c't Fotografie 6/2018
S. 74
Praxis 28-mm-Objektiv
Aufmacherbild

28er in der Praxis

Eine 28er-Brennweite hat ihren ganz speziellen Reiz. Ihre Stärken spielt die Optik in den Disziplinen Reportage, Porträt und Landschaftsfotografie besonders aus. Auf einer Fototour im Nationalpark Hohe Tauern in Österreich hat Professor Patrice Kunte voll auf sie gesetzt. Seine Erfahrungen und Praxistipps teilt er hier.

Fotografie ist für mich Passion und Handwerk. Wie in einer Werkstatt ist der Griff in die Fototasche vergleichbar mit dem Griff in den Werkzeugkoffer. Brauche ich für ein gutes Foto nun diese oder jene Brennweite? Den Maulschlüssel oder den Hammer? Je nach Bedarf variiert das Werkzeug. Objektive in der Fototasche sind somit Mittel zum Zweck. Während der Unterschied zwischen einem Super-Weitwinkel-Objektiv (14 mm) und einem Tele-Objektiv (200 mm) noch relativ klar ist, stellt sich beim 28-mm- und beim 35-mm-Kleinbild-Objektiv schon die Frage, worin eigentlich der Unterschied besteht.

In den meisten Fototaschen wird sich sicher nur eine der beiden Optiken befinden: entweder das 28er oder das 35er. Der Unterschied zwischen beiden ist mit 12 Grad Bildwinkel-Differenz relativ klein. Im Vergleich dazu sind es zwischen dem 14-Millimeter- und dem 200-Millimeter-Objektiv 102 Grad Unterschied. Warum fotografierte Henri Cartier-Bresson (1908–2004) lieber mit dem 50er und Paolo Pellegrin (54) gern mit dem 28-mm-Pancake-Objektiv? Das 50er war Bressons favorisierte Brennweite, weil er eine der menschlichen Sichtweise möglichst ähnliche Darstellung anstrebte. Pellegrin fasziniert eher die schmale Bauart des Pancakes. Das 28-Millimeter-Objektiv kommt mit zirka 75,4 Grad Bildwinkel relativ weitwinklig daher, während der Bildwinkel des 35er mit 63,4 Grad ein Stück weit eingeschränkter ist.

Jeder Fotograf hat seine Lieblingsbrennweite. Meine Lieblingsbrennweite ist 35 mm, wenn ich mit einer Kleinbild-Kamera oder einer Systemkamera unterwegs bin. Ich mag gerade bei Festbrennweiten die Lichtstärke und die Schärfe. Für diesen Artikel war ich zum ersten Mal mit einer 28-mm-Festbrennweite unterwegs, eine Brennweite, die ich in meinem Smartphone sehr schätze. Denn das ist die Kamera, die ich wirklich immer dabeihabe. Gerade in der momentbezogenen Fotografie, die Situationen im direkten Umfeld einzufangen versucht, hat diese Brennweite ihre Vorteile. Umso spannender war es, mich etwas mehr mit dem 28-mm-Objektiv zu beschäftigen. Am Rande meines Reportage-Kurses in Österreich nahm ich mir die Zeit dafür. Im Folgenden schildere ich meine Erfahrungen in den Bereichen Reportage, Landschaftsfotografie und Porträt.