c't Fotografie 1/2016
S. 3
Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,

Fotografieren mit nur einer Brennweite das klingt in der Zeit von 60-fachen optischen und digitalen Zoomobjektiven nicht mehr zeitgemäß. Warum sollte ich mich freiwillig so stark beschränken? Die Antwort ist simpel: Weil es den eigenen Bildern gut tut. Diese Erfahrung durfte ich erst kürzlich wieder in der völlig überfüllten Leipziger Innenstadt zur Adventszeit machen.

Natürlich hatte auch ich mein Standardzoom dabei, mit dem ich die wichtigsten Blickwinkel abdecken und mich etwas abseits vom Getümmel aufhalten konnte. Die klassischen Motive hatte ich schnell auf dem Sensor: Den Augustusplatz mit dem finnischen Weihnachtsmarkt samt Flammlachs vor lodernder Glut … Sie kennen das. Tauschen Sie Leipzig einfach gegen Ihre Heimatstadt aus. Schön, aber lieblos, blutleer, tausendmal gesehen. Dafür lohnt es sich nicht, den Unmut seiner Mitmenschen auf sich zu ziehen, weil man mal wieder im Weg steht.

Dann habe ich das 35er an meine Kamera gedreht. Und schon nach dem ersten Blick durch den Sucher war klar: Ich musste raus aus meiner Komfortzone. Kein Ring am Objektiv erlaubte mir zu schummeln. An diesem Abend habe ich zwei Ladies in der Stadt entdeckt, die mir vorher nie aufgefallen sind – eine aus Stein, die andere aus Gold. Beide waren der perfekte Rahmen für eine lebendige Stadtkulisse.

Die Fotos brauchte ich später kaum bearbeiten: Über den Bildaufbau hatte ich mir ja vor Ort Gedanken gemacht. Auch über Bildfehler und schwache Randbereiche musste ich mich nicht ärgern. Beim Bildlook und bei der Lebendigkeit spielt so eine Festbrennweite jedes Zoom eben locker aus.

Also: Fotografieren mit nur einer Brennweite beschränkt nicht, es ist heilsam für die eigenen Bilder. Probieren Sie es aus. Objektivanregungen finden Sie in unserem 35-Millimeter-Test ab Seite 16 .

Viel Spaß!

Unterschrift Sophia Zimmermann Sophia Zimmermann