c't Fotografie 6/2019
S. 84
Aufmacherbild
Bild: Orlando Florin Rosu – stock.adobe.com

FOTOGRAFIE UND REALITÄT

Das Spiel mit der menschlichen Wahrnehmung

Bei der Malerei weiß man, dass ein Künstler die Freiheit hat, eine Situation gezielt zu verändern und nach seinen Vorstellungen zu gestalten. Dagegen erwarten wir in der Fotografie eine gewisse Authentizität der Motive. Dr. Harald Gorr erklärt, welche Faktoren die Wahrnehmung eines Fotos beeinflussen und wie Sie diese als Fotograf gezielt nutzen können, um die Bildaussage zu verstärken.

Seit ihrer Erfindung gilt die Fotografie als glaubhafter Beweis für etwas real Dagewesenes. Doch Fotografie hat auch viel mit Wahrnehmung zu tun. Diese ist immer eine subjektive Interpretation unterschiedlichster Sinneseindrücke, wie Geräusche, Gerüche, Gefühle und andere Körperempfindungen. Unser Gehirn bezieht sie im Alltag ganz selbstverständlich bei der Einordnung eines Geschehens ein. Vieles um uns herum registrieren wir jedoch überhaupt nicht. Diese Details fallen schon von vornherein unter den Tisch. Anderes nehmen wir zwar irgendwie noch wahr, aber es wird vom Gehirn frühzeitig als unbrauchbar eingestuft.

Grund genug, sich mit dem Thema Wahrnehmung zu beschäftigen. Denn Fotografie ist sehr viel mehr als das Ausreizen technischer Parameter. Mit dem Wissen um die Gesetzmäßigkeiten der menschlichen Wahrnehmung erhalten Sie ein wertvolles Gestaltungselement, mit dem Sie die Bildwirkung Ihrer Fotos wesentlich verbessern und die Aussage steuern können.

Schon mit der Festlegung der Perspektive werden Sichtweisen aus einem anderen, möglicherweise aufschlussreicheren Blickwinkel ausgeschlossen. Und letztlich gibt ein Foto auch immer nur einen Moment wieder. Anders als bei einem Film gibt es kein Vorher und kein Nachher. Ein „authentisches Foto“ ist demzufolge reines Wunschdenken. Das gibt es schlicht nicht.