c't 19/2017
S. 30
News
Spielemesse Gamescom

Harmloser Riese

Die Highlights der Gamescom

Besucherrekord und Ritterschlag von der Kanzlerin: Die Spielebranche sonnte sich in Köln im Glanz der Gamescom. Doch bei aller Euphorie wurde wieder einmal deutlich, wie stiefmütterlich Entwickler in Deutschland behandelt werden. Denn die meisten Hits entstehen anderswo.

Mehr als 350.000 Besucher kamen in diesem Jahr zur Gamescom. Damit ist die Kölner Spiele-Show die größte Messe im Bereich der IT und Unterhaltung in Deutschland. Nur Autos, Baumaschinen und Verbrauchermessen ziehen hierzulande ein noch größeres Publikum an. IFA (240.000) und CeBIT (200.000) rangieren weit dahinter. Da kam dann auch die Kanzlerin nicht umhin, die Spielebranche als wichtiges Industriestandbein zu loben und bei der Eröffnung neue Förderungen anzukündigen. Das scheint auch notwendig, denn im internationalen Vergleich ist die Entwicklung in Deutschland bestenfalls drittklassig. Weltweit geben die USA und Japan den Ton an. In Europa ist zu den Spitzenentwicklern in Großbritannien und Frankreich nun auch Polen mit zahlreichen hochkarätigen Spielen dazugestoßen.

In diesen Ländern wird vor allem der Nachwuchs gefördert. Es gibt Studiengänge an Hochschulen, und Start-ups mit frischen Spielideen haben es weitaus einfacher, geeignete Finanzierungen zu finden. Hierzulande verkümmern die wenigen kreative Ideen jedoch, zumal Förderungen meist an die Vorgabe „pädagogisch wertvoll“ gebunden sind. Dieser Ansatz ignoriert jedoch, dass Videospiele hauptsächlich von Erwachsenen gespielt werden. Doch obwohl in Deutschland rund 14.000 Personen in der Spielebranche beschäftigt sind, kann man größere Entwicklungen auf internationalem Niveau von Crytek, Blue Byte oder Daedalic an einer Hand abzählen. Die Misere wird am Beispiel des kleinen Studios Radiation Blue aus Freiburg deutlich, das auf der Gamescom sein Spiel „Genesis Alpha One“ vorstellte. Es wird von dem zweiköpfigen Team zwar hier entwickelt, doch den Vertrieb übernimmt kein deutscher Publisher, sondern Team 17 aus Großbritannien.

Einzelne Lichtblitze

Die Gamescom lockt zwar die meisten Besucher an, kann aber kaum mit Premieren punkten. Die großen Publisher konzentrieren sich auf die E3, die Anfang Juni in den USA stattfindet. Da sie dort meist ihr Pulver komplett verschießen, bleibt für die Gamescom zwei Monate später nur die Resteverwertung übrig.

Immerhin kündigte Microsoft für nächstes Jahr „Age of Empires 4“ an. Relic Entertainment soll die ehrwürdige Echtzeitstrategie-Serie nach 13 Jahren für Windows-PCs fortsetzen. Spielszenen waren aber noch nicht zu sehen. Die konnte man immerhin von „Anno 1800“ erhaschen, das Blue Byte derzeit für Ubisoft entwickelt und Ende 2018 auf den Markt bringen will.

Anno 1800 gehörte zu den wenigen großen Neuankündigungen auf der Gamescom. Erste Bilder zeigen prächtige Bauwerke aus den Anfangstagen der Industrialisierung.

Ansonsten hielten sich die großen Publisher zurück. Branchenprimus Sony gab vor ein paar Jahren noch eine riesige Pressekonferenz mit Dutzenden Neuvorstellungen. In diesem Jahr beschränkten sich die Playstation-Macher auf den Sci-Fi-Thriller „Detroit: Become Human“, zwei kleine VR-Titel sowie einige Spiele mit Smartphone-Steuerung. Ein Sony-Sprecher erklärte, man wolle sich in Europa auf die Games Week Anfang November in Paris konzentrieren. Die sei zwar etwas kleiner als die Gamescom, passe zeitlich aber besser ins Konzept.

Take 2 blieb der Messe erstmals sogar ganz fern. Obwohl für kommendes Frühjahr mit „Red Dead Redemption 2“ von Rockstar Games ein potenzieller Hit im dreistelligen Millionenbereich ansteht, verzichteten die US-Amerikaner auf eine Präsentation in Europa.

eSport und Suchtprävention

Was die Besucher hingegen in den Hallen begeisterte, waren vornehmlich eSport-Vorführungen. PC- und Hardware-Hersteller hatten sich Spitzen-Teams von „League of Legends“, „Rocket League“ und Co. eingeladen, die sich – angepeitscht von Moderatoren – spannende Matches vor einem kreischenden Publikum lieferten. Dass diese eSport-Wettkämpfe einen Massen-Appeal haben, merken nun auch deutsche Fernsehsender. Sport1 und Pro 7 Maxx wollen künftig regelmäßig eSport-Turniere übertragen. Dabei fließt auch Geld: Mercedes Benz will einen Teil seines Werbebudgets künftig lieber dem eSport-Verband ESL geben, anstatt die Fußball-Nationalmannschaft weiter zu unterstützen.

Sand ins Getriebe streute einzig die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler: Sie bemängelte, dass die Spielebranche zu wenig für die Suchtprävention tue. Einer Studie der DAK zufolge sei mittlerweile jeder zwölfte männliche Jugendliche zwischen 12 und 25 Jahren abhängig von Computerspielen. Wenn künftig noch mehr Gelder in die mediale Vermarktung von eSport-Titeln wandern, wird der Anteil sicherlich noch steigen.

Große Indie Arena

Während man auf der Gamescom in den riesigen Arenen von EA, Ubisoft & Co. mehrere Stunden Wartezeit einplanen musste, um zehn Minuten von „Far Cry 5“ oder vom nächsten Star-Wars-Spiel „Battlefront 2“ zu erhaschen, konnte man in Halle 10.1 am Indie Arena Booth direkt mit den Entwicklern ihre neuesten Werke ausprobieren. Die Bedeutung der Kleinen wächst kontinuierlich: Nicht nur, dass der gemeinsame Stand von 60 Studios auf 1000 Quadratmetern der bislang größte auf der Messe war; die Spiele an sich werden auch zunehmend professioneller.

Verantwortlich für den Trend sind nicht zuletzt die Spiele-Engines Unity und Unreal, die von kleinen Studios zuweilen kostenlos genutzt werden können und spektakuläre Grafik-Effekte erlauben. Zudem steigt die Zahl kleinerer Publisher wie Devolver, die sich besonders um die Belange der Start-ups kümmern und für ein professionelles Marketing samt Vertrieb sorgen.

Zu den herausragenden Indie-Produktionen, die wir auf der Messe anspielen konnten, zählte „Moons of Madness“ von Rock Pocket Games, das im nächsten Jahr für PC und Konsolen erscheinen soll. Für ihr schickes Horror-Adventure, das den Spieler auf eine Exkursion auf den Mars schickt, konnten die Norweger sogar eine EU-Förderung einheimsen.

XCOM im Kalten Krieg: In „The Phantom Doctrine“ des polnischen Entwicklers Creative Forge Games schickt man seine Agenten durch riesige Gebäudekomplexe auf die Pirsch.

Der polnische Entwickler Creative Forge Studios versetzt den Spieler in „The Phantom Doctrine“ derweil in den Kalten Krieg der 80er Jahre zurück. In diesem rundenbasierten Strategietitel muss er wie bei XCOM seine Agenten in gegnerische Gebäudekomplexe einschleusen, sodass sie möglichst nicht entdeckt werden. Der komplexe Spionage-Thriller soll 2018 für PC und wahrscheinlich auch Konsolen erscheinen.

Abseits der üblichen Spiele stellte The Farm 51 seine Dokumentation „Chernobyl VR“ vor. In mühsamer Kleinarbeit digitalisierte das polnische Studio rund ein Dutzend Gebäude mit Hilfe der Photogrammetrie. So kann man hautnah erleben, wie es derzeit in der noch immer verstrahlten Todeszone aussieht – ein beeindruckendes Erlebnis, das im Herbst für die PSVR, Rift und Vive erscheint.

Restprogramm 2017

Ansonsten ist die Auswahl an größeren Titeln, die noch in diesem Jahr bis zum Weihnachtsgeschäft auf den Markt kommen, jedoch gering. Abseits der jährlichen Neuauflagen von Fifa, Call of Duty, Battlefield & Co. fiel uns eine Handvoll Highlights auf. Dazu gehört etwa das Ende September für Windows und Xbox One erscheinende Jump & Run „Cuphead“, das wie ein alter Zeichentrickfilm aus den 30er Jahren animiert ist. Bei einer kurzen Session hatten wir einzig mit dem saftigen Schwierigkeitsgrad zu kämpfen.

Am 17. Oktober will Ubisoft „The Fractured But Whole“ herausbringen, ein Rollenspiel aus dem South-Park-Universum, das den derben Humor von Trey Parker und Matt Stone mit einem recht komplexen Spielsystem verknüpft. Zehn Tage später folgt „Wolfenstein 2“ von Bethesda. Der schwedische Entwickler Machine Games verballhornt die Nazis hier so herrlich, wie man es sonst nur in Tarantino-Filmen sieht. Einzig der Schwierigkeitsgrad war noch nicht justiert, wie wir in unserer zweistündigen Spiele-Session feststellen mussten – aber das wollen die Entwickler noch ausbessern.

Ende Oktober bringt Nintendo dann „Super Mario Odyssey“ für die Switch heraus. Das Open-World-Abenteuer des kleinen Klempners wurde zum besten Spiel der Gamescom gekürt und dürfte die Verkäufe der Switch mächtig ankurbeln. Als Geheimtipp gilt derweil das Rollenspiel „Vampyr“ vom französischen Entwickler Dontnod Entertainment, das der Publisher Focus Interactive Ende November für PC und Konsolen veröffentlichen will. Der Spieler erlebt hier eine intrigenreiche Geschichte zwischen Vampir-Clans, die in London vor rund 100 Jahren ihr Unwesen treiben.

Zum Jahresabschluss mixt dann noch „Spellforce 3“ überaus gekonnt Rollenspiel- und Echtzeitstrategie-Elemente. Die Demo auf der Gamescom überzeugte mit ihrer imposanten Grafik. THQ plant eine Veröffentlichung am 7. Dezember für Windows. (hag@ct.de)