Schluss mit Kärtchen
SIM-Module werden künftig fest verbaut
Noch ist die eSIM nicht endgültig genormt, doch schon ist klar, wo die Reise hingeht: Binnen zehn Jahren soll die heute übliche Wechsel-SIM komplett ersetzt werden. Die eSIM ist mit dem Gerät verbunden und wird per Software auf den jeweiligen Mobilfunkanbieter umgestellt.
Die großen Smartphone-Hersteller preschen mit einem neuen SIM-Standard vor: Sie wollen so schnell wie möglich die eSIM einführen, also die embedded SIM. Diese wird fest verbaut und ist nach Norm 6 mal 5 Millimeter groß und einen Millimeter dick. Ein mechanischer Wechsel der SIM-Karte ist dann nicht mehr möglich. Bei der ersten Inbetriebnahme oder einem Anbieterwechsel wird die Karte mit einem neuen Profil versehen, also umprogrammiert.
Eigentlich sollte der eSIM-Standard der GSM Association (GSMA) schon im vergangenen Jahr fertig sein, nun ist von März 2016 die Rede. Derzeit klopfen die Beteiligten die letzten Details des Standards fest.
Apple hat bereits eine eigene programmierbare SIM-Karte eingeführt, mit der man verschiedene Mobilfunkangebote in insgesamt 90 Ländern nutzen kann. Wie die künftige eSIM ist sie programmierbar, allerdings wird sie in den normalen SIM-Karten-Slot eingelegt – man kann sie also gegen eine Standard-SIM austauschen. Sie hat aber einen anderen Funktionsumfang als die noch nicht fertig spezifizierten eSIMs. So ist es möglich, die Apple-Karte permanent auf einen Netzbetreiber einzustellen. Nutzt man beispielsweise das Angebot des amerikanischen Netzbetreibers AT&T, kann man die Karte nicht mehr auf einen anderen Netzbetreiber umstellen, sondern muss gegebenenfalls eine neue Apple-SIM für derzeit rund 5 Euro kaufen. Bei einer fest verbauten SIM wäre eine solche feste Zuordnung für das jeweilige Gerät irreversibel.
Fest verbaute SIMs gibt es schon einige Jahre, allerdings bislang ausschließlich in M2M-Geräten, also für die direkte Kommunikation zwischen Geräten, beispielsweise in einigen Kindle-Modellen oder bestimmten Navis. Diese SIM-Karten waren bislang nicht programmierbar, sondern fest einem Anbieter zugeordnet. Für Geräteentwickler ist eine programmierbare eSIM praktisch: Die aufwendige und anfällige Mechanik zur Aufnahme der Karte entfällt; die SIM lässt sich wie alle anderen Bauteile in die Schaltung integrieren und dennoch kann der Kunde einen Anbieter wählen. Gerade für Wearables, die so klein und leicht wie möglich sein sollen, ist die embedded SIM erste Wahl. Wasserdichte Geräte lassen sich leichter konstruieren, wenn keine SIM-Schublade erforderlich ist und das Gerät nicht für einen SIM-Karten-Tausch geöffnet werden muss.
Die herkömmliche SIM-Karte wird aber noch viele Jahre verfügbar bleiben, damit Kunden ihre Altgeräte ohne eSIM weiterhin betreiben können. Für eine längere Übergangsfrist wird es wohl zusätzlich SIM-Karten-Slots an Geräten mit eSIM geben, denn bis alle Netzbetreiber und Provider global mit eSIMs umgehen können und wollen, wird es eine ganze Weile dauern.
Für den Kunden sind die Vorteile fest verbauter SIMs sehr überschaubar. Zwar entfällt das Hantieren mit der SIM-Karte, dafür muss er mit den Funktionen vorlieb nehmen, die ihm Gerätehersteller und Netzbetreiber zugestehen. Bezüglich des Datenschutzes ändert sich mit der SIM-Karte nicht viel. Jedes Gerät lässt sich ohnehin über eine eigene Nummer identifizieren, die IMEI. Ob die SIM-Karte nun physisch auswechselbar ist oder fest mit dem Gerät verbunden, macht da praktisch keinen Unterschied. Entscheidend für die Zuordnung der SIM-Karte zu einem Nutzer ist die Identitätsprüfung beim Registrierungsprozess, bei der deutsche Discounter seit vielen Jahren erheblich schlampen [1].
Registrieren der eSIM
Geht ein Gerät mit eSIM zum ersten Mal in Betrieb, nimmt es Kontakt zu einem Universal-Discovery-Server (UD-Server) auf. Den gibt es bisher noch nicht. Wie eine normale SIM-Karte besitzt die eSIM eine Identifikationsnummer, die IMSI. Sie enthält Länder- und Betreibercode (MCC und MNC) sowie eine fortlaufende Nummer. Empfängt das Gerät ein Mobilfunknetz, kontaktiert die eSIM den einprogrammierten Betreiber darüber und ruft Daten ab. Das funktioniert ähnlich wie im Roaming: Der Mobilfunkbetreiber muss mit dem Betreiber des UD-Servers eine Vereinbarung geschlossen haben, den Datenverkehr durchzuleiten.
Nach jetzigen Planungen sieht der Kunde bei Inbetriebnahme ein Menü, aus dem er zwischen verschiedenen Betreibern und Verträgen wählen kann. Sobald er eine Wahl getroffen hat, kann die eSIM über die bestehende Mobilfunkverbindung das Profil des jeweiligen Betreibers herunterladen und auf die SIM-Karte speichern. Diese Verbindung muss aber vom jeweiligen Gerät ausgehen. Die Übermittlung der eSIM-Kennung an den Provider über einen anderen Kanal ist nicht möglich. Telefonisch oder per Web-Frontend lässt sich der Download des gewünschten Profils nicht auslösen. Mobilfunkanbieter oder Händler können die Geräte also beispielsweise nicht beim Versand durch Einlesen der Seriennummer des Gerätes und der eSIM vorkonfigurieren.
Eine eSIM lässt sich auch als Dual- oder Multi-SIM ausführen, also mit zwei oder mehr Profilen unterschiedlicher Provider. Das ist wichtig, wenn man beispielsweise für Internetzugang, Telefonie und SMS unterschiedliche Provider gleichzeitig verwenden möchte. Aber auch ohne Dual-Sim-Funktionalität bringt die eSIM große Vorteile: Fährt man ins Ausland, könnte man dort ein günstiges Prepaid-Angebot wählen – die eSIM wandelt sich dafür zu einer Karte des jeweiligen Providers. Wieder zu Hause angekommen, ließe sich das ursprüngliche Profil wieder auf die Karte laden, wenn es nicht gleich deaktiviert auf der Karte geblieben ist. Das Gefummle mit verschiedenen SIM-Karten, die man sicher verstauen muss, wenn sie gerade nicht benutzt werden, entfiele dann. Allerdings sind Mobilfunkbetreiber nicht gerade wild darauf, Dual-SIM-Geräte zu vertreiben. Anders als etwa in China sind Multi-SIM-Geräte in Deutschland eher selten.
Machtfragen
Entscheidend ist, wer welche Dienste bereitstellt und welche Angebote im Kundenmenü erscheinen. Bisher sind die Rollen klar verteilt: Die Netzbetreiber (MNO, Mobile Network Operator) sind zuständig für die Verwaltung der SIM-Karten-Nummern (IMSI). Hersteller fertigen diese Karten nach Maßgabe der Netzbetreiber. Der Vertrieb der Karten und deren Aktivierung läuft über die Netzbetreiber und über Service Provider. Der Kunde wählt eine SIM und legt sie in sein Gerät ein. SIM-Locks, die die Nutzung von SIM-Karten anderer Provider oder Netze verhindern, sind im deutschen Markt aus der Mode gekommen.
Mit der eSIM könnten sich die Machtverhältnisse verschieben, aber aller Voraussicht nach werden die bestehenden Marktteilnehmer ihre Privilegien zu verteidigen versuchen. Netzbetreiber werden auch künftig alles daransetzen, die Kontrolle darüber zu behalten, wen sie in ihr Netz lassen. Virtuelle Netzbetreiber müssen sich mit ihnen weiterhin arrangieren, um ihre Mobilfunkdienste anbieten zu können.
Es ist nicht lange her, dass das erste iPhone zu Beginn der Vermarktung in Deutschland exklusiv bei der Telekom erhältlich war. Solche Zeiten könnten mit der eSIM wieder anbrechen, wenn sich die Gerätehersteller und Netzbetreiber davon einen Vorteil versprechen. In der Praxis werden sie Kunden nicht zu sehr einschränken, weil das ihr Geschäft bremsen würde; kleinere Mobilfunkanbieter mit geringem Marktanteil könnten jedoch das Nachsehen haben. Wer aus Sicht der Hersteller unwichtig ist, wird es schwer haben, im eSIM-Markt Fuß zu fassen.
So hegt Thilo Salmon, der Geschäftsführer von Sipgate, erhebliche Befürchtungen, ob die zuständigen Stellen den Wettbewerb forcieren werden. Sein Unternehmen ist mit der Mobilfunkmarke Simquadrat einer der wenigen virtuelle Netzbetreiber (MVNO, Mobile Virtual Network Operator) in Deutschland. „Das größte Risiko für Sipgate besteht im Fehlen einer wirksamen Wettbewerbskontrolle. Sowohl die Bundesnetzagentur als auch das Kartellamt sind unserer Erfahrung nach derartig eng an tagespolitische Vorgaben gebunden, dass ein Schutz des Wettbewerbs faktisch nicht stattfindet – zugunsten der pinken Post und zulasten des Wettbewerbs und damit auf dem Rücken der Bevölkerung.“
Unter Beobachtung
Die Bundesnetzagentur verfolgt das Thema eSIM jedoch bereits aufmerksam. Pressesprecher Michael Reifenberg sagte auf Anfrage von c’t, dass die Behörde zum Thema eSIM mit deutschen Telekommunikationsnetzbetreibern in Kontakt stehe und aktuellen Standardisierungsaktivitäten und Marktentwicklungen verfolge. Man analysiere, ob die bestehenden Regelungen zu Mobilfunk-Rufnummern und zu den IMSI wegen der Einführung von eSIM geändert werden müssen. Da der Übergang zur eSIM zu einer Verschlechterung der Position des Endkunden führen könne, werde die Bundesnetzagentur im Sinne des Verbraucherschutzes und eines chancengleichen und fairen Wettbewerbs die Einführung der eSIM auch unter diesem Blickwinkel kritisch begleiten. „Je nach Fragestellung wird anhand der telekommunikationsrechtlichen Regelungen oder anhand des allgemeinen Wettbewerbsrechts zu prüfen sein, ob regulatorische Maßnahmen zu ergreifen sind. Die Bundesnetzagentur steht hierzu auch in engem Kontakt mit dem Bundeskartellamt“, versichert Reifenberg.
Die eSIM wird den Markt erheblich verändern: Hersteller von SIM-Karten beispielsweise werden sich künftig nicht wie bisher mit den Netzbetreibern abstimmen müssen, sondern mit den Geräteherstellern. Damit Kunden auch mit einer eSIM die freie Wahl zwischen allen Angeboten bleibt, müssen alle Beteiligten mitspielen. Die Schlüsselrolle hat dabei der Universal Discovery Server inne, der dafür sorgt, dass das Gerät Zugriff auf das beim Netzbetreiber hinterlegte Profil erhält. Wer den UD-Server betreibt, hat letztlich die Macht darüber, welche Angebote bereitstehen. Für den Kunden ideal wäre eine neutrale Stelle, deren Betreiber verpflichtet ist, jeden Anbieter aufzunehmen, der dieses wünscht. Noch ist dieses Spiel nicht entschieden – das wird erst geschehen, wenn die eSIM genormt ist, und die Netzbetreiber, die Gerätehersteller und die SIM-Karten-Hersteller Kommunikationsstrukturen verabreden und die Systeme in Betrieb nehmen.
Die Unternehmensberatung McKinsey hat die durch die Einführung der eSIM zu erwartenden Veränderungen analysiert [2]. Ihrer Ansicht nach ist es wahrscheinlich, dass die UD-Server in den verschiedenen Regionen der Welt künftig von einer neutralen Stelle betrieben werden. Die SIM-Profile würden dieser Einschätzung zufolge am ehesten von den bisherigen Hersteller von SIM-Karten generiert, ausgeliefert würden sie durch den Netzbetreiber oder virtuellen Netzbetreiber.
Aber selbst wenn der Markt in Deutschland einwandfrei funktioniert, muss das nicht für jedes Land der Welt gelten. Wer heute ein SIM-Lock-freies Handy besitzt, kann im Urlaub eine SIM-Karte des Urlaubslandes erwerben und damit seine Kosten erheblich drücken. Netzbetreiber haben jedoch ein wirtschaftliches Interesse, solche Angebote gezielt zu unterdrücken – weil sie an hohen Roaming-Kosten mitverdienen. Mit dem Festeinbau der SIM tritt der Kunde einen Großteil der Kontrolle an Hardware-Hersteller und Netzbetreiber ab.
Wie unterschiedlich Lösungen für ein solches Problem ausfallen können, zeigen Beispiele zur Rufnummernportierung. Die Aufgabe besteht darin, festzustellen, welche Rufnummer zu welchem Netzbetreiber gehört. Für die Mobilfunknummern gibt es in Deutschland ein zentrales Register, in dem das vermerkt ist. Dessen Betrieb übernimmt im Auftrag der Netzbetreiber der Dienstleister T-Systems, eine Tochter der Telekom. Für den deutlich stärker fraktionierten deutschen Festnetz-Markt hingegen fehlt eine solche zentrale Instanz, weil es keine Absprache zwischen den Netzbetreibern gibt. Hier betreibt jeder Netzbetreiber eine eigene Datenbank, jeder trägt alle Änderungen bei sich nach. Die Portierung im Festnetz ist deshalb unflexibler und fehleranfälliger als die im Mobilfunk.
Abgeschotteter Markt
Dreh- und Angelpunkt bei den SIM-Karten ist die IMSI, ihre eindeutige Kennung. Sie besteht aus dem Länder-Code, dem Netzbetreiber-Code und einer Folgenummer. Über diesen Weg haben die Netzbetreiber den Markt abgeschottet. Die Hürden für die Zuweisung eines Betreiber-Codes sind hoch. Virtuelle Netzbetreiber (MVNO) und Service Provider bleiben hier meist außen vor und können dann SIM-Karten nicht selbst erstellen. Stattdessen sind sie darauf angewiesen, dass die Netzbetreiber mit ihnen kooperieren.
Derzeit sieht die Praxis so aus, dass dadurch ganze Ketten von Dienstleistern entstehen, etwa um Roaming-Leistungen anzubieten und abzurechnen. Am Ende dieser Ketten stehen virtuellen Mobilfunkanbietern zwar alle Dienste zur Verfügung, aber nicht zu konkurrenzfähigen Preisen. Globale Anbieter von Daten- und Telefondiensten im Mobilfunk, die Internetzugang oder günstige Telefonate in zahlreichen unterschiedlichen Netzen anbieten, sind deshalb meist sehr teuer im Vergleich zu den örtlichen Netzbetreibern. Eine Art Uber für den Mobilfunk, das mit einem disruptiven Geschäftsmodell den Markt aufmischt, wird es nicht geben, solange die Wettbewerbsbehörden den Markt nicht zu einer Öffnung zwingen. Die eSIM wird da nichts ändern, sondern die bestehenden Machtverhältnisse am Markt möglicherweise noch zementieren. (uma@ct.de)