Wer ist der zweitwichtigste Mensch in einer Firma?

Der Niederländer Bert Twaalf-Hoven hat in seinem Unternehmerleben sage und schreibe 17 Firmenpleiten hingelegt. Trotzdem wurde er zum "Entrepreneur for the World" ernannt. Seine Botschaft: Ohne Bedenkenträger rennen Firmenchefs immer wieder ins Verderben.

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Von
  • Damian Sicking
Xing-Gründer Lars-Hinrichs

Xing-Gründer Lars Hinrichs

(Bild: Xing AG)

Lieber Xing-Gründer und Ex-Pleitier Lars Hinrichs,

nach Angaben der Experten von Creditreform stieg im vergangenen Jahr die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland um 16 Prozent auf über 34 000 Fälle. Für dieses Jahr erwartet Creditreform eine weitere Steigerung der Firmenpleiten auf rund 40 000, so viele wie noch nie. Nachdem im vergangenen Jahr vor allem die (Groß-) Industrie zu kämpfen hatte, erwarten die Fachleute in diesem Jahr in erster Linie Insolvenzen kleinerer und mittlerer Betrieb. Es ist zu befürchten, dass auch wiederum einige IT-Unternehmen den Gang zum Amtsgericht werden antreten müssen.

Dass für den Unternehmer eine Insolvenz nicht das Ende von allem sein muss, dafür sind Sie, lieber Herr Hinrichs, ja ein perfektes Beispiel. Denn bevor Sie im Jahr 2002 die damalige Firma Open-BC gründeten, die heutige Xing AG, hatten Sie mit der PR-Agentur Böttcher-Hinrichs schwer Schiffbruch erlitten und mussten Konkurs anmelden. Heute reden Sie ganz offen darüber, unter anderem in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Impulse (Heft 2/10). Eine Pleite hinlegen und dann trotzdem noch erfolgreich werden ist klasse. Aber 17 Pleiten hinlegen und trotzdem erfolgreich sein? Doch, auch das geht, wie man am Beispiel des Niederländers Bert Twaalf-Hoven sehen kann. Der Mann hat in seinem Unternehmerleben sage und schreibe 17 Insolvenzen hingelegt und damit 55 Millionen Euro in den Sand gesetzt. Er nennt sich selbst "Weltmeister im Scheitern". Allerdings hat der "Serienunternehmer" auch 37 Firmen erfolgreich aufgebaut und dadurch nach eigener Aussage mehr als 200 Millionen Euro verdient. Ende 2009 ist der inzwischen 80-jährige Unternehmer zum "Entrepreneur for the World" ernannt worden.

In derselben Impulse-Ausgabe mit dem Artikel über Sie steht auch ein Interview mit Twaalf-Hoven. Darin gibt er Auskunft über die verschiedenen Fehler, die er bei seinen 17 Pleiten gemacht hat. Sie waren meistens unterschiedlich ("Mache niemals denselben Fehler zwei Mal!"). Aber eine Sache hat ihn nach eigener Aussage bis zum Schluss immer wieder reingeritten: "Einen Fehler habe ich bis zu meinem Rückzug aus dem operativen Geschäft 2002 immer wieder gemacht: Ich habe mich zu sehr mitreißen lassen – von einer Innovation, einer aufregenden Technologie oder einer guten Idee", sagt Twaalf-Hoven. Das ist ein sehr interessanter Satz und wirft ein Licht auf eine Problematik, die man aus vielen Unternehmen kennt: Der Unternehmer ist mit Feuer und Flamme dabei und bringt genau dadurch seine Firma in Gefahr. So gut und notwendig Leidenschaft und Begeisterung auf der Seite sind, so gefährlich sind sie gleichzeitig auf der anderen.

Das ist der Grund, weshalb ich schon seit vielen Jahren wie ein Wanderprediger durch die Landschaft ziehe und behaupte, der zweitwichtigste Mensch in einer Firma ist der Bedenkenträger. Der wichtigste ist natürlich der Chef selbst. Leidenschaftlich, begeistert, nach vorne drängend. Aber um den Chef davor zu bewahren, dass er vor lauter Leidenschaft, Begeisterung Unternehmenslust direkt in sein Verderben rennt, braucht er jemanden, der ihn quasi vor sich selber schützt. Der ihn zurückhält, der ihn nötigt, noch einmal in Ruhe über die Sache nachzudenken, der ihm mögliche Risiken vor Augen hält. Kurz: Ein Chef, der lange erfolgreich sein will, braucht an seiner Seite einen Bedenkenträger.

Der Bedenkenträger genießt ja – ähnlich wie der Semmelbröselsortierer – landauf und landab eher ein schlechtes Image. Zu Unrecht, wie ich finde, und zwar aus den genannten Gründen. Jede Firma kann sich glücklich schätzen, wenn sie einen guten Bedenkenträger an Bord hat, der auch bei dem Chef Gehör findet.

Lieber Herr Hinrichs, ich weiß nicht, ob Sie das Buch "Aus dem Jungen wird nie was..." von Hans Wall gelesen haben. Hans Wall ist der Gründer der Wall AG, einem der marktführenden Unternehmen im Bereich Stadtmöblierung (Wartehäuschen an Bushaltestellen, öffentliche Toiletten). Wall war und ist auch so ein unternehmerischer Draufgänger. In seinem Buch beschreibt er, wie er sich oftmals mit seinem Finanzchef und jetzigem Aufsichtratsmitglied Roland von zur Mühlen gezofft hat, weil der ihn immer wieder bremsen wollte und ihn ermahnt hat, erst noch einmal nachzudenken und die Risiken abzuwägen. Wall hebt in seinem Buch immer wieder hervor, wie wichtig dieser Mann – der Bedenkenträger – für ihn und den Erfolg der Firma war, auch wenn er sich häufig über ihn geärgert hatte.

Aus diesem Grunde bin ich der Meinung, dass das schlechte Image des Bedenkenträgers völlig zu Unrecht besteht. Im Gegenteil sollte jeder Unternehmer froh sein, wenn er so jemanden an Bord hat. Natürlich versteht es sich von selbst, dass der Bedenkenträger genauso "vom Fach" und kompetent sein muss wie der Unternehmer selbst und seine Bedenken auf einer tiefen Kenntnis der Materie beruhen. Er muss darüber hinaus über hervorragende analytische Fähigkeiten verfügen und dem Firmenchef auf gleicher Augenhöhe begegnen können. Nur eins ist auch klar: Der Chef selbst darf nicht der Bedenkenträger sein.

Was mich an dieser Stelle interessieren würde, lieber Herr Hinrichs, ist die Frage, welche Erfahrungen Sie mit Bedenkenträgern haben. Hatten vielleicht auch Sie bei Ihrer überaus erfolgreichen Unternehmung Xing einen Bedenkenträger an Ihrer Seite, der Sie vor sich selber schützte (oder dies zumindest versuchte)?

Beste Grüße

Damian Sicking

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