der Ansatz, sich auch an den von dem Ingenieurbüro tatsächlich betriebenen Aufwand der Datenwiederherstellung zu halten, einleuchtend. Man kann dies annähernd mit dem Totalverlust eines Unikats vergleichen – für diesen gibt es auch keinen Marktpreis, an dem man sich zur Wiederbeschaffung orientieren könnte. Das Ingenieurbüro hat sich damit aber nicht zufrieden gegeben und Revision beim Bundesgerichtshof eingelegt. Die Bundesrichter kamen zu der Meinung, dass das Frankfurter Oberlandesgericht das Verhältnis der Schadenersatzregeln zueinander verkannt habe. Nach ihrer Meinung sei eine Wiederherstellung der Daten als "Naturalrestitution" dann möglich, wenn diese in anderer Form – etwa als Ausdruck – noch vorhanden und so reproduzierbar seien. Scheidet dies aber aus, könnten auch nicht Wiederherstellungskosten – also "Reparaturkosten" – beansprucht werden (§ 249 Satz 2 BGB). Bei qualifizierten geistigen oder schöpferischen Leistungen sei eine Neuschaffung aber keine "Wiederherstellung" im schadenrechtlichen Sinne, so der BGH. In diesem Fall kann der Geschädigte von vornherein nur Wertersatz nach § 251, Absatz 1 BGB beanspruchen. Drei Möglichkeiten kommen also in Betracht: * Eine Reparatur (Wiederherstellung) ist zu einem wirtschaftlich gesehen angemessenen Preis möglich. * Eine Reparatur ist möglich, aber die Kosten oder der Aufwand der Reparatur sind unverhältnismäßig hoch. Dann kommt Satz 2 des § 251 ins Spiel. Dieser impliziert, dass die Reparatur auch etwas mehr kosten darf als die Sache streng genommen wert wäre (so wie der 30-prozentige Aufschlag beim geschädigten Auto). * Eine Reparatur ist nicht möglich (§ 251,1), sodass Wertersatz zu leisten ist. Üblicherweise erfolgt hier ein Vermögensvergleich, und zwar korrekterweise unter Beachtung des tatsächlich verbleibenden Schadens. Im letztgenannten Fall unterliegt dieser Wertersatz aber nicht der Beschränkung der „Wirtschaftlichkeit“ nach § 251, Satz 2 BGB. Denn in dieser Vorschrift ist ja ausdrücklich nur von einem unverhältnismäßigen Aufwand der Wiederherstellung die Rede, und die ist ja gerade nicht möglich.

Wirtschaftlichkeit

Auf den konkreten Fall bezogen heißt das: Wenn der Datenbestand verloren ist und nicht wiederhergestellt werden kann, muss die Firma ihren tatsächlich entstandenen Schaden beziffern. Ob es wirtschaftlich ist, die Daten zu diesem Betrag wieder zu erheben und in den Computer einzugeben, spielt dann keine Rolle mehr, denn es handelt sich ja nicht um eine Reparatur. Die Frankfurter Gerichte hatten aber gar keine Feststellung getroffen, ob die Daten überhaupt im schadenrechtlichen Sinne wiederhergestellt, also "repariert" werden konnten, sodass der Bundesgerichtshof den Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung zurückverwiesen hat. Zuvor haben die Bundesrichter aber noch klargestellt, dass sie dem Oberlandesgericht Frankfurt auch bei der Frage der "Unverhältnismäßigkeit" der Wiederherstellungskosten nicht folgen: Nach den allgemeinen Grundsätzen müsse der Schädiger darlegen und beweisen, dass die Voraussetzungen für die Begrenzung des Schadenersatzes auf den Wertersatz vorliegen – er hat also zu beweisen, dass die Reparatur gegebenenfalls "unwirtschaftlich" ist. Die geschädigte Firma muss sich lediglich zu Tatsachen äußern, die allein aus ihrer Sphäre stammen und sich der Kenntnis des Schädigers naturgemäß entziehen. Dieses habe aber das Oberlandesgericht nicht beachtet, denn der Sachvortrag des geschädigten Ingenieurbüros zu dem bislang betriebenen Aufwand der Datenwiederherstellung durch die eigenen Mitarbeiter sei für eine Schadenschätzung ausreichend. Außerdem sei für den Wert der Daten auch maßgeblich, inwieweit deren Verlust Betriebsabläufe stört oder erschwert. Auch hierzu hatte sich das geschädigte Ingenieurbüro eingelassen, ohne dass das OLG Frankfurt sich damit befasste.

Fazit

Bei Datenverlusten ist also sehr wichtig zu fragen, ob die Daten "repariert" werden können – etwa durch professionelle Datenretter. In diesem Fall muss der Aufwand "wirtschaftlich" sein, darf also gemessen am Wert der Daten nicht unverhältnismäßig sein. Ist die "Reparatur" dagegen nicht möglich, scheidet auch die Forderung nach einer wie auch immer gearteten "Neuerstellung" der Daten aus: Man kann dann nur Wertersatz verlangen. Diese Grundsätze können bedeuten, dass sich der Geschädigte darauf beschränken muss, lediglich den durch das Fehlen einzelner Daten entstehenden Nachteil – also auch deren teilweise Rekonstruktion durch Mitarbeiter – als Schadenersatz geltend zu machen. Einen generellen Freibrief auf "Wiederherstellung" des ursprünglichen Zustands auf Kosten des Schädigers gibt es nicht. Viele Daten können ja veraltet sein und gar nicht mehr benötigt werden. (fm)

Literatur

[1] Bundesgerichtshof, Urteil vom 9. 12. 2008, Aktenzeichen VI ZR 173/07, Neue Juristische Wochenschrift 2009, S. 1068 (map)