c't Fotografie 1/2016
S. 8
Portfolio
Stéphane Couturier

Portfolio

Stéphane Couturier

Was passiert, wenn man eine statische Architekturaufnahme mit den dynamischenAuswirkungen von Zeit, geschwungener Form oder Farbe kombiniert? Diese Transformation ist das Thema von Stéphane Couturier, einem der wichtigsten Vertreter der französischen Gegenwartsfotografie.

Form follows function, Less is more: Die Architektur der Moderne hat ihre eigenen Gesetze und verwendet eine klare Formensprache. Viele bedeutende Häuser, Gebäudekomplexe und Stadtteile wurden nach ihren Prinzipien auf dem Reißbrett entworfen, so auch die Siedlung „Climat de France“ – heute „Qued Koriche“ genannt. Gelegen mitten in Algier in direkter Nachbarschaft zur Altstadt, gebaut in den 50er Jahren, erinnern ihre monumentalen Formen eher an eine Art gigantisches, quadratisches Kollosseum, denn an ein Gebäude, in dem Menschen wohnen sollen und müssen.

Heute – über 60 Jahre später – hat das einstige Vorzeigeprojekt des französischen Architekten Fernand Pouillon längst die Realität eingeholt: Aus dem Ort, der einmal geplant war als ein Wahrzeichen der Moderne, ist eine Stadt in der Stadt geworden – von der Politik vergessen, von der Polizei gemieden. Längst sind die Fassaden nicht mehr blütenweiß, längst schmücken die meisten Fenster und winzigen Balkone Satellitenschüsseln und Wäsche, die zum Trocknen auf der Leine hängt (siehe Bild oben). Strenge Formen und regelmäßige Strukturen der Gebäude treffen auf das zufällig Entstandene, auf das Alltägliche, auf das Leben, auf die Zeit.

Alger | Bab-El-Qued n°2 | 2013 | 140 cm × 300 cm

Genau das ist das Thema, das den französischen Fotografen Stéphane Couturier (*1957) in seinen jüngsten Arbeiten interessiert: Menschen, die künstlich geplante Architekturen mit Leben erfüllen und dabei die „idealen“ Bauwerke den eigenen Vorstellungen und Bedürfnissen anpassen. „Climat de France“ bot ihm dafür das ideale Motiv, über drei Jahre lang hat er dort für seine neueste Werkgruppe fotografiert. Entstanden sind eine ganze Reihe manchmal großformatiger, manchmal kleinerer quadratischer Bilder, die stets das quirlig Lebendige in die regelmäßige Struktur der Bauwerke einbetten und in denen man auch nach längerem Betrachten immer wieder neue Details entdecken kann.